Streik in Amerika ist eine knallharte, todernste Sache, das wissen Filmfans, die Marlon Brando und Lee J. Cobb in Elia Kazans Sozialdrama „Die Faust im Nacken“ (1954) gesehen haben. Gegen die Gewerkschaft geht gar nichts. Weder im Hafen von Hoboken, New Jersey, noch in den Traumfabriken von Hollywood.
Das einzige Deutschland-Interview mit dem Countrysuperstar Tim McGraw beispielsweise, der in den USA zig Millionen Platten verkaufte, in Deutschland aber vor allem durch die Hauptrolle in der Westernserie „1883″ bekannt wurde, scheiterte in der Vorwoche an der Sorge des McGraw-Managements, auch nur eine Frage des Gesprächs könne über die Songs des kommenden neuen Albums hinausgehen und die schauspielerischen Leistungen des Musikers betreffen.
Die Streikordnung verbietet auch Promotion für längst Abgedrehtes
Denn das wäre ein Verstoß gegen die Streikordnung, die auch Promotion für längst Abgedrehtes und Gesendetes betrifft. Die SAG-AFTRA (Screen Actors Guild – American Federation of Television and Radio Artists) hatte deutlich gemacht, dass ihre 160.000 Mitglieder für die Dauer des Streiks weder gegenwärtige noch vergangene Rollen bewerben dürfen. Verstößt jemand dagegen, droht ihm der Ausschluss aus der Gilde und damit auch, keine Schauspielarbeit mehr zu bekommen. Vorsorglich wurde McGraws Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) in letzter Minute gecancelt.
Weil bei Darstellerinnen und Darstellern (seit 14. Juli) und den schon seit 2. Mai streikenden 15.000 Autorinnen und Autoren der Writers Guild of America (WAG) so gar nichts geht, ist die Film- und Serienproduktion derzeit drastisch eingeschränkt – wie zuletzt im Juli 1980, als die SAG-Mitglieder letztmals vor die Studiotore gingen. Je nachdem, wie lange der Ausstand währt, könnten Streamingdienste und Kinos in Programmnot geraten.
Der schottische Charakterdarsteller Brian Cox kann sich eine Dauer bis zum Jahresende vorstellen. „Sie werden uns an den Rand des Abgrunds bringen und wir werden wahrscheinlich an den Rand des Abgrunds gehen müssen“, schätzte der Hauptdarsteller der Medienserie „Succession“ die Situation im Gespräch mit Sky News ein. Zahlreiche Serien werden vom Streik betroffen sein.
Serien, die vom Streik betroffen sind
„Stranger Things“: Die fünfte Staffel der Sci-Fi-Horror-Hitserie um Teenager und Erwachsene, die in einer Kleinstadt gegen das Eindringen von Wesen aus einer anderen Dimension kämpfen, musste schon früh ad acta gelegt werden, weil „das (Um-)Schreiben nicht endet, wenn das Filmen beginnt“, wie die Serienschöpfer Matt und Ross Duffer via Twitter verlautbarten. Problem speziell dieser Serie: Aus Kindern werden Leute! (bei Netflix)
„Hacks“: Auch die dritte Staffel von HBOs Emmy-gekürter Serie über eine legendäre Stand-up-Comedienne (Jean Smart) und eine geschasste Jungautorin (Hannah Einbinder) wurde gestoppt. Schöpferin und Emmy-Gewinnerin Jen Statsky bedauerte gegenüber dem Branchendienst „Deadline“: „Wir sind am Boden zerstört, dass wir derzeit nicht bei unserer unglaublichen Crew und Besetzung sein können, aber es gab keine andere Möglichkeit.“ Die Bücher müssten ständig angepasst werden: „Das macht Serien und Filme erst gut.“ (bei RTL+)
„Yellowjackets“: Ebenfalls in der Schreibphase auf Eis gelegt – die dritte Staffel des auf zwei Zeitebenen spielende Survivaldramas über eine High-School-Mädchen-Fußballmannschaft, deren Flugzeug in Kanadas Wildnis abstürzt und die dort überwintern muss (mit Christina Ricci und Juliette Lewis). (bei Paramount+)
„1923″: Wer unbedingt wissen will, wie es mit Jacob und Cara Dutton (Harrison Ford, Helen Mirren) auf der Yellowstone-Ranch der Zwanzigerjahre weitergeht und wie schlimm ihnen Timothy „007″ Dalton als fieser Multimillionär zusetzt, muss stark sein – die Westernserie von Taylor Sheridan, die mit Cliffhangeritis endete, wurde „auf unbestimmte Zeit“ verschoben.
