„Dieses Riesenloch“: Erftstadt und die bangen Stunden der Flut
Unwetter
Erftstadt ist vom Hochwasser besonders verheerend getroffen worden. Der Ort wurde zum Teil einfach weggespült. Die Bewohner ringen mit der Fassung. Das ganze Ausmaß ist noch nicht abzusehen.

Trümmer eingestürzter Häuser liegen im Ortsteil Bessem. © picture alliance/dpa
An der Stelle, an der die Welt zu enden scheint, riecht es nach Benzin und Erde. Braun und ölig ergießt sich Wasser von der Radmacher Straße in Blessem, einem Teil von Erftstadt, in einen riesigen Schlund. Die Straße: einfach abgebrochen. Die Häuser: zum Teil eingestürzt. Eine weiße Gardine wiegt noch im Wind, fast bis zu Hälfte ist sie braungefärbt. Ein stummes Zeugnis dramatischer Stunden, in denen die Flut durch Blessem schwappte.
++ Eilmeldung ++ In #Erftstadt-Blessem sind Häuser massiv unterspült worden und einige eingestürzt. Es werden etliche Personen vermisst. Aus den Häusern kommen Notrufe, aber eine Rettung ist vielfach nicht möglich. Unser Katastrophenschutz ist vor Ort. Fotos: Rhein-Erft-Kreis pic.twitter.com/Waaq3tMciM
— BezirksregierungKöln (@BezRegKoeln) July 16, 2021
Das Unwetter im Westen und Südwesten von Deutschland hat in den vergangenen Tagen viele dramatische Bilder hervorgebracht. Nur wenige aber sind so eindrücklich wie die Luftaufnahmen aus Erftstadt-Blessem, in dem ein Erdrutsch Häuser und Wege wegspülte. Sie wirken wie von einem Katastrophenfilmer aus Hollywood erdacht - nur, dass nicht eine amerikanische Metropole zu sehen ist. Sondern ein Ort unweit von Köln, in dem normalerweise Kartoffeln angebaut werden und Pferde in Ställen schnauben.
Nur wenige Schritte entfernt von der Abbruchkante steht Karl Berger vor seinem Geburtshaus. Er ringt um Fassung. „Dieses Riesenloch“, sagt er, dann kippt die Stimme. Er kenne viele Menschen, die dort lebten. Bis zum Freitagmittag war unklar, wie viele Opfer es gab. Die Lage war extrem unübersichtlich. „So hoch war das Wasser noch nie gewesen“, sagt Berger, während immer noch braune Brühe aus dem Hof hinter ihm schwappt und seine Trekkingsandalen umspült.

Ein Sanitätsfahrzeug der Bundeswehr fährt durch den Ortsteil Blessem. © picture alliance/dpa
Am Donnerstag sei die Erft - eigentlich „ein juter Fluss“ - stetig angeschwollen. „Dann kam das Wasser innerhalb von kurze Zeit“, sagt Berger, Vorsitzender eines örtlichen Bürgerforums. „Und dann lief der Ort schon über die Gärten voll.“ An den Hauswänden ist noch zu sehen, bis wohin die Welle schwappte. Bis auf Augenhöhe klebt der Dreck an den Mauern.
In den 60er Jahren habe es schon mal Hochwasser gegeben, sagt Berger, selbst Jahrgang 1956. Aber nicht so eins. Der Ort verlebte bis 2021 ganz gute Jahrzehnte. Nun ist die Bundeswehr da, auf der Straße liegen Geröll und mitgerissene Habseligkeiten.
Fast überall ist Benzin im Wasser. Am Ort führt die Autobahn 1 vorbei, eine Lebensader der Bundesrepublik. Direkt daneben verläuft die Erft. Auch hier ereignet sich Dramatisches. Stück um Stück frisst sich der Fluss am Freitag in das Land, unterspült Wiesen und Wege am Ufer. Irgendwann gibt auch die Autobahn nach und rutscht zum Teil und mit lautem Krach in die Flut.

Rettungsschwimmer und Polizeitaucher stehen in einer überfluteten Straße im Ortsteil Blessem. © picture alliance/dpa
„Ich bin 25 Jahre alt, ich kannte so etwas nur aus dem Fernsehen“, sagt Patrick Hüster. Er wohnt in einem anderen Teil von Erftstadt - aber da hielt er es nicht mehr aus. Er musste es sich selbst ansehen. Am Abend zuvor ist in seinem Haus der Keller vollgelaufen. Mit drei Telefonen habe man sechs Stunden lang versucht, die Feuerwehr zu erreichen, bis jemand an der Strippe war. Nichts ging mehr. Klar, er habe vorher Unwetter-Videos auf Instagram gesehen, sagt Hüster.
„Aber da dachte ich: Ach, das ist so viele Kilometer entfernt.“ Noch ist die Lage in angespannt. Die Dämme müssen halten. Und dann muss aufgeräumt werden. Karl Berger erzählt, dass einem Teich weiter hinten einst mal gut 20 Koi-Karpfen von „stattlicher Länge“ schwammen. Bis das viele Wasser kam. „Da haben wir jetzt fünf Stück wieder gefunden.“ Irgendwo muss man ja jetzt wieder anfangen.
dpa