"Flexibilität rechnet sich einfach"
Vereinbarkeit Familie und Beruf
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine Aufgabe, die in Deutschland kaum zu schaffen scheint. Hans Bertram, einer der führenden Familiensoziologen des Landes, erklärt im Interview, welche rechtlichen Grundlagen dafür noch fehlen und warum es Eltern, die in München leben, leichter haben als Eltern aus Essen.

Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Menschen eine schwer lösbare Aufgabe - auch weil Betreuungsangebote für die Kinder fehlen.
Was sind heute die größten Hürden für Familien, um Job und Familienalltag in Einklang zu bringen? Es kommt ganz darauf an, wo Familien leben. Wenn sie dummerweise in Essen leben, werden die Eltern große Schwierigkeiten haben, überhaupt eine Arbeitsstelle zu finden. Das heißt, da müssen sie das, was ihnen der Arbeitgeber anbietet, mehr oder weniger akzeptieren. Wenn die Familie in München lebt, müssen sowieso beide Elternteile arbeiten, weil das Leben da so teuer ist. Dafür ist der Arbeitgeber meist toleranter.
Aber in München sind die Eltern doch auch nicht alle nur glücklich. Nein, es gibt Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die haben alle Eltern von kleinen Kindern und das in ganz Europa: die Zeit. Ungefähr 40 Stunden die Woche wenden Eltern für ihre Kinder wöchentlich auf - unabhängig davon, ob sie wie in Frankreich vorwiegend Vollzeit arbeiten oder nicht.
Ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf also nur ein Wunschdenken? Wir müssen akzeptieren, dass es im Laufe eines Lebens Phasen gibt, die einfach da sind und sich auch nicht durch Maßnahmen wie dem Ausbau der Krippenbetreuung eliminieren lassen. Phasen, die stressig sind, zum Beispiel mit kleinen Kindern. Es geht um die Rushhour des Lebens, diese kurze Zeitspanne, in der junge Leute den Einstieg in den Beruf finden, vielleicht sogar heiraten und eine Familie gründen. Es wäre für die Menschen einfacher, wenn sie in dieser Phase mehr Zeit hätten.
Sollten Eltern kleiner Kinder also gar nicht erst versuchen, Job und Familie vernünftig unter einen Hut zu bringen? Nein, die richtige Konsequenz wäre, die Elternzeit zu flexibilisieren, sodass die Eltern ein höheres Maß an Zeitsouveränität haben. Elterngeld, Vätermonate, das ist das eine. Gäbe es zum Bespiel neben dem Rechtsanspruch auf Teilzeit auch einen Rechtsanspruch auf Vollzeit, könnten Eltern die Phase, in der die Kinder klein sind, und die Phase danach so organisieren, wie es am besten passt.
Welche Anreize gibt es denn für die Wirtschaft, beim Thema Vereinbarkeit ernsthaft mitzumachen? Es rechnet sich einfach. Wenn ein Unternehmen in eine junge Frau investiert, zum Beispiel in ihre Lehre als qualifizierte Kauffrau, kostet diese Ausbildung das Unternehmen etwa 50.000 Euro. Bekommt die Frau Kinder nach drei Jahren Kinder und kommt danach nicht mehr zurück, sind diese 50.000 Euro in den Wind geschossen. Wir müssen also gucken, ob wir Arbeitsbiographien in auch den Betreuungsbedürfnissen der Kinder anpassen können. Wenn zwischen dem 30. und 35. Lebensjahr die Betreuungszeit sehr hoch ist, könnte es doch Karrierewege geben, die einen dieser Zeit weniger in Anspruch nehmen, danach aber wieder mehr.
Viele vergleichen Deutschland mit Schweden. Man hat den Eindruck, die Skandinavier bekommen das besser hin mit der Vereinbarkeit. Da muss ich Sie korrigieren. In Bezug zum Beispiel auf die Erwerbstätigkeit von Frauen liegt die Bundesrepublik auf der Höhe von Schweden. Die Erwerbsbeteiligung von Frauen in München ist mit 80 Prozent genauso hoch wie in Stockholm. Innerhalb von Deutschland haben wir größere Unterschiede, als innerhalb Europas. Das hängt aber weniger mit der Politik, sondern mit der Industrie-Geschichte der westlichen Bundesländer, zum Beispiel eben NRW, zusammen. Wir sollten also nicht gucken, wie es die Dänen oder Schweden machen, sondern möglichst vielfältig überlegen, wie die Probleme der Vereinbarkeit vor Ort zu lösen sind.
Was heißt das konkret? Es gibt nicht die eine Lösung für alle, sondern man muss immer auch die Gegebenheiten vor Ort, in der Kommune sehen. Deswegen bin ich eher für Bündnisses auf kommunaler Ebene - mit dem Bürgermeister an der Spitze. Wenn der sagt, das Thema Vereinbarkeit ist mir wichtig, dann bewegen sich auch die Verwaltung und die Unternehmen vor Ort. Alle Beteiligten an einem Tisch können dann gemeinsam gucken, was ganz konkret in dieser Stadt die beste Lösung ist. Außerdem hilft es Eltern, wenn sie merken: Ich bin nicht allein mit meinen Problemen. Denn einer ganzen Menge andere Eltern geht es ähnlich.