Vom Livegespräch zwischen der AfD-Politikerin Alice Weidel und dem Tesla- und X‑Chef und Trump-Vertrauten Elon Musk am Donnerstagabend (9.1.) waren im Vorfeld die unterschiedlichsten Dinge erwartet worden. Am Ende wurde es ein wilder Ritt. Manche für die AfD eigentlich wichtigen Themen wurden ausgespart oder nur am Rande behandelt. Mit einem Ausflug in die Geschichte des Nationalsozialismus wagte sich Weidel in ein Gebiet, in dem sie nur verlieren kann.
Bei mehreren Themen tätigten Weidel und Musk nachprüfbar falsche Behauptungen. Einige Aussagen im Faktencheck.
Adolf Hitler und der Kommunismus – darum geht es
Das Gespräch zwischen Elon Musk und Alice Weidel läuft seit etwas mehr als 30 Minuten, als Weidel beginnt, über Adolf Hitler zu sprechen. Zunächst geht es darum, wie Hitler zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft die Medien unter seine Kontrolle gebracht hat. Dann sagt Weidel über Hitler: „Er war ein Kommunist und er verstand sich selbst als Sozialist.“ Hitler habe die gesamte Industrie verstaatlicht. Der größte Erfolg „nach dieser schrecklichen Zeit“ sei es gewesen, „Hitler als rechts und konservativ zu labeln“. Dabei sei Hitler Kommunist gewesen und die AfD sei das „genaue Gegenteil. Wir sind die libertäre, konservative Partei.“
Das stimmt
Die Nationalsozialisten haben tatsächlich wichtige Teile der deutschen Wirtschaft unter ihre Kontrolle gebracht – insbesondere die Rüstungsindustrie. Doch anders als Weidel behauptet, hatte das nichts mit kommunistischen Überzeugungen zu tun. Tatsächlich gab es innerhalb der NSDAP einen antikapitalistischen und sozialrevolutionären Flügel. Deren Führungsfigur Gregor Strasser war jedoch ein Widersacher Hitlers. Schon 1934 ließ Hitler ihn ebenso wie den SA‑Führer Ernst Röhm und weitere innerparteiliche Gegner umbringen.
Das stimmt nicht
Hitler und die Nationalsozialisten waren eindeutig keine Kommunisten. Die Verstaatlichung von Industriebetrieben diente ihnen in erster Linie dazu, Deutschland kriegsbereit zu machen. Während in der kommunistischen Ideologie „Klasse“ die zentrale Größe zur Ordnung der Gesellschaft ist, ist die Vorstellung einer klassenübergreifenden „Volksgemeinschaft“ für die nationalsozialistische Ideologie zentral. Elemente dieser völkisch-rassistischen Ideologie finden sich heute auch in weiten Teilen der AfD. Zudem ist die von Weidel im Gespräch mit Musk propagierte „libertäre“ Position – den Einfluss des Staates auf die Wirtschaft und das Leben der Bürgerinnen und Bürger auf ein Minimum reduzieren zu wollen – keineswegs Konsens in der Partei mit einem starken „sozial-nationalen“ Flügel.
Was Weidel zudem völlig unterschlägt: Kommunisten gehörten zu den ersten Opfern der nationalsozialistischen Gewalt. Nationalsozialistische Mobs und paramilitärische Einheiten wie die SA („Sturmabteilung“) ermordeten schon vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten zahlreiche Kommunisten und andere politische Gegner. Kommunisten und Sozialdemokraten gehörten bald nach der Machtübernahme auch zu den ersten Gefangenen der nationalsozialistischen Konzentrationslager.
Die Behauptung, die Nationalsozialisten seien eigentlich Linke gewesen, wird seit vielen Jahren immer wieder von Rechten und Rechtsextremen vorgebracht. Sie dient dabei meist als Schutzbehauptung, nach dem Prinzip: Wenn die Nazis links waren, können wir unmöglich etwas mit ihnen zu tun haben.
So haben wir recherchiert
Zur Ideologie der Nationalsozialisten, zu den Flügelkämpfen innerhalb der NSDAP, zur nationalsozialistischen Wirtschafts- und Industriepolitik und zur Kommunistenverfolgung der Nazis gibt es seit vielen Jahrzehnten umfangreiche historische Forschung.
Die Höhe der Steuern in Deutschland – darum geht es
Alice Weidel behauptete im Gespräch mit Elon Musk, Deutschland habe die höchsten Steuern aller OECD-Staaten.
Das stimmt
Tatsächlich hat Deutschland im OECD-Vergleich eine hohe Steuer- und Abgabenlast.
