Mit was sollte man eine 21 Jahre dauernde, glanzvolle Ära als Ballett-Intendant noch krönen und beschließen, wenn man dem Publikum opulente Abende wie „Der Traum der roten Kammer“, „Krieg und Frieden“ oder „Die göttliche Komödie“ geboten hat und in Dortmund ein „Ballettwunder“ kreiert hat? – Vielleicht mit einem Elefanten auf der Bühne, Säbel- und Schleiertänzen, prächtigen Kulissen, mehr als 60 Tänzerinnen und Tänzern und Superstars als Solisten in einem der berühmtesten Ballette der Welt.
Der Dortmunder Ballettintendant Xin Peng Wang hat sich und dem Publikum mit „La Bayadère“ einen Traum erfüllt. Im ausverkauften Dortmunder Opernhaus erlebte das Märchen aus 1001 Nacht am Freitagabend eine euphorisch bejubelte Premiere. Wangs Abschiedsgeschenk ist ein Triumph der Tanzkunst, vollendet schön getanzt, nicht nur im dritten Akt, dem „Schattenakt“. Der ist in Dortmund mit 24 weißen, verschleierten Tänzerinnen in Marius Petipas Choreografie der Uraufführung zu sehen – der „Schwanensee“-Moment des dreistündigen, fantastischen Tanzfests.

Das Orientmärchen um die indische Tempeltänzerin Nikija, die den Krieger Solor liebt, der jedoch Gamzatti, der Tochter des Radschas, versprochen ist, würde mit seinem romantischen Blick auf Indien heute etwas befremdlich wirken. Xin Peng Wang löst das Problem mit einem Trick, der zwar nicht neu, aber wirkungsvoll und gut verzahnt ist: Er erfindet eine Rahmenhandlung mit einem Filmregisseur und einem Filmproduzenten (herrlich überdreht in den 20er-Jahren Bewegungen: Guillem Rojo i Gallego und Cyril Pierre), die über die Bayadère einen Stummfilm drehen. Ein Stummfilmpianist (Karsten Scholz) am rechten Bühnenrand, kleine Videosequenzen und sogar Me-Too-Andeutungen machen das Märchen zur Illusion aus Hollywoods Traumfabrik.
Trotzdem bleibt Xin Peng Wangs „Bayadère“ ein Spektakel: Bei der Uraufführung 1877 in St. Petersburg stand ein lebendiger Elefant auf der Bühne, bei Wang rollt der Dickhäuter im zweiten Akt aus Pappmaschee auf die Bühne – lebensgroß. Star-Bühnen- und Kostümbildner Jérome Kaplan hat prächtige Tempel gebaut, das Königreich der Schatten auf einer Rampe im zweiten Akt ist ein Kunstwerk aus Licht und Tanz (Lichtdesign: Carlo Cerri), und am Schluss geht die ganze Traumfabrik in Flammen auf; das Märchen der Bayadère bleibt eine Vision.
Stars aus Amsterdam
Das alles ist optisch faszinierend und wird gekrönt von Wahnsinnsleistungen der Solisten, der Compagnie und des NRW-Juniorballetts. Wie schwer zu tanzen manche Schrittfolgen sind, sieht das Publikum auch am Sturz einer Solistin, bei dem zum Glück nichts passiert ist und der den großartigen Gesamteindruck überhaupt nicht trübt. Davon, dass einmal 62 so hervorragende Tänzer auf der Dortmunder Bühne stehen würden, haben wohl alle vor 21 Jahren, als Xin Peng Wang nach Dortmund kam, nur träumen können.
Für Nikija und Solor hat Wang in der Premiere als Stargäste erste Solisten vom niederländischen Nationalballett Amsterdam engagiert. Und ist jemals in Dortmund ein Tänzer höher gesprungen als Giorgi Potskhishvili als Solor? Das hatte Gala-Format und sorgte für Raunen in den Reihen. Auch Anna Tsygankova war als lautlos schwebende Prinzessin eine Klasse für sich.
Blockbuster für die Ohren
Die Nebenbuhlerin Gamzatti hat in der Premiere die Dortmunderin Daria Suzi mit überragendem Temperament und fantastischem Ausdruck getanzt. Ebenfalls fantastisch: der sprunggewaltige António Ferreira als „goldenes Idol“.
Motonori Kobayashi, treuer Begleiter des Ballettintendanten am Pult der Dortmunder Philharmoniker in den vergangenen Jahren, machte im Graben die Musik von Léon Minkus zum Blockbuster für die Ohren. Diese „Bayadère“ MUSS man gesehen haben.
Weitere Aufführungen
Termine: 9. / 17. / 24. 11., 2025: 1. / 5. / 8. 2., 8. / 22. 3., 28. 5., 1. / 13. / 19. 6.; Karten: Tel. (0231) 502 72 22 oder www.theaterdo.de
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