Dokumentierter Völkermord Bis heute leugnen Menschen den Holocaust

Holocaust-Leugner: Haftstrafen bis zu fünf Jahren
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Der französische Filmemacher Christophe Cognet hat verschreckende Bilder aus Auschwitz, Buchenwald, Dora-Mittelbau und Dachau sammeln können. Sie sind vor der Befreiung der Vernichtungs- und Konzentrationslager entstanden.

Die Fotografen waren KZ-Häftlinge. Irgendwie waren sie an Kameras gekommen. Unter unmittelbarer Lebensgefahr haben sie heimlich diese Schnappschüsse gemacht. Von den Baracken, in die 300 Opfer gepfercht waren. Vom alltäglichen, brutalen und tödlichen Lagerleben. Von den Lagerwachen. Von kahlen Köpfen und dünnen Beinen und Frauen und Männern und Kindern, die ins Gas gehen mussten.

Nach den Aufnahmemomenten das schnelle Verstecken von Kamera und Film zwischen Zeitungspapier. „Blinden Schritts“ hat Christophe Cognet seinen Streifen genannt, der 2023 lief. 80 Jahre nach den millionenfachen Mordtaten.

Solche Live-Bilder vom Holocaust sind rar. Mehr Aufnahmen haben die alliierten Befreier unmittelbar nach der Einnahme der Lager gemacht.

Es gibt Zeugenaussagen aus den Reihen der im Reichsgebiet nur 50.000 Überlebenden des NS-Völkermordes und auch aus den Reihen der Mörder. Es gibt Dokumente wie die der Wannsee-Konferenz 1942. Die Beweisdichte ist da. Kann es da heute überhaupt noch Menschen geben, die sagen, das alles habe es nicht gegeben? Die Auschwitz als hinterhältige Lüge ansehen?

Gibt es Zweifler und Leugner?

Bis heute lauscht im Ausland und in Deutschland ein gläubiges Publikum, wenn Zweifler und Leugner der deutschen Menschheitsverbrechen zwischen 1933 und 1945 ihre Propaganda verbreiten. Dazu gehören ausländische Politiker, die Israel feindlich gesonnen sind wie der frühere iranische Präsident Ahmadinedschad („Holocaust ist eine große Lüge“). In Deutschland kommen nicht wenige aus dem rechtsextremen Lager. Ihre Behauptungen sind eng mit Antisemitismus verknüpft.

Was wissen wir von ihnen?

„Ich möchte wissen, wo die angeblich sechs Millionen Menschen umgebracht worden sind. Warum bin ich jahrzehntelang belogen worden?“, rief Hans Püschel, Kommunalpolitiker der NPD in Sachsen-Anhalt, seinen Zuhörern in Naumburg 2015 zu. „Die seit Kindesbeinen gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen“.

2022 hat die damals schon 94-jährige Ursula Haverbeck aus dem westfälischen Vlotho vor einem Berliner Gericht behauptet: Die Schornsteine des Lagers Auschwitz seien „zum Brotbacken“ genutzt worden. Das Gas Zyklon B habe keine Menschen töten können. Die KZ hätten den Zweck reiner Arbeitslager gehabt.

2003 hat sich sogar eine Organisation gebildet. Haverbeck war wie der frühere RAF-Anwalt Horst Mahler Gründerin des „Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten“, der bis zum Verbot 2008 bestand.

Wie kam es zur „Endlösung“?

Reichskanzler Adolf Hitler, der immer tief antisemitisch dachte, hat die Entscheidung zur industriellen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung im Herbst 1941 gefällt. Am 5. September testete die SS im KZ Auschwitz das Präparat „Zyklon B“ an 900 Sowjetsoldaten und polnischen Häftlingen „erfolgreich“.

Rudolf Höß, der Lagerleiter: „Auf mich wirkte die Vergasung beruhigend, da ja in absehbarer Zeit mit der Massenvernichtung der Juden begonnen werden musste“. 1942 setzte die „Wannsee-Konferenz“ den Hilter-Befehl organisatorisch um und die Massenanwendung ein.

Was wussten die Siegermächte?

Grundsätzlich waren ihnen Vorgänge bekannt, auch, weil sie während des Zweiten Weltkrieges Nazi-Funksprüche abhörten. Schon im Dezember 1942 stellte Londons Außenminister Anthony Eden vor dem britischen Unterhaus fest: „Die deutschen Behörden ... setzen Hitlers oft wiederholte Absicht, das jüdische Volk zu vernichten, in die Realität um“.

Aber selbst die Sieger schienen zunächst nicht sicher, wie brutal die NS-Herrscher tatsächlich vorgegangen waren, bis ihre Panzer die Lagertore knacken konnten. Die Amerikaner schickten Einheiten wie die 166th Signal Photo Company mit, die zum Beispiel sofort nach der Befreiung des KZ Buchenwald bei Weimar mit den Aufnahmen juristisch belastender Motive begannen.

Wer hat mit dem Leugnen begonnen?

