Die Energiekrise dauert an Neue Fakten zum Tempolimit widerlegen Verkehrsminister Wissing

Die Energiekrise dauert an: Neue Fakten zum Tempolimit widerlegen Verkehrsminister Wissing
Lesezeit
Ulrich Breulmann

Es ist Mai und wir leben noch. Selbstverständlich ist das nicht. Im vergangenen Jahr zur gleichen Zeit malte so mancher ein Weltuntergangsszenario vor dem bevorstehenden Winter an die Wand. Strom und Gas würden nicht reichen, hieß es. Die Alarmstufe des Notfallplans Gas wurde ausgerufen.

Beim Strom drohten ebenfalls verheerende Engpässe. Katastrophen-Pläne wurden geschrieben: Was wird zuerst abgeschaltet, wenn uns der Energie-Saft ausgeht? Dramatische Apelle, Energie zu sparen, echoten durchs Land.

Sie erinnern sich noch an Kurz-Dusch-Ratschläge, an Schaufenster-Licht-Aus- und Temperatur-runter-Verordnungen? Etliche Vorschriften, wie etwa das Verbot, Baudenkmäler anzuleuchten, sind gerade erst am 15. April weggefallen.

Das Leid ist fern, das eigene Leben ist nah

Es hat funktioniert. Es ist Mai. Wir sind nicht erfroren. Wir haben nicht im Dunkeln hocken müssen und Auto fahren durften wir auch noch. Ein kollektives Aufatmen geht durchs Land. Viele von uns glauben ganz offensichtlich, das war’s jetzt. Genug gespart, genug getan, wir wollen unser altes Leben zurück.

Übel nehmen kann ich das niemandem. So manches in unserem Alltag sieht ja tatsächlich wieder aus, als hätten wir die Ukraine-Krise überwunden. Ja, es wird noch gebombt und geschossen. Das tut uns allen auch fürchterlich leid, aber: Fast 15 Monate Krieg mit Tod und unsäglicher Not, täglich zerstörten Häusern und ausgelöschten Leben – da stumpft auch der empathischste Mensch ab. Irgendwann blickt man nicht mehr ganz so stark auf das ferne Leid, sondern wieder auf sein nahes, sein eigenes Leben.

Vor einem Jahr kostete ein Liter Diesel 2,33 Euro und heute?

Auf einer alten Tank-Quittung las ich jetzt, dass ich Anfang März 2022 für einen Liter Diesel 2,33 Euro bezahlt habe. Gestern an der Tankstelle lag der Preis bei 1,53 Euro, 80 Cent darunter. Immer noch hoch, aber erträglich. Geht doch. Wieder ein Stückchen weiter raus aus der Krise in Richtung Normalität.

Oder: Der Füllstand der bundesweiten Gasspeicher liegt jetzt Anfang Mai laut Bundesnetzagentur bei 67 Prozent. Das sind satte 31 Prozentpunkte mehr als am 2. Mai 2022 (36,12 Prozent) und sogar 41 Prozentpunkte mehr als am 2. Mai 2021 (25,79 Prozent). Da können wir uns doch entspannt zurücklehnen: Alles im Griff.

Wirklich? Können wir also die Heizungen wieder ein paar Grad höher drehen und beim Stromverbrauch unsere permanenten Einspar-Checks einstellen?

Ausbau der regenerativen Energien im Schneckentempo

Das wäre ein gefährlicher Irrtum. Wir haben den Winter überstanden, mit gewaltigen Kraftanstrengungen, aber wir sind noch lange nicht über den Berg. Und das liegt nicht nur an dem noch längst nicht beendeten Krieg in der Ukraine.

Wenn uns die Energie-Krise eines gelehrt hat, dann, dass wir uns dringend unabhängiger von fossilen Energien machen müssen. Die müssen wir nämlich praktisch komplett importieren. Und beim Ausbau der regenerativen Energien schreiten wir noch immer eher im Schneckentempo voran als dass wir den Turbo angeworfen hätten.

Nach Daten des Bundesumweltamtes vom März lag Ende 2022 der Anteil der regenerativen Energien beim Stromverbrauch bei 46,2 Prozent, beim Thema Wärme bei 17,2 Prozent und im Verkehrssektor bei gerade einmal 6,8 Prozent. Das reicht noch lange nicht, um unser Land auch nur annähernd autark in der Energieversorgung zu machen.

