Dem Erdbeben in der Türkei folgt Vertragsauflösung Die emotionale Geschichte von Tarik Kurt

Dem Erdbeben in der Türkei folgt Vertragsauflösung: Die emotionale Geschichte von Tarik Kurt
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Um Punkt 10 Uhr betritt Tarik Kurt am Dienstagvormittag gemeinsam mit Rene Johannes die Geschäftsstelle des Königsborner SV an der Kamener Straße. Lars Rohwer wartet bereits. Der Fußball-Landesligist um Sportchef Johannes und Medienmann Rohwer hatte zum Pressetermin geladen. Ein Neuzugang soll vorgestellt werden. Es ist der Königsborner Königstransfer: Ex-Profi Kurt, der mit dem BVB in der Jugend mehrfacher Deutscher Meister wurde, stürmt ab der kommenden Saison in der Schumann Arena.

Dass der 25 Jahre junge Fußballspieler und mittlerweile Ex-Profi zurück zu seinen Wurzeln nach Königsborn kommt, hat viel mit Zufall oder Schicksal zu tun. Tarik Kurt erzählt seine emotionale Geschichte.

Das Herz schlägt für Schalke 04

Angefangen hat er schon mit fünf oder sechs Jahren beim KSV. Ganz genau weiß er das nicht mehr. „Ich habe circa sieben Jahre hier gespielt, bin dann für ein Jahr zum SuS Kaiserau gegangen und wurde dann vom BVB gescoutet“, sagt er. Ab der U13 durchlief Kurt fortan alle Jugendmannschaften der Dortmunder Borussia, holte jedes Jahr die Westdeutsche Meisterschaft und feierte mit der U17 (2) und der U19 schließlich dreimal die Deutsche Meisterschaft.

Dass Tarik Kurt damals zum BVB ging: eigentlich ein kleiner Skandal. „Ich schlafe immer noch mit einem Schalke-Kissen“, sagt er und lacht. Rene Johannes und Lars Rohwer reißen die Arme nach oben und jubeln − auch sie sind Anhänger der Königsblauen. „Als ich nach Dortmund kam“, erläutert Kurt, „hat es sich ein bisschen neutralisiert. Wenn es für die Profis aber gegen die Blauen ging, dann war ich immer für Schalke.“

Tarik Kurt (l.) im BVB-Trikot und im Duell mit seinem Lieblingsverein: dem FC Schalke 04.
Tarik Kurt (l.) im BVB-Trikot und im Duell mit seinem Lieblingsverein: dem FC Schalke 04. © imago/Revierfoto

Den Sprung zu den Profis beim BVB aber schaffte Kurt nicht. Seine Perspektive sah eigentlich nicht schlecht aus, wie er sagt: „Mein Vertrag für den U19-Altjahrgang wurde verlängert, doch dann habe ich mich verletzt.“ Die Diagnose: Haarriss im Fuß. Drei bis vier Monate kein Fußball. Es war Kurts erste größere Verletzung. „Diese Zeit war extrem schwierig für mich. Ich war jung, 18 Jahre, aber immer noch ein Kind. Dann siehst du während der Physio die Jungs kicken, du kannst selbst nicht mitmachen und helfen. Das tat weh und hat auch was mit meiner Psyche gemacht.“

Pulisic macht Kurts Perspektive zunichte

Der BVB hatte damals einen „Bomben-Kader“ (Kurt): „Ich hatte Gespräche mit dem Trainer. Er hat mir gleich gesagt, ich könne zwar bleiben, würde aber wohl nicht mehr allzu viel Spielzeit bekommen.“ Der BVB holte damals einen gewissen Christian Pulisic. „Dann ist ein Kurt egal“, sagt der 25-Jährige. Er wirkt dabei aber nicht so, als würde er deswegen einen Groll hegen.

Dann klingelte ganz bald das Handy von Kurt. Am anderen Ende: Mike Tullberg (heute BVB-U19-Trainer), damals U19-Trainer bei RW Oberhausen. „Ich war anfangs skeptisch“, sagt Kurt, „es ist ja schon ein Unterschied von der Junioren-Bundesliga mit Ambitionen zum Profibereich zur Senioren-Regionalliga (wo die A-Mannschaft von RWO spielt, Anm. d. Red.).“ Am Ende traf Kurt aber eine „wichtige und richtige Entscheidung“. Er sagte in Oberhausen zu, spielte hier mehrere Jahre − zunächst in der U19, dann in der A-Mannschaft, wo er regelmäßige Einsatzzeiten bekam und viele Tore erzielte.

„Im Nachhinein war es der schönste Anruf, den ich jemals bekommen habe. Ich bereue nicht, diesen Schritt gemacht zu haben. Mike (Tullberg) hat mir viel beigebracht. Unter ihm habe ich mich extrem verbessert.“ Und er erweiterte auch seine Titelsammlung. „Wir haben den Verbandspokal gegen RW Essen gewonnen, haben uns dadurch für den DFB-Pokal qualifiziert“, sagt Kurt.

