Feuerwerk der Turnkunst in der Westfalenhalle

Interview

Seit mittlerweile mehr als 30 Jahren bittet der Deutsche Turnerbund jährlich zum „Feuerwerk der Turnkunst“ in große deutsche Hallen. Zum zehnten Mal ist im Januar kommenden Jahres die Dortmunder Westfalenhalle dabei. Was sich ein bisschen altbacken anhört, ist eine spektakuläre Show. Von Beginn an hat Heidi Aguilar sie inszeniert. Ein Gespräch über Sport und Show und die Show des Sports.

Dortmund

, 16.12.2017, 10:03 Uhr / Lesedauer: 4 min
Turner Andreas Toba macht Werbung für seinen Sport.Fotos (4) Abmaier

Turner Andreas Toba macht Werbung für seinen Sport.Fotos (4) Abmaier © Mike Abmaier

Höllische Schmerzen im Knie, der Olympia-Traum fast ausgeträumt: Für Andreas Toba hätte es an diesem Tag im Jahr 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio nicht schlimmer kommen können. Doch Toba verwandelte seine persönliche Niederlage in eine Heldentat: Er turnte trotz eines Kreuzbandrisses weiter und brachte das deutsche Turn-Team ins olympische Finale. Jetzt ist Toba auf Tour. Mit dem „Feuerwerk der Turnkunst“, das seit zehn Jahren auch einmal jährlich in der Dortmunder Westfalenhalle gastiert. Mehr als 10.000 Besucher sind dabei, wenn der Mix aus Show und Sport unter dem Titel „Aura“ am 5. Januar kommenden Jahres wieder über die Bühne der Halle 1 geht. Von der Premiere an wird das Ganze von Turn-Enthusiastin Heidi Aguilar in Szene gesetzt. Ein Gespräch:


Frau Aguilar, „Feuerwerk der Turnkunst“, das klingt ein bisschen nach Sporthalle und Reckturnen. Könnte Ihnen ein anderer Name nicht auch andere Zuschauergruppen erschließen?

Wir haben das tatsächlich mal überlegt und sogar eine Marktanalyse machen lassen. Aber der Name ist so gut eingeführt, dass wir es dabei belassen haben. Es ist immer noch die beste Art, das leider etwas verstaubte Renommee des Turnens zu korrigieren. Denn Turnen ist ja im Grunde sehr beliebt, wie auch die TV-Quoten zeigen. Das liegt an der riesigen Bandbreite: Tanzen, Trampolin, Akrobatik, Radfahren – unter dem Oberbegriff versteckt sich so viel.

Das Programm hat mit Turnen zu tun, aber ist es nicht doch eher eine große Zirkusshow?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Wir haben so viele Kunstturner dabei, dass man sagen kann, 80 Prozent der Show werden von Aktiven wie Andreas Toba bestritten. Der ist ja wirklich eine Art Superstar in unserer Sportart und macht auf der Bühne keine Show, sondern turnt in einem von uns abgesteckten Rahmen, damit es auch dementsprechend attraktiv rüberkommt. Insgesamt wird er an drei Geräten zu sehen sein, unter anderem gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Daniela Potapova.

Wenn Starturner Andreas Toba und Daniela Potapova auf der Bühne der Westfalenhalle eine artistische Liebesgeschichte erzählen, müssen sie dabei nur wenig spielen. Denn beide sind auch im wirklichen Leben ein Paar.

Wenn Starturner Andreas Toba und Daniela Potapova auf der Bühne der Westfalenhalle eine artistische Liebesgeschichte erzählen, müssen sie dabei nur wenig spielen. Denn beide sind auch im wirklichen Leben ein Paar.

Sie haben aber auch Jongleure, einen Clown und Ähnliches im Programm.

Ja, aber Akrobatik, Jonglage und auch ein bisschen Schauspielerei gehören auch im Wettkampf dazu, wir bilden das bei den Shows ab. Auch urbane Turnarten wie Tricking, das ja in Richtung Breakdance geht, wird man sehen. Auch so etwas bieten Turnvereine heute an. In den Vereinen findet sich auch die größte Tanzbewegung überhaupt, von Latein bis Standard. Auch das gehört zu unserer Show. Wir wollen eben zeigen, dass Turnen nicht nur Kunstturnen am Reck oder auf der Matte sein kann.

Das heißt, wenn mein Sohn Jongleur werden wollte, wäre er im Turnverein richtig?

