
Rund 100 Produktionsanlagen befinden sich im Chemiepark in Marl. Sie sind auf eine sichere Versorgung mit Strom und Dampf angewiesen. © Evonik Industries AG
Energieversorgung: Chemiepark Marl kann auf Putins Gas jetzt locker verzichten
Wirtschaft
LPG statt Erdgas: So rüstet sich Evoniks größter Chemiestandort für den Fall, dass Russland den Gashahn abdreht. Auch Kohle spielt plötzlich wieder eine Rolle.
Der Chemiepark Marl macht sich bei der Energieversorgung unabhängig von Erdgas. Das ist eine gute Nachricht für den Standort mit seinen rund 10.000 Beschäftigten, weil auf diese Weise trotz Gasknappheit die Produktion gesichert werden kann; und zwar nicht nur bei Evonik, sondern auch bei den anderen Unternehmen, die sich im Chemiepark angesiedelt haben.
Evonik hat am Montag (8. August) ein Konzept für alle seine deutschen Standorte veröffentlicht, in dem es um den Ersatz des Erdgases durch alternative Energiequellen geht. Dadurch könnten bis zu 40 Prozent des deutschen Erdgasbezugs ohne eine nennenswerte Einschränkung der Chemieproduktion ersetzt werden, hieß es. Die substituierte Erdgas-Menge entspreche dem jährlichen Verbrauch von mehr als 100.000 Haushalten.
LPG-Einsatz wird gerade „erfolgreich getestet“
Die bedeutendste Maßnahme wird demnach am größten deutschen Evonik-Standort in Marl realisiert. Im neuen, erst in diesem Jahr in Betrieb genommenen Gaskraftwerk wird dazu Liquefied Petroleum Gas (LPG) statt Erdgas zur Energieerzeugung genutzt. In Zusammenarbeit mit Siemens Energy werde der LPG-Einsatz gerade „erfolgreich getestet“, teilt Evonik mit.
Diese Maßnahme soll nicht nur die Energieversorgung in Marl sichern, sondern auch die Produktion chemischer Güter krisenfest machen. Für die Herstellung von Wasserstoff zum Beispiel werden erhebliche Mengen Erdgas benötigt. Für diese und andere Produktionsvorgänge gebe es jetzt größere Reserven, erklärt Evonik-Sprecher Jörg Wagner. Freiwerdende Erdgasmengen stünden zudem zum Auffüllen der Erdgasspeicher zur Verfügung.
LPG fällt als Koppelprodukt im Chemiepark an
LPG ist ein Flüssiggas, das in seiner Zusammensetzung vor allem aus Butangas besteht, im Gegensatz zu Erdgas beziehungsweise LNG, das überwiegend Methan enthält. Es fällt als Koppelprodukt im Chemiepark in Marl an. Außerdem kann es am Markt zugekauft werden. Unterstützt wird Evonik von BP, an deren Raffinerie in Gelsenkirchen bislang das Flüssiggas LPG aus dem Chemiepark Marl geliefert worden ist. BP werde darauf bis auf Weiteres verzichten, heißt es, damit in Marl eine ausreichende LPG-Versorgung sichergestellt werden könne.
Einen weiteren Beitrag zur Sicherung der Energieversorgung soll das Kohlekraftwerk in Marl leisten. Ursprünglich hatte Evonik geplant, dieses Kraftwerk in diesem Jahr stillzulegen. Nach der Änderung des gesetzlichen Rahmens werde Evonik nun das notwendige Personal einstellen, Investitionen in den technischen Erhalt tätigen und die Kohleversorgung sichern. Damit sei der Weiterbetrieb über dieses Jahr hinaus gewährleistet. Kohle kauft Evonik auf dem Weltmarkt ein - „aktuell zu erschwerten Bedingungen“, wie Unternehmenssprecher Jörg Wagner erläutert. „Aber wir haben unsere Hausaufgaben gemacht, Lieferungen sind unterwegs.“
Mit der Substitution von Erdgas durch LPG sowie dem Weiterbetrieb des Kohlekraftwerks könne Evonik für die Energieversorgung am Standort Marl auf Erdgas verzichten – „und das ohne eine nennenswerte Einschränkung der Produktion“, sagt Vorstandschef Christian Kullmann. Das gelte auch für den Fall eines Gasstopps aus Russland.

Evonik-Vorstandsvorsitzender Christian Kullmann (hier bei einer Anlagen-Einweihung 2021 in Marl) kann zufrieden sein. Die Energieversorgung des Chemieparks Marl scheint auch in Zeiten der Krise gesichert zu sein. © picture alliance/dpa
Evonik bezieht weltweit 15 Terrawattstunden Erdgas pro Jahr
Weltweit bezieht Evonik insgesamt etwa 15 Terrawattstunden (TWh) Erdgas pro Jahr, das zum überwiegenden Teil zur Energie- und Dampferzeugung genutzt wird. Gut ein Drittel davon entfällt auf Deutschland. Die Energieversorgung der Evonik-Standorte außerhalb Deutschlands, etwa in Antwerpen (Belgien), ist weitestgehend unabhängig von Gaslieferungen aus Russland. In Deutschland dagegen würde ein Ausfall russischer Gaslieferungen die Chemieproduktion ernsthaft gefährden. Dieses Risiko werde nun allerdings deutlich reduziert, so Kullmann.
An den anderen deutschen Standorten hat Evonik nach eigenen Angaben ebenso Maßnahmen zur Erdgassubstitution identifiziert, etwa in Steinau, Essen, Krefeld, Lülsdorf und Wesseling. Hier wird Erdgas zum Teil durch Heizöl ersetzt. Entsprechende Investitionen seien bereits eingeleitet worden.
Stichwort: Der Chemiepark Marl
- Der Chemiepark Marl ist einer der größten Chemiestandorte in Deutschland. Das Gelände erstreckt sich über eine Fläche von mehr als sechs Quadratkilometer und bietet rund 10.000 Arbeitsplätze.
- Der Chemiepark wird von Evonik betrieben und ist gleichzeitig der größte Produktionsstandort von Evonik. Neben Evonik, ihren Tochtergesellschaften und Beteiligungen sind 17 weitere Unternehmen angesiedelt.
- Mehr als vier Millionen Tonnen Produkte jährlich starten von Marl aus ihren Weg in die ganze Welt.
- Der Energiebedarf des Chemieparks Marl wird durch die Erzeugung von Strom und Dampf in Kraft-Wärme-Kopplung in zwei eigenen Gas- und einem Kohlekraftwerk gedeckt.
Geboren 1960 in Haltern am See, aufgewachsen in Marl und jetzt wohnhaft in Dorsten: Ein Mensch, der tief verwurzelt ist im Kreis Recklinghausen und dort auch seit mehreren Jahrzehnten seine journalistische Heimat gefunden hat. Schwerpunkte sind die Kommunal- und Regionalpolitik sowie Wirtschafts- und Verbraucherthemen.