Ja, der Ausbau regenerativer Energien läuft, aber der Bau neuer Windräder und Solaranlagen, der Umstieg von Gas- und Ölheizungen auf Wärmepumpen jedweder Art braucht einfach Zeit.

Die preiswerteste Energie ist die, die wir nicht benötigen

Deshalb wäre es fahrlässig und riskant, die Sparbemühungen herunterzuschrauben. Stattdessen sollten wir uns auf einen Grundsatz besinnen: Die preiswerteste Energie ist die, die wir gar nicht erst benötigen. Das sollte der Leitsatz beim Handeln in unserem privaten Bereich sein. Das sollte aber auch für das Handeln in unserem Land gelten.

Daher wird es für mich von Tag zu Tag widersinniger und unverständlicher, dass sich Bundesverkehrsminister Volker Wissing weiter wider alle Vernunft gegen ein Tempolimit auf deutschen Straßen sträubt. Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat dazu in ihrer jüngsten Ausgabe bekannte, aber auch neue Fakten zusammengetragen.

Auf 70 Prozent der Autobahnen gibt es kein Tempolimit

Danach würde Tempo 120 auf Autobahnen Sprit im Wert von 766 Millionen Euro im Jahr sparen und den Ausstoß an Treibhausgasen um 6,7 Millionen Tonnen verringern. Zugleich räumt diese Daten-Sammlung mit dem Vorurteil auf, Tempo 120 bringe eh nichts, weil es ohnehin fast überall Tempolimits gebe und man nur an wenigen Stellen wirklich schnell fahren dürfe.

Die Fakten widerlegen diese von Volker Wissing und seinen FDP-Mitstreitern gebetsmühlenartig befeuerte Stammtisch-Parole: Auf 18.115 Autobahn-Kilometern in Deutschland gibt es laut ZEIT-Recherchen kein Tempolimit. Das sind 70 Prozent aller Autobahnen. Permanente Beschränkungen gebe es lediglich auf 5.363 Kilometern. Das sind 21 Prozent. Auf 2.280 Kilometern, oder 9 Prozent, gelten Tempolimits abhängig vom Verkehrsaufkommen. Ein Generelles Tempolimit hätte also sehr wohl eine riesige Wirkung.

Und dass ein Tempolimit die Straßen zugleich wirklich sicherer machen würde, auch das zeigen die Daten. Die Zahl der Unfälle mit Schwerverletzten oder Toten liegt auf Autobahnen mit Tempolimit deutlich niedriger als auf den Streckenabschnitten ohne Geschwindigkeitsbegrenzung.

Gewaltiges Einspar-Potenzial einfach in den Wind geschlagen

Ich halte es übrigens für absolut richtig, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck Druck macht, mit Öl und Gas befeuerte Heizungen möglichst rasch auszutauschen, aber: Das bedeutet für sehr, sehr viele kleine Leute, die sich ihr Eigenheim ein Leben lang erarbeitet und erspart haben, eine maximale Herausforderung.

Allein schon vor dem Hintergrund dieser Zumutungen an die kleinen Eigenheimbesitzer finde ich es unerträglich, dass Wissing und Co. die auf einen Schlag mit einem Federstrich mögliche Einsparung von Millionen Tonnen fossiler Energie einfach starrköpfig in den Wind schlagen. Ein ebenso unnötiges wie empörendes Geschenk an alle Raser.

Mitte der 1970-er-Jahre, also vor rund 50 Jahren, wurde Tabakwerbung aus den Fernsehern verbannt. Seinerzeit warb Marlboro mit dem Slogan „Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer“. Der Spruch ist genauso dämlich und falsch wie heute das Motto der Tempolimit-Gegner „Freie Fahrt für freie Bürger.“ Besser auf sie passen würde der Spruch: „Der Geschmack von Sturheit und Ignoranz“.

Einkaufspreis für Strom ist stark gesunken: Trotzdem erhöhen Grundversorger sogar den Preis

Stromanbieter jetzt wechseln? Wenn ja, wie?: Expertin erklärt, was Verbraucher tun sollten

Schröders Klage gegen den Bundestag scheitert: Keinen Anspruch auf Privilegien