Vor der Premiere der Oper „Die Jüdin“ von Fromental Halévy am Sonntagabend im Dortmunder Opernhaus brauchte Intendant Heribert Germeshausen starke Nerven: 16 Tage zuvor hatte er den Regisseur ausgetauscht, sechs Stunden vor der Premiere wurde ein Hauptdarsteller krank.
Karl-Heinz Lehner konnte den Kardinal nicht singen, Germeshausen bat um 12 Uhr die Doppelbesetzung Denis Velev aus Paris anzureisen, verschob die Premiere von 18 auf 19.30 Uhr und ließ alle Kartenkäufer informieren.
Zuschauer aus ganz Deutschland
Während sich das Publikum bei einem Freigetränk auf die Premiere einstimmte, erreichte Velev um 19.13 Uhr das Opernhaus – und sang dann einen großartigen Kardinal: Markant, mit profunder Tiefe und überlegen ausdrucksstark.
Musikalisch ist durchweg in dieser Produktion alles herausragend. Da hat die preisgekrönte Dortmunder Oper, die zurzeit im Höhenflug ist, ein Stück herausgebracht, das international mit Produktionen der Welthäuser mithalten kann.
Dortmund ist damit Reisestadt für Opernfans – das zeigten auch die Autokennzeichen aus ganz Deutschland in der Tiefgarage.
Die letzten Akte sind spannender
Der Niederländer Sybrand van der Werf hat in den ersten drei der fünf Akte als Regisseur viel von seinem Vorgänger übernommen. Leider und der knappen Zeit geschuldet, muss man sagen, wenn man die Akte vier und fünf gesehen hat. Denn die sind dichter und packender inszeniert. Dennoch gibt es keinen Bruch.
Die Bühne (Martina Segna und Sybrand van der Werf) ist in den ersten drei Akten blass und leer. Der Raum ist zu groß, um darin auch ein Kammerspiel zu zeigen. Dann wirkt manches eben statisch – wie der Chor. Oder verloren – wie der Tisch im zweiten Akt.
Kerker-Hölle voller Fratzen
Für die beiden letzten Akte fährt ein kleiner Kerker-Höllenraum mit Fratzen an den Wänden aus der Unterbühne herauf. Der Raum bringt die passende Intimität für die Geschichte über den jüdischen Juwelier Éléazar, der das Kind des Kardinals großgezogen hat, diesem Mädchen Rachel ihre Herkunft aber verschweigt.
Als sich Rachel in einen Christen verliebt und deshalb zum Tode verurteilt wird, könnte Éléazar sie vor dem Henker retten.
Blick in die Seele der Figuren
An Dramatik, packenden Darstellungen von Seelenqualen des Vaters und anrührender Pein ist in Van der Werfs Inszenierung das Ende der gut dreistündigen Opern kaum zu überbieten.
Der 45-jährige Niederländer lässt das Publikum in allen fünf Akten in die Seelen der Figuren blicken. Und wie es darin aussieht, zeigen vor allem Tenor Mirko Roschkoswki als Éléazar und Barbara Senator als Rachel mit beeindruckender und fesselnder Intensität.
Roschkowski singt und spielt grandios
Van der Werf inszeniert die Pogromszene im dritten Akt, die zur Trennung von dem vorherigen Regisseur geführt hat, als Albtraum im Kopf des jüdischen Juweliers. Ein äußerst kluger Kniff, denn dadurch verliert das Massaker der Christen an den Juden an Schrecken.
Roschkowski durchlebt diesen Albtraum großartig, so wie er auch am Schluss sein Hadern mit der Entscheidung, die Identität der Tochter preiszugeben, mit größter Präsenz zeigt. Und stimmlich ist der in Dortmund aufgewachsene Sänger mit einem starken, aber elegant geführten und farbenreichen Tenor eine Idealbesetzung für diese Grand-Opéra-Partie.
Barbara Senator ist die perfekte Rachel
Barbara Senator ist eine ebenso exzellente Rachel: kraftvoll singt sie die liebende und verzeihende Frau, zeigt aber sehr schön auch ihre Zerbrechlichkeit.
Sungho Kim ist Léopold, den Rachel liebt – ein toller Sänger mit glasklar geführter Stimme. Und Enkeleda Kamani singt die Prinzessin, die Léopolds Herz erobert, mit Kristall-Sopran und im Märchen-Prinzessin-Kostüm (Annette Braun).
Philipp Armbruster dirigierte die Dortmunder Philharmoniker, die Grand Opéra ebenso gut spielen wie Wagner. Euphorischer Applaus. „Die Jüdin“ ist auch Teil des „Wagner-Kosmos“ um den Dortmunder „Ring“.

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