Tarik Kurt und RW Oberhauen gewannen gegen RW Essen den Niederrheinpokal und qualifizierten sich dadurch für die erste DFB-Pokal-Hauptrunde.
Tarik Kurt und RW Oberhauen gewannen gegen RW Essen den Niederrheinpokal und qualifizierten sich dadurch für die erste DFB-Pokal-Hauptrunde. © imago/Revierfoto

In der ersten Runde der Saison 2018/19 gab es allerdings für Kurt und RWO ein 0:6 gegen den SV Sandhausen. „Das war eins der Highlights“, sagt er. Dann kam ein weiterer Tiefschlag für den damals Anfang Zwanzigjährigen: die Corona-Pandemie − „die komische Zeit mit den Masken“, wie er sagt.

Nach Oberhausen, über Aachen in die Türkei

Es folgte ein Kurzintermezzo bei Alemannia Aachen. „Wir haben uns am Ende aber nicht geeinigt. Überall wurden die Gehälter gekürzt. Vom Aufwand her hätte es sich für mich nicht gelohnt, nach Aachen zu gehen“, sagt er. Also nahm er ein Angebot aus der Türkei an. „Mein Berater fragte mich, ob wir das nicht mal machen sollen.“ Kurts Antwort: „Klar, warum nicht?“

Tarik Kurt verließ RW Oberhausen zur Saison 2020/21 in Richtung Istanbulspor.
Tarik Kurt verließ RW Oberhausen zur Saison 2020/21 in Richtung Istanbulspor. © imago/Revierfoto

Letztlich blieb Kurt knapp zweieinhalb Jahre in der Türkei, spielte im Profibereich für einige Zweitligisten. „Ich wäre auch noch länger geblieben“, sagt er. „Aber nach dem Erdbeben kam alles, wie es kam...“

Als Teile der Türkei und Syriens am 6. Februar dieses Jahres von den heftigen Erdbeben erschüttert wurden, waren Kurt und seine Frau einige Autostunden vom Epizentrum entfernt. „Wir waren nicht direkt betroffen. Bei uns hatte das Erdbeben noch eine Stärke von 4,5 (um 4.17 Uhr (türkische Ortszeit) betrug die Stärke des Erdbebens zwischen 7,7 und 7,8). Das ganze Gebäude hat gewackelt, die Leute in unserem Haus wurden evakuiert. Wir standen stundenlang draußen. Das war nicht leicht.“

Zunächst habe Kurt mit nichts Schlimmem gerechnet: „Ein Erdbeben ist normal in der Türkei. Das geht manchmal nur ein paar Sekunden, dann hört‘s wieder auf. Ich habe mir auch da nichts dabei gedacht.“ Dann wurde das Erdbeben immer heftiger. „Ich habe sofort in der Nacht einen Flug nach Deutschland gebucht. Zwei Tage später bin ich mit meiner Frau zurück in meine Heimat zu meiner Familie nach Unna.“

Vertrag nach Erdbeben aufgelöst

Kurt löste in der Folge seinen Vertrag bei Sivas Belediye auf. Laut Kurt taten es ihm in der Folge noch vier oder fünf Mitspieler gleich. „Der Verein ist am Ende abgestiegen“, sagt er. „Die wollten nach dem Erdbeben eigentlich gar nicht mehr spielen, doch der Ligabetrieb ging schon nach wenigen Wochen weiter.“

Kurt selbst startet nun einen Neuanfang bei seinem ersten Verein. „Ich bin jetzt nicht mehr der Allerjüngste, das ganz große Geld würde ich mit dem Fußball eh nicht mehr verdienen. Ich mache ab August eine Ausbildung als Verfahrenstechnologe bei VDM Metals.“ Klar, sei es ihm am Anfang schwer gefallen, den Profifußball hinter sich zu lassen, „aber ich habe dann für mich einen Schlussstrich gezogen.“

Wie lange bleibt Kurt nun in Königsborn? Lars Rohwer wirft schelmisch ein: „Zehn Jahre!“ Die Runde lacht. Rene Johannes ergreift das Wort: „Wenn es nach uns geht, natürlich so lange wie möglich. Die Details mit der Laufzeit haben wir noch nicht ausdiskutiert. Es ist auf jeden Fall schön, Tarik als Königsborner Bub‘ wieder in unseren Reihen zu haben.“

Für Kurt spielt die Laufzeit offenbar auch keine allzu große Rolle. Er legt den Fokus sogleich auf die sportlichen Ziele, die − und das war zu erwarten − selbstverständlich ambitioniert sind: „Man spielt immer Fußball, um aufzusteigen. Wir wollen vernünftigen Fußball spielen, wollen uns weiterentwickeln. Wenn du guten Fußball spielst, gewinnst du Spiele. Gewinnst du alle Spiele, wirst du Meister.“ Dann, gegen 10.25 Uhr wird Kurt aber wieder ganz bodenständig, so wie er in der KSV-Geschäftsstelle die ganze Zeit rüberkam: „Aber natürlich schauen wir von Spiel zu Spiel.“ Das sind die ersten drei Euro ins Phrasenschwein.

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