Forscherinnen entschlüsseln "Dresscode im Gehirn"
Nach Wirbel um gestreiftes Kleid
Ist das Kleid blau-schwarz oder weiß-gold? Genau über diese Frage haben im Februar Millionen Menschen weltweit im Netz diskutiert. Nun haben Bochumer Forscherinnen dieses Phänomen zum Anlass genommen, genauer in das menschliche Gehirn zu schauen - mit bahnbrechendem Erfolg.

Welche Farbe hat dieses Kleid?
Ausgelöst hatte die Diskussion das Foto eines Abendkleides, das eine Schottin zu einer Hochzeit anziehen wollte und es vorher im Laden fotografiert hatte. Das Foto hatte sie an das Brautpaar geschickt, das allerdings konnte sich nicht einigen, welche Farben das gestreifte Kleid nun hatte, blau-schwarz oder eben weiß-gold. Ein Kleid – zwei Wahrnehmungen.
Dieses Phänomen sorgte innerhalb weniger Tage für Furore im Netz. Unter dem Hashtag #dressgate diskutierten Menschen weltweit über das Abendkleid der Schottin. Wissenschaftler nahmen diese optische Täuschung zum Anlass zahlreicher Forschungen - darunter auch eine Forschergruppe aus Bochum.
Why did people see white and gold on the infamous black and blue dress? http://t.co/i9cWWj2JZu@uwanews#dressgatepic.twitter.com/WluVJ3ri80
— ScienceNetwork WA (@SNWA)
Anne Golisch gehört zur Neuroplasticity-Gruppe der Neurologischen Klinik am Bochumer Bergmannsheil, die mithilfe einer Magnet-Resonanz-Tomographie (fMRT)-Studie dem Rätsel um das Kleid auf den Grund gegangen ist. "Wir haben damals mit großem Interesse die Berichterstattung über das Kleid verfolgt", erzählt die Doktorandin. "Eine solche optische Täuschung wie diese hatten wir bis dato noch nicht gesehen. Dieses Foto bietet uns einzigartige Forschungsmöglichkeiten, die wir nutzen wollten."
Das Besondere am dressgate-Foto: Zum ersten Mal kann die optische Täuschung von den Probanden nicht bewusst gesteuert werden; der Betrachter kann also nicht entscheiden, welche Farbkombination er sieht und nimmt das Kleid daher entweder blau-schwarz oder weiß-gold wahr.
Bei anderen bekannten optischen Täuschungen, etwa das Bild von der alten und der jungen Frau (im Video), ist der Betrachter in der Lage, wenn er sich die Täuschung bewusst macht, beide Frauen zu erkennen. Für Forscher war es daher schwer herauszufinden, welche Bereiche im Gehirn bei einer Täuschung, welche bei einer "richtigen" Wahrnehmung aktiviert werden.
Daher haben sich Anne Golisch und ihre Forscherkolleginnen Lara Schlaffke und Lauren Haag das Foto zu Nutze gemacht, um herauszufinden, wie das Gehirn bei einer optischen Täuschung arbeitet. Dazu haben sie die Probanden in zwei Gruppen geteilt - die einen, die das Kleid in blau-schwarz wahrgenommen haben, die anderen in weiß-gold - und ihre Hirnaktivität im Kernspintomographen studiert.
Die Erkenntnis: Bei einer optischen Täuschung werden bestimmte Bereiche im menschlichen Gehirn mehr aktiviert. Ist für die Probanden das Kleid weiß-gold (eine optische Täuschung, denn in Wirklichkeit ist das Kleid nämlich dunkelbraun-blau), muss ihr Gehirn also besonders viel arbeiten. Wer dieser Täuschung aufsitzt, ist im frontalen und parietalen Bereich seines Gehirns aktiv.
Die frontalen Regionen haben großen Anteil an höheren Leistungen wie der Entscheidungsfindung, die parietalen Bereiche verarbeiten die visuellen Informationen. Probanden, die das Kleid in blau-schwarz wahrgenommen haben, zeigen in diesen Bereichen weniger Aktivität. Das bedeutet keineswegs, dass die eine Probanden-Gruppe schlauer ist, als die andere. Das Gehirn hat einfach nur mehr Arbeit, wenn es die optische Täuschung verarbeiten muss.
Ursachen für unterschiedliche Wahrnehmung
Warum Menschen das Kleid überhaupt unterschiedlich wahrnehmen, hat viele Ursachen. Zu den Faktoren, die die Wahrnehmung beeinflussen können, zählen etwa Lichteinfluss, Kontext, Farbzusammensetzung und Vorkenntnisse. Mehrere Forscherteams hatten bereits im Frühjahr Fachartikel zu #dressgate veröffentlicht und die optische Täuschung erklärt.
Demnach geht der menschliche Sehsinn von verschiedenen Beleuchtungsbedingungen wie Schatten oder direkte Sonneneinstrahlung aus und korrigiert die Wahrnehmung entsprechend. Beim dressgate-Foto ist nicht deutlich zu erkennen, unter welchen Beleuchtungsbedingungen es entstanden ist.
Die Bochumer Expertengruppe unter Professor Martin Tegenhoff hat ihre Studie bereits im Fachjournal "Cortex" veröffentlicht. Auch internationale Medien berichten über die Erkenntnisse aus dem Bergmannsheil - kein Wunder, denn sie bieten die Grundlage für weitere spannenden Forschungsfragen.
"Dieses Ergebnis erweitert unser Wissen über illusionäre Verarbeitungsprozesse im Gehirn", sagt Doktorandin Anne Golisch. "Hier können viele weitere Forschungsfragen im Bereich der visuellen Verarbeitung anknüpfen, etwa über die Vernetzung der verschiedenen Hirnareale."