Facharzt Dr. Rezai (61) warnt vor Rechtsruck „Kommen die an die Macht, fällt die Maske“

Arzt warnt vor Rechtsruck: „Kommen die an die Macht, fällt die Maske“
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Vertreibungspläne mit Abschiebungen von vermeintlich nicht assimilierten Deutschen in Musterstaaten. Nach den Enthüllungen des Journalisten-Netzwerks Correctiv über Inhalte des sogenannten Potsdamer Treffens mit AfD-Politikern und einem Mitglied des in Kamen ansässigen Vereins Deutsche Sprache (VDS) ist der Kamener Facharzt in großer Sorge.

Der 61-jährige Mediziner, der aus dem Iran stammt und die doppelte Staatsbürgerschaft hat, praktiziert seit 24 Jahren in Kamen in der stark nachgefragten Praxis für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde an der Adenauerstraße in Kamen. Er hat selbst Vertreibung erlebt, als er als junger Mann im Iran Medizin studierte. „Andersdenkende waren nicht erwünscht. Sie wurden ausgesperrt, eingesperrt oder hingerichtet.“ Rezais Befürchtung: Ein Rechtsruck in Deutschland, der in einer ähnlichen Katastrophe gipfeln könnte.

Dr. med. Mohammad Rezai erzählt seine Geschichte. Er weiß aus Erfahrung, wie sich gesellschaftliches und politisches Klima so verändert hat, dass Andersdenkende ihre Freiheit und sogar ihr Leben verloren.
Dr. med. Mohammad Rezai erzählt seine Geschichte. Er weiß aus Erfahrung, wie sich gesellschaftliches und politisches Klima so verändert hat, dass dabei Andersdenkende ihre Freiheit und sogar ihr Leben verloren. © Stefan Milk

Im Iran plötzlich auf der Liste der Regimegegner

Rezai, im Dezember 1962 geboren, wuchs auf in Abadan, einer Stadt mit etwa 213.000 Einwohnern im äußersten Südwesten Irans. Als im September 1980 der irakische Präsident Saddam Hussein einen Überraschungsangriff durchführte und auf breiter Front in iranisches Staatsgebiet eindrang, flüchtete Rezai mit seiner Familie nach Teheran und begann dort sein Medizinstudium an der University of Gondishapour. Dort merkte er schnell, wie sich das Klima im Land veränderte und immer radikaler wurde. „Es gab Säuberungsaktionen – und plötzlich stand ich auch auf der Liste der Regimegegner. Das war beängstigend. Ich hatte keine Chance mehr.“

Dabei war er politisch gar nicht aktiv gewesen. „Doch es hat gereicht, nicht mit den Islamisten mitzulaufen. Es hat gereicht, nicht mit ihren Gruppen zusammenzuarbeiten.“ Die Zukunft als Arzt im Iran war dahin. „Ich hätte nur noch inoffiziell arbeiten können.“

Dr. med. Mohammad Rezai geriet im Iran auf die Liste der Regimegegner: „Es hat gereicht, nicht mit den Islamisten mitzulaufen. Es hat gereicht, nicht mit ihren Gruppen zusammenzuarbeiten.“
Dr. med. Mohammad Rezai geriet im Iran auf die Liste der Regimegegner: „Es hat gereicht, nicht mit den Islamisten mitzulaufen. Es hat gereicht, nicht mit ihren Gruppen zusammenzuarbeiten.“ © Stefan Milk

Betrachtung mit einem durch die Lebensgeschichte geschärften Blick

In dieser Zeit hat Rezai erlebt, wie sich gesellschaftliches und politisches Klima so verändert, dass Andersdenkende ihre Freiheit und sogar ihr Leben verlieren. 1985 die schwere Entscheidung, den Iran zu verlassen und die Ankunft in einem Land, das zur neuen Heimat wird: Deutschland. Rezai holt Abschlüsse nach und erhält die Zulassung fürs Medizinstudium in Mainz. Am 1. April 2000 eröffnet er seine Praxis in Kamen.

Mit dem durch seine Lebensgeschichte geschärften Blick und zudem viel Lebenserfahrung weiß Rezai die hier zu Lande freiheitlichen Qualitäten zu schätzen, denn er wäre auch in anderen Ländern ein gefragter Arzt gewesen. „Hier gibt es eine soziale Sicherung. Ich kann Menschen medizinisch versorgen, ohne dass diese über Geld nachdenken müssen. Das ist das Beste, was Ärzten passieren kann.“ Dem Lockruf einer Uni-Klinik in Florida folgte er nicht.

Dr. med. Mohammad Rezai schätzt die Freiheit in diesem Land. Er warnt vor sich abzeichnenden Veränderungen im Zuge eines möglichen Rechtsrucks.
Dr. med. Mohammad Rezai schätzt die Freiheit in diesem Land. Er warnt vor sich abzeichnenden Veränderungen im Zuge eines möglichen Rechtsrucks. © Stefan Milk

Rezai: Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik rechtfertigt nicht alles

Die Freiheit, die er so schätzt, könnte verloren gehen, wenn Parteien wie die in einigen Bundesländern als gesichert rechtsextremistisch eingestufte AfD stärker werden, so Rezais Befürchtung. Er kann nachvollziehen, dass viele Menschen über die Politik der Koalition frustriert sind und den etablierten Parteien deswegen einen Denkzettel verpassen wollen. „Aber wir müssen uns vor Augen halten, was passiert, wenn die wirklich an die Macht kommen. Dann fällt die Maske“, sagt er mit Blick auf die AfD.

Die Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik rechtfertige nicht, dass man eine Partei mit womöglich menschenverachtenden Plänen wähle. Rezai: „Im Iran sagt man: Von einem Grübchen in den Brunnen fallen.“ Oder auf Deutsch: Vom Regen in die Traufe kommen. Bei allem Frust müsse man sich mögliche Folgen bewusst machen, wenn Begriffe wie „Remigration“ plötzlich Thema seien.

Besorgt über Entwicklungen, aber nicht verängstigt

Rezai ist besorgt über die Entwicklungen, Angst mache sie ihm aber noch nicht, beteuert er. Er konzentriere sich vor allem auf seine Arbeit. „So kann ich mich nicht ständig damit befassen, sonst würde ich auch nicht schlafen können.“ Der Arzt geht aber keiner Diskussion aus dem Weg, versucht aufzuklären und Anstöße zu geben.

Und er blickt wohlwollend auf die vielen Demonstrationen und Kundgebungen für Vielfalt und gegen Ausgrenzung. „Es ist beruhigend, dass so viele Menschen dafür kämpfen.“ Und dabei auch Herz und Verstand einsetzen als Kontrast zu Hass, Hetze und Propaganda:: „Denn wir kennen die Kernideologie vieler extremistischer Bewegungen: Nicht denken, einfach mitlaufen.“ Und er kennt sie bestens. Weil er sie einst im Iran erlebt hat.