Definitiv. Rhythmische Sportgymnastik beispielsweise ist ja Jonglage pur. Allerdings muss ich einschränken, dass natürlich nicht jeder Verein alles anbieten kann. Aber wer sucht, wird fündig.

Andreas Toba hat dem Turnen durch seine Heldentat sicherlich einen großen Aufschwung beschert...

Unter anderem hat er dafür ja einen Bambi bekommen, was ihn auch fernab der sportlich interessierten Menschen populär gemacht hat. Ähnliches gilt für Leute wie Fabian Hambüchen oder Eberhard Gienger. Auch mein Mann Andreas wird immer noch erkannt.

Sie sind 56 Jahre alt, führen von Beginn an Regie. Da hat sich ja in Sachen Bühnentechnik einiges verändert. Wie kommen Sie da mit?

Ich denke schon, dass wir von Beginn an spektakulär waren. Aber wir mussten uns natürlich anpassen. Zu Beginn haben wir mit Tonbändern und Kassetten gearbeitet und uns die Musik am Band zurechtgeschnitten. Heute habe ich jemanden, der mir in einem Studio dabei hilft. Vieles ist Learning by doing, ohne aber zu vergessen, wo unsere Wurzeln sind. Spektakel muss sein, aber das turnerische Können soll überwiegen. Das ist, denke ich, auch der Grund, warum so viele Menschen uns sehen wollen.

Für Heidi Aguilar ist klar, warum Turnen so beliebt ist: „Das liegt an der riesigen Bandbreite: Tanzen, Trampolin, Akrobatik, Radfahren.“

Für Heidi Aguilar ist klar, warum Turnen so beliebt ist: „Das liegt an der riesigen Bandbreite: Tanzen, Trampolin, Akrobatik, Radfahren.“ © MINKUSIMAGES

Was ist dieses Jahr neu?

Wir haben lange an Projektionstechniken gearbeitet. Die Bühne ist von vier Seiten einzusehen, das muss man berücksichtigen. Wir können auch nicht – wie beim Cirque du Soleil – das Trampolin im Boden verschwinden lassen, sondern müssen es halt wegschieben. Da sind solche Projektionstechniken im Zusammenhang mit Gazestoffen sehr wichtig und hilfreich.

Sie meinen also Techniken, die es beispielsweise erlauben, Menschen mit ihren Händen Licht verschieben zu lassen.

Genau solche Dinge, die auch die eine oder andere Kulisse ersetzen. Wir müssen ja jeden Tag umziehen und haben nicht die vier oder fünf Tage Zeit, die ein Cirque du Soleil nutzen kann, um auf- oder abzubauen.

Dazu brauchen Sie vermutlich Freiwillige.

Ohne die Ehrenamtlichen vor Ort ginge es nicht. Und wir haben Freiwillige mit auf Tour. Bezahlt wird nur eine Aufwandsentschädigung. Ohne diese Helfer ließe sich eine solche Produktion absolut nicht realisieren. Nehmen wir mal unsere Showgruppe: Da sind einige dabei, die schreiben zwischendurch ihre Klausuren und müssen dafür sogar hin- und herpendeln. Andere nehmen sich sogar vier Wochen Urlaub, um dabei sein zu können.

Und das Publikum besteht fast nur aus Turn-Enthusiasten?

Es ist natürlich schön, dass wir ein Stammpublikum haben, das eigentlich fast jedes Jahr dabei ist und aus dem Bereich kommt. Aber es sehen uns immer mehr Menschen, die einfach nur eine gute Show wollen.

Können Sie sich noch an die Premiere erinnern?

Aber klar, das war in Hannover. Da haben wir eine Neujahrsveranstaltung in der Stadionsporthalle gemacht. Es gab viereinhalbtausend Plätze, und wir waren gespannt, ob wir die füllen können. Aber dann rollten die ersten Busse an und uns war klar, dass das Wagnis sich gelohnt hatte. Damals hatten wir sogar noch einen Conférencier. Heute undenkbar.

Ihre ganze Familie ist turnverrückt und von Anfang an dabei gewesen...

Mein Mann sogar als Moderator und Akteur. Und meine Tochter Felice hat aus dem Sport einen Beruf gemacht. Sie ist Artistin und derzeit mit einer Show in der Schweiz unterwegs.

Wie viele Turnkunst-Shows werden Sie noch inszenieren?

Das werde ich oft gefragt. Erstens macht es mir Spaß, zweitens ist es mein Beruf und bis zur Rente sind es noch ein paar Jahre. Ist momentan also kein Thema.