Die Leugnung war geplant und die langfristige Vertuschung des Massenmordes ein direkter Befehl Adolf Hitlers. Am 11. Juli 1943 teilte der Chef der NSDAP-Kanzlei, Martin Bormann, „im Auftrag des Führers“ mit: „Bei der öffentlichen Behandlung der Judenfrage muss jede Erörterung einer künftigen Gesamtlösung unterbleiben. Es kann jedoch davon gesprochen werden, dass die Juden geschlossen zu zweckentsprechendem Arbeitseinsatz herangezogen werden“. Die Vernichtung einschlägiger Dokumente, die daraufhin erfolgte, ist nachgewiesen.

Eine Rose liegt zum Gedenken an die Opfer des Holocaust in Berlin auf einer Stele des Denkmals für die ermordeten Juden Europas.
Eine Rose liegt zum Gedenken an die Opfer des Holocaust in Berlin auf einer Stele des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. © picture alliance/dpa

Ist die Leugnung des Holocaust in Deutschland heute eine Straftat?

Ja. In der Bundesrepublik drohen Leugnern nach dem Volksverhetzungs-Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe, bei einer Billigung der NS-Verbrechen sogar bis zu fünf Jahren. Der Straftatbestand wurde mehrfach ergänzt.

Auch andere westliche Länder sowie Israel bestrafen die Leugnung. In den USA ist das nicht der Fall, weil die Verfassung die Meinungsfreiheit grundsätzlich ranghöher einschätzt. Die Gerichte in Deutschland wenden das Strafrecht unterschiedlich an. So wurde Hans Püschel freigesprochen, Haverbeck aber zu Haft verurteilt. Ihr Urteil ist aufgrund des juristischen Streits über die Haftfähigkeit im hohen Alter bisher nicht vollstreckt.

Wie viele Menschen wurden durch den Nazi-Terror getötet?

In seiner „Dokumentation der Zahlen der Opfer des Holocaust und der NS-Verfolgung“ stellt das renommierte Washingtoner Holocaust-Museum fest: „Der Holocaust ist der am ausführlichsten dokumentierte Fall von Völkermord. Dennoch ist es unmöglich, die genaue Zahl der Menschen zu erfassen, die infolge der NS-Politik getötet wurden. Es gibt kein einziges Kriegsdokument, aus dem klar hervorgeht, wie viele Menschen getötet wurden“.

Aber gibt es belegte Schätzungen?

Ja. Die amerikanische Einrichtung hat auf NS-internen Schätzungen und demografischen Studien nach Kriegsende aufbauend festgestellt: Sechs Millionen Juden sind getötet worden. Zudem mehr als fünf Millionen sowjetische Zivilisten, drei Millionen sowjetische Kriegsgefangene, 1,8 Millionen nichtjüdische polnische Zivilisten, bis zu 250.000 Sinti und Roma, 1.900 Zeugen Jehovas und bis zu 250.000 Menschen mit Behinderungen, die in Einrichtungen untergebracht waren.

Was geben israelische Quellen über jüdische Opfer wieder?

Auch die zentrale israelische Einrichtung, die Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vashem, betont: „Die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt. Die Forschung bestätigt zumeist, dass die Zahl der Opfer zwischen fünf und sechs Millionen liegt“.

Wie die Washingtoner Zahlen und die Forschungsergebnisse zahlreicher Wissenschaftler beruhen die Daten in Yad Vashem hauptsächlich auf Vergleichen zwischen den Ergebnissen von Volkszählungen vor dem Krieg mit entsprechenden Nachkriegszahlen der Überlebenden und -schätzungen sowie der Auswertung von Zeitdokumenten, zum Beispiel Berichten von Tötungskommandos oder Deportationslisten.

Dieses Archivbild vom 13. April 1945 zeigt einen Blick in eine der Lagerbaracken des Konzentrationslagers Buchenwalds nach der Befreiung durch die Truppen der 3. US-Armee.
Dieses Archivbild vom 13. April 1945 zeigt einen Blick in eine der Lagerbaracken des Konzentrationslagers Buchenwalds nach der Befreiung durch die Truppen der 3. US-Armee. © picture-alliance / dpa

Gibt es konkrete Angaben aus einzelnen Vernichtungslagern?

Das amerikanische Holocaust-Museum nennt eine Million „jüdische Verluste“ im Auschwitz-Komplex, 925.000 Tote in Treblinka, 435.508 in Belcek, mindestens 167.000 in Sobibor und bis zu 172.000 in Chelmno, mindestens 150.000 in Konzentrationslagern wie Buchenwald sowie „mindestens 1,3 Millionen Erschießungen und in Gaswagen an Hunderten von Standorten in der von Deutschland besetzten Sowjetunion“. In den Ghettos seien „mindestens 800.000“ Menschen umgekommen.

Haben NS-Täter dazu ausgesagt?

Holocaust-Organisator Adolf Eichmann zum Beispiel hat Zeitzeugen gegenüber, so dem Auschwitz-Kommandanten Höß, die Zahl sechs Millionen genannt. Das deckt sich mit Angaben aus Unterlagen der Gestapo und Berichten deutscher Zeitungen ein Jahr vor Kriegsende, wonach bis dahin fünf Millionen Juden „ausgeschaltet“ worden seien.

Auch Höß hat vor dem polnischen Gericht, das ihn zum Tode verurteilte, von mehr als einer Million Toten in Auschwitz gesprochen. Ausgerechnet: Es waren die Täter, die sich selbst belastet haben.

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