Auf den ersten Blick ist Trebes‘ Neuinszenierung nur klassisch und retro: folkloristisch-bunt, komödiantisch-harmlos – und wie in alten Zeiten auf Deutsch statt Tschechisch. Doch die Postkarten-Dorfidylle mit Dirndln und Kniebundhosen, tönernen Bierkrügen und karierten Tischdecken trügt und wird gekonnt unterlaufen: Bei näherer Betrachtung sieht man, dass da nicht nur der Kirchweihkranz schief hängt.
Das Volk versammelt sich mit Äxten und Gewehren in blutverschmierten Schürzen. Mädchen werden zum Polka-Tanzen gezwungen. Ein Trio junger Männer wird nicht müde, den stotternden Wenzel, den Underdog der Oper, aggressiv zu mobben. Und dann taucht auch noch ständig ein zotteliger Braunbär auf, der unbemerkt durch die Szenerie läuft oder die Leute in Angst und Schrecken versetzt.
Grotesk und glaubwürdig
Das Publikum wird dennoch in erster Linie glänzend unterhalten. Der Mix aus grotesker Überzeichnung und Glaubhaftigkeit der Figuren stimmt. Mit einfachen Mitteln, doch effektvoll sind zudem die Szenenübergänge gestaltet, besonders eindrucksvoll die Verwandlung vom Bierzelt zur Zirkusmanege des dritten Akts (Bühne: Marialena Lapata).
Die turbulente Choreografie von Andreas Langsch zum Tanz der Komödianten dürfte kaum zu toppen sein. Überhaupt kennt die Spielfreudigkeit der Sängerinnen und Sänger – einschließlich des glänzenden Opernchores – keine Grenzen.

Die Nase vorn hat verständlicherweise Michael Tews als ebenso großspurig-penetranter wie schräger Heiratsvermittler Kecal. Die Komik seines Schauspiels zeichnet gleichermaßen auch seinen buffonesken Gesang aus. Eine Paraderolle für den Hamburger Bassisten.
Marie, die „verkaufte Braut“, findet in der jungen Heejin Kim eine rundum überzeugende Interpretin. Die zierliche Sopranistin, die noch Mitglied des Opernstudios NRW ist, beeindruckt mit ihrem gewitzten Spiel und der blühenden Innigkeit und Wärme ihrer Stimme. Bei der Premiere erhielt sie verdientermaßen den größten Beifall.
Zarte Töne
Der Marie angeblich auf ewig treue Hans wird von dem hünenhaften Martin Homrich dargestellt. Obwohl er der Freundin mit tenoraler Inbrunst begegnet, ist man sich seiner Ernsthaftigkeit nicht immer ganz so sicher, etwa, wenn er ihr mit einer lebensgroßen, kitschig ausstaffierten Kuh und Ringen aus dem Kaugummiautomaten einen Heiratsantrag macht. Vom Klangcharakter ihrer Stimmen her allerdings bilden Heejin Kim und Martin Homrich ein perfektes Paar.
Tobias Glagau berührt in der kleinen, undankbaren Rolle als Loser Wenzel, Bogil Kim findet als Zirkusdirektor ganz zarte Töne.
Aufblühend und präzise
Wesentlichen Anteil an dem gelungenen Opernabend hat die Neue Philharmonie Westfalen unter der engagierten Leitung von Peter Kattermann, welche die prächtige, folkloristisch geprägte Musik Smetanas mit Leben erfüllt. Aufhorchen lässt schon die feine, dabei ungemein präzise und gut gestaffelte Ausführung der virtuosen Ouvertüre.
18. / 26. 11., 4./11.12.2022, 8. / 12. 1., 12. 2., 11. 3.2023; Karten: Tel.22(0209) 409 72 00. www.musiktheater-im-revier.de
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