Die Schöne und ihr Biest Manuel Schmitt inszeniert Oper „Salome“ als Bibel-Thriller

Die Schöne und ihr Biest
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Die bereits vierte Inszenierung des 34-Jährigen in Gelsenkirchen hält sich eng an die Textvorlage von Oscar Wilde, vollzieht sich im Einklang mit der Musik von Richard Strauss – und bricht doch mit so manchen Sehgewohnheiten.

Der Operneinakter spielt bei Manuel Schmitt in einem nächtlichen Innenhof, der nur von einer riesigen Mondscheibe, wie sie im Libretto immer wieder erwähnt ist, erhellt wird (Bühne: Julius Theodor Semmelmann). Die Soldaten tragen Gewehre, sämtliche Personen sind schwarz gekleidet.

Gefangene im Käfig

Für erste größere Irritationen sorgt der gefangene, hier in einem Käfig gehaltene Jochanaan: Seine verkrustete, von einer tentakeligen Masse umgebene Gestalt erinnert eher an Davy Jones‘ Crew Untoter aus den „Fluch der Karibik“-Filmen als an den biblischen Propheten Johannes den Täufer.

Im Gegenüber mit der Schönen (Salome) könnte man ihn auch als das Biest assoziieren. Dabei erscheint dieses „wilde Tier“ nur so, wie Salome es erlebt: als schrecklich, mit grässlichem, an einen Aussätzigen erinnerndem Leib.

Tanz der Vergewaltiger

Salomes berühmter „Tanz der sieben Schleier“, für den sie am Ende den Kopf des Jochanaan fordern wird, ist bei Schmitt kein orientalisch-erotischer Solotanz, bei dem sie die Hüllen fallen lässt. Stattdessen fallen dabei – von Tenald Zace so virtuos wie beklemmend choreografiert – unter den voyeuristischen Blicken ihres geilen Stiefvaters Herodes die umstehenden, zuvor theologisch streitenden Männer als Gruppenvergewaltiger über sie her.

Anschließend werden Salome in Verkehrung des Täter-Opfer-Sachverhalts mit schwarzer Farbe Schandflecken auf ihr helles Unterkleid geschmiert. „Durch das Weib kam das Übel in die Welt“, hatte zuvor ja selbst Jochanaan konstatiert.

Auch musikalisch überwältigend

So überwältigend wie die Regie ist in Gelsenkirchen auch die musikalische Ausführung: Strauss‘ sinnlich-dramatischer, fast schon psychoanalytisch in die Figuren eindringender sinfonischer Soundtrack ist bei Dirigent Rasmus Baumann und der Neuen Philharmonie Westfalen in besten Händen.

Susanne Serfling, die die Salome zuvor schon in fünf Inszenierungen gesungen und aufgrund ihrer Ballettausbildung auch getanzt hat, bewältigt die wahnsinnig fordernde Titelpartie auch hier vibrierend sinnlich und mit bravourösem dramatischem Ausdruck. Der britische Bariton Benedict Nelson – ebenfalls Gastsolist – imponiert mit strahlkräftiger Stimme und deutlicher Textverständlichkeit als Jochanaan.

Starkes Ensemble

Martin Homrich geht stimmlich und darstellerisch voll auf in der Rolle des als Dickwanst und Lüstling gezeichneten Herodes – eine Paraderolle für den Tenor. Almuth Herbst ist seine furienhafte, am Ende von Genugtuung erfasste Gattin.

Khanyiso Gwenxane lässt seinen Tenor als in Salome verliebter Narraboth strahlen. Lina Hoffmann (Page) und Yevhen Rakhmanin (Erster Soldat) setzen weitere Glanzlichter in dieser uneingeschränkt empfehlenswerten Opernproduktion.

Termine: 28. / 30. 9., 8. / 13. / 15. / 29. 10., 1. / 12. 11.2023; Karten: Tel. (0209) 40 97 200.

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