Die Tochter des Pentheus (im Vordergrund: Valentina Schüler) führt in Dortmund die verlorenen Kinder an, die von den talentierten Studenten und Studentinnen der Folkwang Universität der Künste in Essen gespielt werden.

Die Tochter des Pentheus (im Vordergrund: Valentina Schüler) führt in Dortmund die verlorenen Kinder an, die von den talentierten Studenten und Studentinnen der Folkwang Universität der Künste in Essen gespielt werden. © Birgit Hupfeld

Die „Bakchen“ bleiben kunterbunt und allzu harmlos

rnSchauspiel Dortmund

Das Drama „Die Bakchen“ erzählt im Original des Autors Euripides von Frauen in Ekstase. Im Dortmunder Schauspiel zeigt Regisseurin Julia Wissert stattdessen Kinder in seelischer Not. Doch sie handelt das wichtige Thema allzu harmlos ab. Ein Problem ist das Bühnenbild.

Dortmund

, 18.09.2022, 16:44 Uhr / Lesedauer: 2 min

Wie stellt man sich eine entfesselte Gruppe vor, die in einer Orgie der Gewalt einem Mann den Kopf abreißt und ihn zerlegt, bis sein „Fleisch wie Bälle durch die Luft“ fliegt? So hat der antike Autor Euripides in seinem Stück „Die Backchen“ den Tod von König Pentheus beschrieben. In Dortmund bleibt der Mord in der Regie von Julia Wissert so harmlos, dass die „Bakchen“ an Wirkung verlieren und verblassen.

Sabine Reich sorgt für eine ganz neue Deutung

Doch von Anfang an, und der liegt weit zurück: Euripides lebte etwa von 485 bis 406 vor Christus. „Die Bakchen“ – gemeint sind die Bacchantinnen, die Verehrerinnen des Weingottes Dionysos – schrieb er kurz vor seinem Tod. Es ging ihm um den Gegensatz zwischen Menschen, die das Leben genießen wollen, und ihrem König Pentheus, der Vernunft und Maß propagiert.

In Dortmund (Premiere am 17.9.2022) kommt stattdessen der Konflikt von einsamen Kindern und desinteressierten Eltern auf die Bühne. Das ist deutlich zeitgemäßer. Produktionsdramaturgin Sabine Reich hat den antiken Text klug mit Teilen eines Depressionstagebuches von Nikxxo kombiniert, der seine psychische Not auf der Autoren-Plattform „Wattpad“ im Internet öffentlich gemacht hatte. So kam die Dortmunder Version „Bakchen – die verlorene Generation, nach Euripides“ zustande.

Reiche junge Leute in weißen Klamotten

Im Nebel tauchen sie auf: eine Gruppe von Jugendliche, weiße Kniestrümpfe, Mini-Faltenröckchen, V-Pullis, weiße Schweißbänder. Das sieht nach Jeunesse dorée (vergoldeter Jugend) aus, Kinder reicher Eltern, vielleicht gerade eingetroffen von Papas Tennisplatz. Die jungen Männer und Frauen können nicht mehr lachen, leiden an lieblosen Vätern und Müttern. „Es ist wie ein Ertrinken“, sagen sie. „Wie eine schwere Decke, die auf mir liegt und mich daran hindert, aufzustehen.“

Antje Prust als Dionysos führt sie in die Natur, windet sich verführerisch schon zu Beginn im Foyer, gibt den Gott kraftvoll, körperbetont und doch entrückt. Ihr Gegner ist Pentheus, von Adi Hrustemović sympathisch-zurückhaltendend gespielt. Als Vater wird er misstrauisch, mischt sich heimlich unter die Gruppe und wird ermordet – in Dortmund von seiner Tochter (herausragend: Valentina Schüler). Ihr Großvater Kadmos (Alexander Darkow) hatte nicht vermitteln können.

Das Bühnenbild wirkt so lieb wie nichtssagend

Fatal an der Inszenierung der Intendantin und Regisseurin Julia Wissert ist das allzu liebe Bühnenbild von Nicole Marianna Wytyczak, das ein Ausbund an Harmlosigkeit ist. Auf der Drehbühne scheinen Pferdeskulpturen und ein Auto in den Boden zu sinken, dahinter psychedelische Farbspiele – nichtssagend. Die Blumenkinder, die Blüten in eine Treppe stecken, sind pures Klischee. Eine ähnliche Bühne hatte Pina Bausch schon 1982 für „Nelken“ erfunden, nur besser. Kostüme von Mascha Mihoa Bischoff wie der bunte Anzug des Pentheus symbolisieren nicht gerade ernsthafte Probleme.

Die jungen Menschen werden von Studenten und Studentinnen des „Physical Theatre“ an der Folkwang-Uni dargestellt, toll trainiert und talentiert. Sie hätten die seelische Not ihrer Figuren sicher auch anders ausdrücken können als mit Zeitlupen-Bewegungen oder Diskotanz in zart blutbeschmierten Trikots (Choreografie: Keelan Whitmore).

Stück dauert gut 80 Minuten

Julia Wissert hat dem 80-minütigen Stück alle Drastik ausgetrieben, die Orgien sind gar keine. So nimmt sie den „Bakchen“ jede Stoßkraft. Ein Abend, der schön bunt aussieht und keinem wehtut. Aber er wird der von ihr selbst gewählten Thematik nicht gerecht.

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