Das stimmt nicht
Die Aussage Weidels ist trotzdem falsch: Laut OECD-Angaben ist die Steuer- und Abgabenlast in Belgien höher als in Deutschland. Deutschland steht demnach mit 47,9 Prozent für einen Singlehaushalt ohne Kinder im Jahr 2023 an zweiter Stelle, Belgien mit 52,7 Prozent an erster. Besser gestellt sind dagegen verheiratete Paare mit Kindern – was ihre Steuer- und Abgabenlast angeht, liegt Deutschland nicht an der OECD-Spitze.
So haben wir recherchiert
Diese Daten werden von der OECD erhoben und veröffentlicht. Grafisch aufbereitet nachlesen lassen sie sich beispielsweise auf der Website der eher konservativ ausgerichteten US‑Denkfabrik Tax Foundation.
Deutschland und der Atomausstieg – darum geht es
Im ersten Teil des Gesprächs zwischen Musk und Weidel ging es um die Energiepolitik. Dabei betonten beide ihre Unterstützung für Atomkraft. Alice Weidel machte Bundeskanzlerin Angela Merkel unter anderem in diesem Zusammenhang heftige Vorwürfe und behauptete: „Deutschland ist das einzige Industrieland, das seine Kernkraftwerke vom Netz genommen hat.“
Das stimmt
An dieser Aussage stimmt nichts.
Das stimmt nicht
Italien hat bereits in Reaktion auf die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 seine vier damals bestehenden Atomkraftwerke vom Netz genommen. Die Entscheidung für den italienischen Atomausstieg wurde 1987 in einem Referendum gefällt – unterstützt von fast 90 Prozent der Bevölkerung. 1990 ging der letzte italienische Meiler vom Netz. Silvio Berlusconi wollte wieder in die Atomkraft einsteigen, scheiterte damit aber. Jetzt will die rechte Regierung von Giorgia Meloni zurück zur Atomkraft.
So haben wir recherchiert
Der Atomausstieg Italiens ist bekannt und Gegenstand zahlreicher historischer und aktueller Medienberichte. Auch der Italien-Korrespondent des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) hat im vergangenen Jahr über Italiens lange zurückliegenden Atomausstieg und aktuelle Wiedereinstiegspläne berichtet.
Ladendiebstahl in Kalifornien legal? – Darum geht es
Als Weidel und Musk über Migration und Kriminalität sprechen, hat die AfD-Politikerin eine Frage an Musk: Ob es stimme, dass in Kalifornien die Verfolgung von Diebstählen eingestellt wurde, weil dort so viel gestohlen wurde, will sie wissen.
Musk behauptet daraufhin, Diebstahl werde in Kalifornien so gut wie nie verfolgt, vielleicht ein oder 2 Prozent der Fälle würden verfolgt und selbst dann würden die Täter gleich wieder auf freien Fuß gelassen. Es habe gerade ein Referendum in dem US‑Bundesstaat gegeben, um Diebstahl wieder zu einer Straftat zu machen. Davor sei es legal gewesen, „irgendetwas im Wert von unter 1000 Dollar zu stehlen“, sagte Musk. Menschen hätten einfach in einen Laden gehen und etwas im Wert von unter 1000 Dollar stehlen können. „Wenn Mitarbeiter sie aufgehalten haben, wurden sie festgenommen“, behauptete Musk – also die Mitarbeiter, nicht die Diebe.
Das stimmt
Tatsächlich erhielt eine Gesetzesinitiative in Kalifornien, mit der die Strafbarkeit unter anderem von Ladendiebstahl hochgestuft wird, bei einem Referendum im vergangenen November eine Mehrheit.
Das stimmt nicht
Ladendiebstahl – auch im Wert von unter 1000 Dollar – war in Kalifornien auch zuvor schon strafbar. Diebstähle mit einem Schaden von unter 950 Dollar wurden jedoch als Vergehen (englisch: misdemeanor) eingestuft. Mit dem Referendum wurde beschlossen, sie stattdessen als Verbrechen (englisch: felony) einzustufen. Damit sind härtere Strafen verbunden.
So haben wir recherchiert
Die Falschbehauptung zur angeblichen Nicht-Strafbarkeit von Ladendiebstählen in Kalifornien ist nicht neu. Die Faktenchecker der Nachrichtenagentur AFP haben sich bereits im vergangenen Jahr intensiv mit der Behauptung auseinandergesetzt und die Hintergründe erklärt. Über den Inhalt des Referendums haben zahlreiche US‑Medien berichtet.
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