„The Last of Us“: Die Dystopie mit den „Game of Thrones“-Stars Pedro Pascal und Bella Ramsey und jeder Menge garstiger Pilzzombies erwies sich als Maßstäbe setzend im Endzeitgenre. Die Vorbereitungen der zweiten Staffel wurden früh ausgesetzt, weil die Autoren fehlten, als das Casting vorbereitet wurde. (bei Wow)
„The Handmaid’s Tale“: Die sechste Staffel der Serie mit Elisabeth Moss über eine frauenhassende Gottesdiktatur auf amerikanischem Boden – nach Margaret Atwoods Roman –, wurde ebenfalls schon in der Schreibphase unterbrochen. (bei Magenta TV)
„A Knight of the Seven Kingdoms“: Die Auftaktstaffel des „Game of Thrones“-Prequels nach George R. R. Martins Buch „Der Heckenritter von Westeros“ muss eine Weile auf ihre Autorinnen und Autoren warten. Chefschreiber Ira Parker „und seine unglaubliche Gruppe junger Talente“, so Martin, „stehen im Streik“. Den Fans seiner Fantasywelt riet der Autor zu Geduld: „Ich erwarte, dass sie für eine lange Zeit dort stehen werden.“ Nie habe er „die Guild“ so geschlossen gesehen. (vermutlich bei Wow)
„Sandman“: Weiterträumen, Fans! Die Produktion der zweiten Staffel der Fantasyserie mit Tom Sturridge als Herrscher des Traumreichs (nach der Graphic-Novel-Vorlage von Neil Gaiman) wurde angehalten. (bei Netflix)
„Slow Horses“: Und auch Fans der dramatisch-komischen Serie um unfähige Brit-Agenten im MI5-Gescheitertenlager (mit einem grantelnden Gary Oldman und einer schnippischen Kristin Scott-Thomas) werden sich in Geduld üben müssen. (bei Apple TV+)
„Star Wars: Andor“: Staffel zwei der Film-Noir-Serie aus der „weit, weit entfernten Galaxis“ mit Diego Luna in der Hauptrolle sollte laut Autor Tony Gilroy im August fertiggestellt werden. Solange es geht, wollte man mit den britischen Teilen des Ensembles weiterdrehen. Die Szenen mit den SAG-AFTRA-Mitgliedern des Casts können aber erst nach dem Streik gedreht werden.
„Star Wars: The Mandalorian“: Der Mandalorianer Din Djarin (Pedro Pascal) wird mit Baby-Yoda Grogu noch eine Weile in seinem Naturidyll samt Alpöhi-artiger Weltraumhütte ausharren müssen (das war die Szene, mit der die dritte Staffel schloss). Auch diese „Star Wars“-Produktion macht aus Streikgründen Pause. (bei Disney+)
„Interview with The Vampire“: Seit April wird die zweite Staffel der Serie um den aus dem Nähkästchen plaudernden Vampir Louis vornehmlich in Prag gedreht. Einige Mitglieder der Serie nach Motiven von Anne Rice sind nun aber SAG-Mitglieder. (bei Wow)
Wonder Man und Daredevil lassen warten – Loki startet durch
„Marvel’s Wonder Man“: Wonder Man ist eine Figur aus der zweiten Reihe der Marvel-Superheldenliga. Seine Serie wollte Disney im August im Kasten haben. Man darf nun gespannt sein, ob „Wonder Man“, der einst als Bösewicht begann und sich zum Heros wandelte, es zu seinem 60. Geburtstag nächstes Jahr ins Streaming schaffen wird. Auch die Arbeit an der Serie „Daredevil: Born Again“ wurde einstweilen gestoppt (beide vermutlich bei Disney+) Dafür kommt am 6. Oktober dieses Jahres die zweite Staffel der überragenden Marvel-Serie „Loki“. (bei Disney+)
„Duster“: Die Abenteuer eines Fluchtwagenfahrers (Josh Holloway), der in den 70er-Jahren vom FBI rekrutiert wird. Ausführender Produzent ist J. J. Abrams („Lost“). Alle Motoren schweigen still bis zum Streikende. (vermutlich bei Wow)
„Metropolis“: Auf den Look war man gespannt. Aber „Metropolis“, Sam Esmails über lange Zeit für Apple TV+ vorbereitete Adaption von Fritz Langs Science-Fiction-Klassiker aus dem Jahr 1927, wurde aufgrund der Arbeitsniederlegungen eingestellt – in diesem Fall endgültig.
