Erdbeben in Marokko Warum nimmt das Land deutsche Hilfe nicht an?

Erdbeben in Marokko: Warum nimmt das Land deutsche Hilfe nicht an?
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Die Vertreter der Bundesregierung wirkten am Montag ratlos. „Wir könnten helfen“, sagte der Sprecher von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in der Bundespressekonferenz den Medien nach dem verheerenden Erdbeben in Marokko. So halte sich etwa das Technische Hilfswerk (THW) für Trinkwasseraufbereitung oder andere Unterstützungsleistungen wie die Bergung von Verletzten und Toten bereit. Der Sprecher von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte, es habe Kontakte zur marokkanischen Regierung gegeben, über die Europäische Union und direkt. Doch beide Sprecher betonten ebenfalls, Hilfsangebote seien bislang nicht abgerufen worden.

Bisher hat die marokkanische Regierung laut Medienberichten lediglich Angebote aus Großbritannien, Spanien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten angenommen. Auch ein geplanter Flug mit Hilfsgütern aus Tunesien konnte bis Montagmorgen zunächst nicht starten. Dafür stellte die EU eine Million Euro für humanitäre Hilfe bereit. In Deutschland sammeln Hilfsorganisationen Spenden.

Zwei Gründe sind denkbar

Über die Gründe für die Weigerung, praktische Hilfe aus Deutschland anzunehmen, wollte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Montag „nicht spekulieren“. Es sind aber zwei Gründe denkbar.

Sie könnten politischer Natur sein. Der Streit über die von Marokko beanspruchte Westsahara hatte die deutsch-marokkanischen Beziehungen 2021 in eine tiefe Krise gestürzt. Auf dem Höhepunkt zog Marokko seine Botschafterin für mehrere Monate aus Berlin ab. Die Bundesanwaltschaft erhob im Mai vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf überdies Anklage wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Tätigkeit gegen einen Marokkaner. Ihm wird vorgeworfen, Anhänger einer heimischen Protestbewegung ausgespäht zu haben.

Allerdings näherten sich beide Staaten im Sommer 2022 wieder an. Baerbock reiste im August vergangenen Jahres in die Hauptstadt Rabat. Ihr Sprecher sagte am Montag: „Ich glaube, politische Gründe kann man hier ausschließen für unseren Fall.“ Die diplomatischen Beziehungen zu Marokko seien gut.

„Wir sollten nicht vorschnell die marokkanische Regierung kritisieren“

Daher dürften andere Gründe sehr viel näher liegen. Der Leiter des Bereichs Internationale Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), Christof Johnen, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) jedenfalls: „Wir sollten nicht vorschnell die marokkanische Regierung kritisieren und annehmen, dass sie etwas Falsches tut.“ Denn viele Staaten empfänden unkoordiniert eintreffende Hilfe auch als Belastung. Das sei unter anderem nach dem Tsunami in Südostasien 2004 so gewesen. Deshalb wollten diese Staaten seither einen gewissen Überblick behalten. Ob das im Fall Marokko der Grund für die Weigerung sei, Hilfe anzunehmen, könne er nicht sagen, betonte Johnen. Aber es wäre eine denkbare Erklärung und sei in jedem Fall „kein ganz neues Phänomen“.

Unabhängig davon sei das DRK seit über einem Jahrzehnt in Marokko vertreten und helfe nun auch in Zusammenarbeit mit dem Roten Halbmond nach dem Erdbeben, so der DRK-Vertreter. Das geschehe ganz unabhängig von staatlichen Kontakten. Die Chance, noch Überlebende zu finden, nehme im Übrigen mittlerweile dramatisch ab. Doch das ändere nichts am weiteren Hilfsbedarf, vor allem mit Nahrung, Wasser und Unterkünften.

Bis zuletzt kamen nach amtlichen marokkanischen Angaben übrigens landesweit mindestens 2497 Menschen ums Leben, mindestens 2476 weitere Menschen wurden verletzt. Deutsche, so die Bundesregierung am Montag, seien nach jetzigen Erkenntnissen nicht darunter.

RND

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