Das Klettergerüst im Garten erinnert Juliane, Moritz und Lotta Keßen an den verstorbenen Opa Horst.

© Meike Holz

Das Virus hat ihren großen Traum zerstört – glücklich ist Familie Keßen trotzdem

rnFamilien in der Coronakrise

„Mensch, wie glücklich bist Du?“ wollten wir in unserer großen Corona-Umfrage wissen. Familie Keßen aus Disteln hatte eine mehrmonatige Reise geplant, als das Virus auf die Bremse drückte.

Herten (HERT)

, 11.02.2022, 17:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

Alles war lang geplant und vorbereitet: Bevor die Kinder Lotta (heute 8) und Moritz (6) in die Schule gehen, wollte die Familie Keßen mit dem Wohnwagen mehrere Monate durch Südeuropa reisen. Die letzte Chance auf eine lange Auszeit ohne Menschenmassen in der überfüllten Ferienzeit. Mutter Juliane hatte als Juristin beim Kreis Recklinghausen eine unbezahlte Elternzeit beantragt, auch Vater Christian konnte sich die Zeit für den Langzeit-Urlaub als Selbstständiger mit seiner Firma für Brandmeldeanlagen freischaufeln. „An meinem letzten Arbeitstag am 13. März 2020 wussten wir dann endgültig, dass wir unseren lang gehegten Traum ad acta legen müssen“, erinnert sich Juliane Keßen. Touristische Reisen waren in der Pandemie nicht mehr erlaubt.

Ihr cooles Lockdown-Programm haben v.l. Moritz, Juliane und Lotta Keßen in einem Corona-Fotobuch festgehalten.

Ihr cooles Lockdown-Programm haben v.l. Moritz, Juliane und Lotta Keßen in einem Corona-Fotobuch festgehalten. © Meike Holz

Dabei hatten Eltern und Kinder schon wochenlang auf einer großen Karte ihre Lieblingsziele markiert, die selbst gemachten Europa-T-Shirts für Lotta und Moritz lagen bereit. 14 Tage waren alle Familienmitglieder traurig und deprimiert.

Durch das Alternativ-Programm haben die Kinder nichts vermisst

„Irgendwann ist die Stimmung dann gekippt, die Schockstarre hat nachgelassen“, erzählt Juliane Keßen. Sie persönlich habe langsam begonnen, den Lockdown als „geschenkte Zeit“ zu erkennen. Denn während andere Berufstätige sich im Zuge der Kita- und Schulschließungen zwischen Arbeit, Homeoffice und Kinderbetreuung zerreißen mussten, konnte die 45-Jährige sich voll und ganz ihren Kindern widmen. „Mir war wichtig, ihnen eine feste Struktur zu geben.“

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Mutter und Kinder wurden von Tag zu Tag kreativer: Selbst gemachte Zirkus-Veranstaltungen wurden per Zoom den Großeltern präsentiert, zusammen mit Eltern aus dem Kindergarten organisierte die Familie Schatzsuchen, statt auf Europa-Reise zu gehen wurde ein Europa-Puzzle gekauft.... „Auch das Team vom ,Kuckucksnest’-Kindergarten hat sich ganz toll gekümmert und ist mit Lotta und Moritz mit einem Podcast, Zoom-Veranstaltungen und Haustür-Besuchen in Kontakt geblieben.“

Lotta und Moritz haben auch im Lockdown nichts vermisst. Eine Lieblingsbeschäftigung war das Bemalen von Pott-Steinen.

Lotta und Moritz haben auch im Lockdown nichts vermisst. Eine Lieblingsbeschäftigung war das Bemalen von Pott-Steinen. © Meike Holz

Genauso wichtig wie die feste Tagesstruktur war Juliane Keßen, dass die Kinder Corona nicht als Bedrohung empfinden. „Irgendwann kam die Frage: Bleibt Corona jetzt immer? Wir haben viel gesprochen und Lotta und Moritz erklärt, dass sie natürlich traurig sein dürfen. Durch unser Programm haben sie aber gemerkt, dass es Alternativen gibt, um gut durch die Pandemie zu kommen. Sie haben nichts vermisst.“ Die Zeit im Lockdown hat die Familie mit vielen Fotos in einem Corona-Fotobuch dokumentiert, das bis heute immer wieder hervorgekramt wird. Ihre Auszeit hat Juliane Keßen am Ende verkürzt, als der Kindergarten wieder startete, ist auch sie wieder arbeiten gegangen.

Schlimm wurde es erst, als der Großvater schwer erkrankte

„Wirklich schlimm“ wurde die Pandemie für die Distelner Familie erst, als ihr Vater nach einer Knie-Operation nicht wieder auf die Beine kam und abwechselnd im Krankenhaus und in der Kurzzeitpflege war. „Wir hatten kaum Besuchsmöglichkeiten, die Ärzte waren schlecht greifbar. Das Gefühl, ihm keinen Mut machen und nicht für ihn da sein zu können, hat mich richtig runtergezogen. Die Kinder durften ihren Großvater gar nicht besuchen.“ Im April 2021 ist Opa Horst dann verstorben. Sein letztes Geschenk an die Enkelkinder, ein Klettergerüst, das für die entgangene Europa-Reise entschädigen sollte, steht im Garten.

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Am meisten hatten sich Lotta und Moritz auf Italien gefreut, auf Pizza und Pasta im Stiefelland. „Aber Papa macht sowieso die beste Pizza“, sind sich die Kinder einig. Und den Alternativ-Urlaub auf einem Bauernhof in Deutschland haben alle Familienmitglieder dermaßen genossen, dass sie im Sommer sogar zwei Wochen lang die Hofpflege für die Besitzer übernehmen. Julianes Corona-Bilanz fällt eindeutig aus: „Ohne wäre es schöner, aber das Leben ist nicht vorbei und bietet auch in der Pandemie ganz viele Glücksmomente.“