Als meine Tochter neulich von einem Ausflug heim kam und ich ihre Hände erblickte, verzog ich das Gesicht. Meinen Ausdruck würden die Kinder vermutlich „Cringe“ nennen, wobei ich nicht ganz sicher bin, ob das Wort passt. Denn genauso wenig wie ich alle Worte verstehe, die meine jungen Menschen sprechen, verstehe ich, wie man so herumlaufen kann.
Geräusche bei jeder Bewegung
Das an sich sehr hübsche Mädchen hatte ihre Hände zu furchterregenden Waffen umbauen lassen. Die Freundin, bei der sie war, scheint die passende Ausrüstung zu haben und Fachkenntnis dazu. Bestimmt drei Zentimeter lang waren die Verlängerungen der Fingernägel, die mir da entgegen drohten. Ein klackendes Geräusch machten die angeklebten Plastikschaufeln bei allen Verrichtungen.
Freiheit endet dort, wo Vatti ausflippt
Wir möchten unserem Nachwuchs viel Freiheit lassen, alles okay. Aber der Nachwuchs darf auch unsere Meinung kennenlernen, wenn er die Freiheit ausnutzt. Ich gab meinem Töchterchen zu verstehen, dass ich diese Kunstnägel nicht so hübsch finde. Ich habe es wohl in dem Moment etwas anders formuliert. Jedenfalls machte das ermahnte Mädchen ein „Cringe“-Gesicht, bevor es die Kunstwerke mürrisch abzupfte und wegwarf. Die Tochter spürte wohl: Ihre Freiheit endet dort, wo Vatti ausflippt.
Modebewusst - und ungemütlich?
Positiv betrachtet ist dieses Kind einfach modebewusst. Das bedeutet im Moment, dass wir zum Beispiel extrem weite Hosen sehen, die die Schwester „total unpraktisch“ findet. Wenn Pullover viel zu weit sind, gleichzeitig viel zu kurz, spüre ich immer den Reflex, das Kind in eine Wolldecke einzuwickeln: Solcherart Kleidung muss doch ungemütlich zugig sein im Winter.
Faszination Farbe
Aber wer schön sein will, muss frieren. Und wer schön sein will, muss sich auch mal Mühe geben mit der Handdekoration. Fingernägel gibt es nicht nur zum Anleimen, man kann auch die vorhandenen bemalen. Obwohl ihre Mutter das nie tut, war diese Tochter von Farbe immer schon fasziniert. Früher war das Ergebnis eine bunte Schmiererei, wann immer eine wohlmeinende Tante an den Eltern vorbei eine Nagellackflasche ins Haus geschmuggelt hatte, um dem armen, farblosen Kind eine Freude zu machen. Das war früher. Inzwischen findet die junge Dame selbst in den Drogeriemarkt. Und weil der Lack ja auch halten soll, setzt sie eine UV-Lampe für das Aushärten ein. (Übrigens danke noch mal, liebes Christkind, haste toll gemacht.)
Dann muss die Verabredung halt warten
In so einem Lichthärtungsgerät muss die Hand mit den eingepinselten Fingernägeln einen Moment liegen bleiben. Als meine Tochter letztens verabredet war und pünktlich die Türklingel ging, rief ich das Mädchen, es möge seine Abholer bitte nicht warten lassen. Die Schöne zuckte nur die Schultern und nickte zur Uhr ihrer laufenden Fingernagel-Maschine. „Tja, sorry, Leute“, sagte ich den im Auto Wartenden. Sie hatten vollstes Verständnis. Das Aushärten des Nagellacks geht vor. Dann warten wir eben.
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„Papatastisch“ heißt die Familienkolumne von Redakteur und Vater Thomas Raulf. Alle Schilderungen beruhen auf wahren Ereignissen, aber lesen Sie gern ein Augenzwinkern mit. Alle bisher erschienenen Folgen finden Sie auf unserer Internetseite: www.hellwegeranzeiger.de/schlagwort/papatastisch