Du? Sie? Papa? Und warum Kinder nie wieder artig die Hand geben

Du? Sie? Papa? Warum Kinder nie wieder artig die Hand geben
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Wie reden Kinder eigentlich Erwachsene an? Das „Du“ fällt heute selbstverständlich und viel lockerer als zu meinen Kindertagen. Gut so. Aber können wir eigentlich überhaupt noch höflich miteinander umgehen?

Merkwürdig: Ein Kind hat „Sie“ zu mir gesagt. Als eine Freundin meiner Tochter kürzlich zum Spielen bei uns war, sprach sie mich einmal mit „Sie“ an. Ich wusste erst gar nicht wen das Mädchen meinte. Sie meinte es gut, wollte höflich zur mir sein und erhielt prompt einen Kommentar meiner Tochter: „Sag nicht ,Sie‘ zu Papa. Das ist doch voll komisch.“ Genau, dachte ich. Man kommt sich doch auch recht alt vor, wenn man so angeredet wird.

Ich erinnere mich, wie das vor 30 Jahren lief. Ich hatte gelernt, Erwachsenen artig die Hand zu geben zur Begrüßung. Das wurde bei uns aber auch nicht allzu streng gehandhabt. Was ich hingegen als Kind immer im Hinterkopf hatte, war: Gleichaltrige = „Du“. Erwachsene = „Sie“. Die Eltern von Freunden oder Nachbarn waren für mich immer die Höflichkeits-Grauzone. Wie ansprechen, ohne dass es peinlich ist? Meistens vermied ich es komplett, so konnte nichts schief gehen.

Obwohl: Gar nichts sagen, das geht eigentlich gar nicht. Das müssen wir aktuell immer wieder üben: Wenn man irgendwo hereinkommt oder ein Besucher das Haus betritt, dann sagen wir bitte „Hallo“, „Guten Tag“, wenigstens „Hi“ oder irgendetwas Vergleichbares. Keines unserer Kinder muss stramm stehen und einen „Diener“ machen. Aber Menschen zu begrüßen, das hat etwas mit Freundlichkeit und Respekt zu tun, finde ich, egal ob es Erwachsene sind, Polizisten, der Postbote oder Spielkameraden. Wir arbeiten daran.

Kampfsport unter Vollidioten

Müssen wir überhaupt an neuen Formen des Umgangs arbeiten? Das fällt uns Eltern am eigenen Alltag auf. Als damals Corona kam, waren Begegnungen und Gespräche mit echten Menschen lange tabu. Danach begrüßte sich niemand mehr mit Handschlag. Dabei war das Ritual früher so praktisch fürs Kennenlernen: Begrüßen, sich ins Gesicht schauen, Hand schütteln, bei der Gelegenheit den Namen sagen. Mit diesem kleinen Gesten-Paket wurden aus Fremden Bekannte.

Inzwischen herrscht doch völliges Durcheinander: Halte ich die virenverseuchte Hand hin, die Faust (je älter, desto alberner) oder den Ellenbogen? Das unsichere Gehampel wirkt oft wie Kampfsport unter Vollidioten. Dabei verbummelt man dann seinen Namen oder versteht den des anderen nicht. Aus „Freut mich, Sie kennenzulernen“ wird „ O sorry, hat das wehgetan?“ und schon sitzen sich Fremde nach einem peinlichen Moment zum Gespräch gegenüber. Wenn wir Großen schon so ins Schleudern geraten, wie sollen wir dann unseren Kindern das Nötigste beibringen?

„Papatastisch“ heißt die Familienkolumne von Redakteur und Vater Thomas Raulf. Alle bisher erschienenen Folgen finden Sie auf unserer Internetseite: www.hellwegeranzeiger.de/schlagwort/papatastisch

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