Im Kreis Unna haben sich in den vergangenen Tagen Tausende Menschen zu Kundgebungen versammelt. Die Teilnehmer demonstrierten wie in ganz Deutschland mal „für Vielfalt und Demokratie“ oder „gegen rechts“.
Auslöser für die bundesweite Entrüstung war das sogenannte Geheimtreffen von Potsdam, bei dem nach Recherchen von Correctiv eine Gruppe Rechtsextremer Pläne für weitgehende Abschiebungen von Ausländern und selbst von deutschen Staatsbürgern mit Migrationshintergrund ausgebreitet hatte.
Bürgermeister als Mitveranstalter
Ob in Lünen, Unna, Schwerte oder Kamen – neben den Stadtoberhäuptern ergriff auf einigen Protestveranstaltungen im Kreis auch Landrat Mario Löhr das Wort. Die Bürgermeister waren dabei nur ausnahmsweise auch die Veranstalter.
In Lünen hatte etwa der überparteiliche Aktionskreis gegen Rechtsextremismus die dortige Veranstaltung organisiert, in Schwerte war es das Bündnis gegen rechts. In Kamen war Hauptorganisator der SPD-Ratsherr und Ortsvereinsvorsitzende Gökcen Kuru.
Dagegen rief in Unna der Bürgermeister selbst gemeinsam mit dem Runden Tisch gegen Gewalt und Rassismus zur Kundgebung auf. Der Runde Tisch in Unna wird von einem breiten Spektrum von Unterstützern getragen, von Schulen und Gewerkschaften über Parteien und Polizei bis hin zu religiösen Gemeinschaften und Wohlfahrtsverbänden.
Die Kreisverwaltung hatte unterdessen erst kürzlich einen 90-sekündigen Videospot „für Demokratie und Toleranz“ mit Statements von Beschäftigten im Kreishaus, darunter der Landrat, veröffentlicht. Motto: „Unbeirrbar demokratisch“.
Gebot politischer Neutralität?
An der Mitorganisation und an Äußerungen von Amtspersonen hat es nach den Demonstrationen vereinzelt Kritik gegeben. Der unpräzise Vorwurf, der ohne Ergebnis in den Raum gestellt wurde: Die Wahlbeamten hätten womöglich ein „Gebot politischer Neutralität“ verletzt. Denn der Titel einiger Demonstrationen beinhaltete dezidiert den Zusatz „gegen rechts“.
Wer die These einseitig so formuliert, unterschlägt die Möglichkeit, dass die Amtsträger ihre Pflichten ebenso gut nicht verletzt haben könnten. In besonderem Maße trifft der Argwohn einer Amtspflichtverletzung den Bürgermeister von Unna.

Dirk Wigant war nicht nur als Mitveranstalter der Demo in der Kreisstadt aufgetreten, sondern hatte in seiner Rede unter anderem erklärt, der Rechtsstaat müsse wehrhaft sein. Er müsse sich „verteidigen mit allen demokratischen und rechtsstaatlichen Mitteln - ja, auch bis hin zum Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen. Und das muss er endlich auch mal tun.“ Der CDU-Politiker soll sich in den Augen von Kritikern eventuell gegen eine Vorschrift im Beamtenstatusgesetz vergangen haben. Aber hat er wirklich Gebote verletzt?
Paragraf 33 Absatz 2 dieses Gesetzes besagt, dass Beamte „bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren [haben], die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt“.
Beamte dürfen sich politisch betätigen
Aus dem Gesetzestext ergibt sich bereits selbst, dass Beamte an politischer Betätigung nicht gehindert sind. Die Bundeszentrale für politische Bildung zitiert insofern den renommierten Rechtswissenschaftler Joachim Wieland, der selbst im Zusammenhang mit Lehrern von einem „Mythos“ hinsichtlich eines vermeintlichen politischen Betätigungsverbots spricht.

Daran ändert nach Auffassung des Deutschen Beamtenbundes (DBB) auch eine noch grundsätzlichere Maßgabe des Bundesbeamtengesetzes nichts: „Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei“, heißt es da in Paragraf 60.
Das Grundgesetz, so der DBB, gehe vom „aktiven Bürger“ aus – „und das nicht nur im Zusammenhang oder im Vorfeld von Wahlen.“ Auch Beamte seien aber „ohne Zweifel Staatsbürger“ wie jeder andere Mensch.
Die Interessenvertretung der Beamten schlussfolgert daraus: Beamte dürfen sich für – nicht verfassungswidrige – Parteien engagieren, auch ein Mandat anstreben und auch ihre politische Meinung äußern: „Aber außerhalb des Dienstes.“
Demonstration nach der Dienstzeit
Insofern hat die Stadtverwaltung in Unna mit dem Zeitpunkt der Kundgebung an einem Freitagnachmittag, beginnend um 16.30 Uhr, auch nach außen hin alles dafür getan, einen Anschein von dienstlicher Tätigkeit ihres Chefs zu vermeiden.
Private Meinung – wie die Forderung nach einem Parteiverbot – und dienstliches Handeln – zum Beispiel die Gleichbehandlung auch einer nicht genehmen Partei bei Verwaltungsentscheidungen – müssen eben getrennt bleiben.
Ihr Amtseid verpflichtet die Amtsträger jedenfalls stets dazu, für die freiheitlich demokratische Grundordnung einzutreten. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages sieht bei der Abwägung zwischen Mäßigungsgebot und Meinungsfreiheit der Beamten hierin einen Minimalkonsens.
„Die Mehrheit in diesem Land ist demokratisch, die Mehrheit ist tolerant, weltoffen und sie steht hinter den fundamentalen Werten unserer Gesellschaft“, sagte beispielsweise Landrat Mario Löhr bei der Kundgebung auf dem Postplatz in Schwerte.
So oder so ähnlich äußerte sich der dortige Bürgermeister Dimitrios Axourgos, nicht anders war es in Lünen, wo Bürgermeister Jürgen Kleine-Frauns sprach, und in Kamen, wo Bürgermeisterin Elke Kappen eine Rede hielt. Und auch der Grundtenor der Äußerungen des Unnaer Bürgermeisters unterschied sich hiervon nicht.