Weitere Verschiebungen auf unbestimmte Zeit betreffen etwa die respektlosen Trickfilmserien „American Dad“ und „Family Guy“ (beide Disney+), die vierte Staffel der Romanze „Emily in Paris“ (Netflix), die dritte der Identitätssuche „Euphoria“ (Wow) mit dem am 31. Juli verstorbenen Darsteller Angus Cloud (Wow), ebenfalls die dritte der Gesellschaftssatire „The White Lotus“ (Wow), die 25. der langlebigen Krimiserie „Law & Order: Special Victims Unit“ (Wow), die zweite Staffel der Agentenserie „The Old Man“ mit Jeff Bridges (Disney+) und die zweite der Arbeitswelt-Utopie „Severance“ (Apple TV+) mit Matt Scott. Und auch „The Penguin“, eine Serie, in der Colin Farrell seine Rolle des Bösewichts aus Matt Reeves’ Film „The Batman“ wieder aufnehmen wird, fordert Geduld von Comicfilmfreunden (dann vermutlich bei Wow).
Die Fans dieser Serien können aufatmen
„House of the Dragon“: Das „Game of Thrones“-Prequel ist zwar eine US-Produktion, wird aber in Großbritannien mit einem weitgehend britischen Ensemble weitergedreht. Die Skripts waren vor Beginn des Autorenstreiks fertig geschrieben. Die britische Gewerkschaft Equity zeigt sich zwar solidarisch mit den Streikenden in den USA. Aber Großbritannien hat strenge Arbeitsgesetze, die es den Gewerkschaftsmitgliedern nicht erlauben, gemeinsam mit Kollegen in anderen Ländern zu streiken. (bei Wow)
„Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“: Das Branchenblatt „Variety“ vermeldete kurz vor Beginn des Schauspielerstreiks, dass die Dreharbeiten zur zweiten Staffel der „Herr der Ringe“-Prequelserie abgeschlossen seien. Deshalb kann das Geheimnis um den hageren Meteoritenmann im nächsten Jahr gelüftet, der Kampf gegen den zuletzt entlarvten dunklen Herrscher Sauron pünktlich wieder aufgenommen werden. (bei Amazon Prime Video)
„Dune: The Sisterhood“: Die Prequelserie zum „Wüstenplanet“-Kinospektakel mit Timothée Chalamet kann in Budapest weitergedreht werden. Die Verträge zu dem Sci-Fi-Projekt, dessen Ereignisse 10.000 Jahre vor denen des Films von Dennis Villeneuve liegen – auch die von amerikanischen SAG-Mitgliedern – laufen über die Brit-Gewerkschaft Equity. Wer hier boykottiert, kann aufgrund der strikten britischen Anti-Streik-Gesetze von den Studios per Klage ans Set zurückgezwungen werden. (vermutlich bei Wow)
Ausnahmegenehmigungen für unabhängige Produktionen
Ausnahmegenehmigungen wurden von der SAG-AFTRA zum Unmut mancher Gewerkschaftsmitglieder einigen unabhängigen Serien- und Filmproduktionen erteilt, die keine Verbindungen zum SAG-Verhandlungspartner, der Alliance of Motion Picture and Television Producers (AMPTP), also „den großen Studios“, haben. Als bedeutendste Serienprojekte wären hier zu nennen: die vierte Staffel des per Crowdfunding finanzierten Jesus-Biopics „The Chosen“ und die dritte Staffel der Agentenserie „Teheran“. Am 27. Juli wurden Ausnahmeregelungen gewährt, die es SAG-AFTRA-Mitgliedern erlauben, sich an diesen Produktionen zu beteiligen.
Wie es nach einem Ende des Streiks mit all den Produktionen weitergeht, wird sich weisen. Viel hängt davon ab, für welche Projekte sich Autorinnen und Autoren sowie Schauspielerinnen und Schauspieler in der Zeit danach vertraglich verpflichtet haben. Zuweilen könnte ein „aufgeschoben“ also durchaus ein „aufgehoben“ heißen.
Festivals und Preisverleihungen ohne Stars auf dem roten Teppich?
Die kommenden Branchenveranstaltungen, darunter die Filmfestivals von Venedig (30. August bis 9. September), Telluride, Colorado (31. August bis 4. September) und Toronto (7. bis 17. September) sowie die Emmy-Verleihung am 18. September werden möglicherweise ohne Stars auf den roten Teppichen stattfinden. Beim letzten Schauspielerstreik im Jahr 1980 dauerte die Arbeitsniederlegung zehn Wochen, und die Kosten für beide Seiten wurden auf etwa 100 Millionen Dollar (etwa 91 Millionen Euro) beziffert, was heute etwa 370 Millionen Dollar (etwa 337 Millionen Euro) entspräche.
RND
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