Fan-Fiction: Wenn Fans zu Autoren werden

Ein tolles Buch oder ein mitreißender Film können die Fantasie ganz schön anregen. Manch einer versucht sich selbst als Autor - und nimmt sich dafür die bekannten Charaktere vor. Ist das eine Bedrohung des Originals oder ein Ausdruck der Verehrung?

Oppenau (dpa)

von Von Kim Alexander Zickenheiner, dpa

, 28.01.2016, 00:10 Uhr / Lesedauer: 2 min

Ein Roman muss noch nicht mit der letzten vom Autor geschriebenen Seite zu Ende sein. Foto: Nikolai Huland

Ein Roman muss noch nicht mit der letzten vom Autor geschriebenen Seite zu Ende sein. Foto: Nikolai Huland

Was wäre, wenn Harry Potter plötzlich in einem Raumschiff aus «Star Wars» sitzen würde? Wenn der Hobbit Frodo aus «Herr der Ringe» der dunklen Verlockung des Ringes nicht widerstehen könnte? Und vor allem: Wenn sich Bella aus der «Twilight»-Reihe nicht für den Vampir, sondern für den Werwolf entscheiden würde?

Ob aus Unzufriedenheit mit der Vorlage oder einfachem Spieltrieb, Tausende von Fans schreiben ihre Lieblingsgeschichten weiter oder neu. Rechtlich ist die sogenannte Fan-Fiction eine Grauzone - aber die Autoren können sich trotzdem darüber freuen.

«Es wird viel Wert auf zwischenmenschliche Dinge gelegt», erklärt Helge Thiessen. Er betreibt eine große Internet-Plattform für deutschsprachige Fan-Fiction mit Sitz in Oppenau im Schwarzwald. Mehr als eine halbe Million Geschichten finden sich auf «fanfiktion.de» - bei vielen dreht es sich um die Liebe zwischen Charakteren, die es im Original so nicht gibt. Zentral sind die Kommentare der Leser, häufig können sie auch beeinflussen, wie die Story weitergeht. Durch die rege Kommunikation bleibe eine Fangemeinde lebendig, sagt Thiessen.

Dass sich die Anhänger beim Warten auf den nächsten «Star Wars»-Film oder das nächste «Twilight»-Buch weiterhin damit beschäftigen, sei auch gut für die Macher, sagt Thiessen. «Wenn etwas Neues kommt, sind die alten Fans nicht verschwunden. Die meisten Rechteinhaber erkennen, dass es einen positiven Effekt hat.» Jede neue Veröffentlichung sorgt dann wieder für mehr Fan-Geschichten.

Und manche Fans werden selbst erfolgreich: «50 Shades of Grey» entstand als «Twilight»-Fan-Fiction mit mehr Sex - bis heute hat die Autorin E.L. James mehr als 125 Millionen Bücher verkauft. Freilich musste sie dafür einiges ändern: Aus Edward und Bella wurden Christian und Anastasia, Vampire gibt es auch keine mehr.

Denn rechtlich gesehen ist Fan-Fiction häufig ein Verstoß gegen das Urheberrecht, wie Rechtsanwalt Gregor Theado erklärt. Seine Kanzlei in Saarbrücken hat sich auf Urheber- und Medienrecht spezialisiert. Je detaillierter die ursprüngliche Geschichte mit ihren Charakteren und Welten aufgenommen wird, umso problematischer könne es werden. Wer seine Story dann im Internet zugänglich mache, habe Konsequenzen zu befürchten - theoretisch. «Es sind praktisch kaum Fälle bekannt, wo gegen Fan-Fiction vorgegangen wird», sagt Theado. Auch der Plattform-Betreiber Thiessen bekommt äußerst selten die Aufforderung, eine Story von der Seite zu nehmen.

Denn J.K. Rowling («Harry Potter»), Stephenie Meyer («Twilight») und viele andere unterstützen die Fan-Geschichten öffentlich. Aber es gibt auch kritische Stimmen wie die von George R.R. Martin, dem Autor der Fantasy-Reihe «Das Lied von Eis und Feuer», auf der die TV-Serie «Game of Thrones» basiert. Er hält Fan-Fiction nicht nur für eine schlechte schriftstellerische Übung - sondern auch für eine Bedrohung der Lebensgrundlage eines Autors. Fans sollten respektieren, wenn sie die Geschichten nicht wollten, schrieb Martin in einem Blog-Eintrag. «Die Zustimmung ist für mich der Kern der Sache.»

Trotzdem gibt es auch viele Geschichten auf Deutsch über seine Könige, Drachen und Magier. Martin wehre sich gegen eine alte Tradition, sagt Lucia Krämer, Professorin für Anglistik an der Uni Passau. Schon immer hätten Autoren andere kopiert, ihre Ideen und manchmal auch gleich ihre Geschichten weitergeschrieben. Fan-Fiction im eigentlichen Sinne habe es schon vor mehr als hundert Jahren gegeben, als Leser inoffizielle Fortsetzungen der Abenteuer von Sherlock Holmes geschrieben hätten. Der Wendepunkt sei dann mit der TV-Serie «Star Trek» in den 1960er-Jahren gekommen. Die eigens erstellten Fan-Magazine sind schließlich dem Internet gewichen - das Fan-Fiction eine riesige Bühne verschafft hat.

«Fan-Fiction wächst immer noch, die Autoren haben ein immer größeres Selbstbewusstsein», sagt Krämer. Viele seien der Meinung, dass sie als Fan eine Art Besitzrecht am Ur-Text hätten. «Es ist den Produzenten offizieller Texte bewusst, dass es dieses Phänomen gibt.» Daher gebe es auch nur wenig Widerstand gegen diese besonders engagierten Anhänger, die die Originalwerke nicht nur lesen, sondern auch andere dafür begeisterten.