Drohung mit „Türken-Clan“ nach Horror-Unfall Betrüger nehmen Unnaerin (63) alle Ersparnisse ab

Betrüger nehmen Unnaerin (63) 21.000 Euro ab
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„Widerlich“: So kommentiert ein Polizeisprecher den jüngsten Fall von Telefonabzocke in Unna. Das Opfer ist nicht alt. Die Geschichte, die man der Frau aufgetischt hat, ist an einigen Stellen absurd. Aber leider hat sie funktioniert mit Hilfe von Angst, und das Geld ist weg.

Unnaerin (63) wird Betrugsopfer

Die Unnaerin hat ein paar Tage mit sich gerungen, dann aber entschieden, ihren Fall öffentlich zu machen. Nur ihren Namen möchte sie nicht preisgeben. Wir nennen sie Beate M. Das Alter ist das echte: 63.

M. hat erwachsene Kinder, und ihren Sohn, Ende 20, hatte sie am späten Nachmittag des 20. Juli angeblich unvermittelt am Telefon. Zumindest hatte sie von vornherein keinen Zweifel, dass es ihr Sohn war, der am anderen Ende der Leitung schluchzte. „Die Stimme klang völlig verzweifelt“, erinnert sich Beate M. Es begann ein perfekt inszeniertes Theaterspiel des Grauens, und die Unnaerin war mittendrin.

Sohn soll Frau überfahren haben

Beate M. hat gar keine Gelegenheit zum Zweifeln. Eine Frau übernimmt sofort das Gespräch. Sie sei vom Gericht, erklärt sie der Unnaerin. Es sei etwas Furchtbares passiert. Der Sohn habe eine rote Ampel missachtet und eine Frau totgefahren. Das Unfallopfer sei Mitglied einer türkischen Großfamilie. Jetzt sei davon auszugehen, dass Angehörige der Toten auf Rache sinnen und dem Unfallfahrer etwas antun wollen. Es müsse jetzt ganz schnell gehandelt werden, damit der Sohn gar nicht erst in Untersuchungshaft komme, wo Mitglieder des Clans lauern. Der Richter verlange eine Kaution, erklärt die angebliche Justizangestellte: Bargeld, noch heute. 87.000 Euro. So viel hat die Unnaerin nicht, erst recht nicht zu Hause. Die Unbekannte fragt ab, wie viel auf dem Konto ist. Die Bank habe bis 18 Uhr geöffnet, sagt die Fremde. Beeilung.

Fremde am Telefon lässt nicht locker

Die Frau redet ununterbrochen auf Beate M. ein. Sie lässt nicht locker, gibt sich aber als Unterstützerin. M. erinnert sich: „Ich soll bloß vorsichtig fahren, hat sie gesagt“. M. fährt zur Bank, das Handy immer in der Hand. Bricht das Gespräch ab, wird sie sofort wieder zurückgerufen.

Klare Instruktion für den Bankbesuch: Sie soll nichts verraten, denn der verbrecherische Clan finde alles heraus. Die Bankangestellte fragt nach, aber Beate M. bleibt bei der Geschichte, wie es die Frau am Telefon angeordnet hat: Sie wolle das Geld ihrem Sohn geben, für ein neues Auto.

Beate M. räumt ihr Konto leer. 21.000 Euro. Genug? Die Frau am Telefon gibt vor nachzuhaken beim Richter: Ja, das reiche so gerade für die Kaution, aber M. müsse das Geld schnell bringen, gleich sei Büroschluss.

Die Übergabe ist nicht am Amtsgericht. Zu riskant: Natürlich könnten gerade dort Mitglieder der gefährlichen Sippe lauern. M. wird gefragt, ob sie eine ruhige Seitenstraße in der Nähe kenne. Sie schlägt selbst die Salinenstraße vor und bekommt Instruktionen für die Geldübergabe.

Sie sitzt im Auto. Eine Person kommt zum Fenster, nimmt das Geld. M. wird passend abgelenkt: Die Frau am Telefon redet auf sie ein. Und schon ist die Person mit dem Geld weg.

Eine ruhige Seitenstraße in der Nähe des Amtsgerichts: Hier war die Übergabe des Bargelds.
Eine ruhige Seitenstraße in der Nähe des Amtsgerichts: Hier war die Übergabe des Bargelds. © Marcel Drawe

Erfundene Großfamilie als Drohkulisse

„Man ist in einem Ausnahmezustand. Ich habe nur noch funktioniert“, erinnert sich die Unnaerin. Während der Situation hatte sie nur eines im Kopf: Angst um ihren Sohn. Ihr wurde weisgemacht, der junge Mann müsse erst einmal ins Krankenhaus, aber sicherheitshalber in einer anderen Stadt, nicht in Unna. Auch hier musste die erfundene türkische Großfamilie wieder als Drohkulisse herhalten.

Erst als M. am Abend wieder zu Hause war und einen Moment zum Nachdenken kam, hatte sie eine Idee: nachschauen, wann ihr Sohn zuletzt mit seinem Handy online war. Dann rief sie ihn direkt an, und das Horror-Theaterstück war vorbei.

Anzeige erstattet, Geld ist verloren

„Ich hätte nie gedacht, dass mir so etwas passieren könnte“, sagt die Unnaerin. Die Frau am Telefon sei absolut überzeugend gewesen, habe sich gewählt und akzentfrei ausgedrückt. „Diese Leute sind so geschickt.“

Die Szenen, die die kriminelle Schauspielerin im Kopf der Unnaerin erzeugt hatte, wirkten sogar nach, als ihr längst klar war, dass man sie reingelegt hatte. „Ich habe am Abend immer wieder den Gedanken gehabt: ,Was für ein Glück, dass die Frau nicht überfahren worden ist.‘ Dabei gab es diese Frau ja gar nicht.“ Angst um ihren Sohn habe sie noch mehrere Tage gespürt, erinnert sich Beate M.

Sie erstattete direkt am Abend des Vorfalls Anzeige und hat inzwischen auch mit der Opferschutzabteilung der Polizei gesprochen, die in solchen Fällen Hilfe und Beratung anbietet.

Das Geld ist allerdings weg. „Ich habe mein ganzes Erspartes verloren“, sagt M. „Ich hätte noch mehr gegeben, wenn ich es gehabt hätte.“ Unserer Redaktion schilderte sie ihren Fall, um andere zu warnen. „Es kann wirklich jedem passieren, und nicht nur alten Menschen.“

Offenbar ist derzeit tatsächlich erhöhte Vorsicht angesagt. Unsere Redaktion erhielt aus Unna an zwei Tagen Hinweise auf drei solcher Betrugsversuche. Rufen Sie im Zweifel den Polizeinotruf 110.

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