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Corona-Warn-App als Total-Flopp: Fast 90 Prozent aller Fälle landen gar nicht in der App
Coronavirus
Im Frühsommer galt die Corona-Warn-App als Hoffnungsträger zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Aktuelle Zahlen zeigen: Die Corona-Warn-App ist praktisch nutzlos, das Projekt ein Desaster.
Erinnern Sie sich noch an die Corona-Warn-App? Das war doch diese App, die im vergangenen Frühsommer heiß diskutiert wurde und so etwas wie ein Rettungsring im aufgewühlten Meer der Corona-Pandemie sein sollte. Irgendwann wurde es still um diese App. Man konnte fast das Gefühl haben, dass irgendjemand sie klammheimlich abgeschaltet hat. Das ist aber nicht so, wie das Bundesgesundheitsministerium auf Anfrage mitteilte.
Bis Mittwoch vergangener Woche (24. März) sei die App 26,4 Millionen Mal heruntergeladen worden, antwortete das Ministerium auf eine entsprechende Frage der Redaktion. Das sind 31,8 Prozent der deutschen Bevölkerung. 301.104 Menschen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, hätten dieses positive Ergebnis in die App eingegeben, so dass deren Kontaktpersonen gewarnt werden konnten.
Diese Zahlen klingen zunächst einmal nach viel, sind sie das aber auch? Das Bundesgesundheitsministerium sagt: „Die CWA (Corona Warn App) ist und bleibt ein wichtiges Werkzeug, um Infektionsketten schnell zu unterbrechen. Jeder, der die App nutzt, trägt so dazu bei, die Pandemie besser zu kontrollieren.“ Das ist sicherlich in der Theorie richtig. Das Problem ist die Praxis: Wenn man nämlich genauer hinschaut, erkennt man, dass die App kaum wirklich genutzt wird.
Vergleicht man nämlich die Zahl von 301.104 über die App gemeldeten Infizierten mit der Zahl von 2.690.523 Corona-Fällen, die dem RKI bis zum 24. März gemeldet worden sind, so bedeutet das: Gerade einmal 11,2 Prozent aller Infektionsfälle sind bisher überhaupt in der App gelandet.
Testergebnisse werden der App gar nicht gemeldet
Anders ausgedrückt: 88,8 Prozent aller Fälle gehen komplett an der App vorbei, werden dort nicht registriert, niemand wird über diese App vor Kontakten mit diesen 88,8 Prozent aller Infizierten gewarnt. Dafür gibt es zwei Gründe, erstens: Jeder Infizierter selbst muss seinen Test in die App hochladen, und das machen ganz offensichtlich längst nicht alle. Das ist aber ganz offensichtlich nur das kleinere Problem.
Das größere Problem ist: Die Labore müssen, damit die App funktioniert, die Testergebnisse in der App hochladen. Und das machen ganz offensichtlich auch längst nicht alle. Das Bundesgesundheitsministerium wertet die App zwar als Erfolg und spricht davon, dass mittlerweile 97 Prozent aller niedergelassenen Labore sich an der Warn-App beteiligen würden, die Zahlen sagen aber etwas anderes.
10,6 Millionen Testergebnisse seien über die App übermittelt worden, sagt das Bundesgesundheitsamt. Auch diese Zahl klingt gewaltig, aber auch sie ist am Ende – um es mit Michael Ende zu sagen – nur ein „Scheinriese“. Und das ist der wichtigere Grund für das Nicht-Funktionieren der App, denn: Bis zum 21. März – aktuellere Daten liegen noch nicht vor – wurden dem Robert-Koch-Institut 48.979.281 Testergebnisse übermittelt. Das heißt: Nur 21,6 Prozent aller Testergebnisse wurden von den Laboren überhaupt in der App hochgeladen, so dass positiv Getestete dann entscheiden konnten, ob ihre Daten genutzt werden dürfen, um andere zu warnen - noch eine weitere Hürde, die genommen werden muss.
78,4 Prozent – also mehr als drei Viertel aller Testergebnisse – gingen allerdings spurlos an der Warn-App vorbei. Viele Labore melden schlicht ihre Ergebnisse gar nicht über die App, weil sie das für zu kompliziert und für zu teuer halten. Sie nutzen daher andere Wege, um die Getesteten zu informieren.
Finanzminister kalkuliert mit Kosten von 69 Millionen Euro
Mitte Juni 2020 wurde die Corona Warn App in Deutschland gestartet, Anfang Juli in der gesamten Europäischen Union. Die Gesamtkosten für Entwicklung und Betrieb der App in Deutschland wurden bisher vom Finanzministerium des Bundes mit 69 Millionen Euro kalkuliert. Ob sie trotz dieser gewaltigen Summe bei der Pandemiebekämpfung wirklich ein wichtiger Baustein ist, darf angesichts der jetzt bekannt gewordenen Zahlen durchaus angezweifelt werden. Und es sieht nicht danach aus, dass sich das in absehbarer Zeit grundlegend und rasch ändern wird.
Das Bundesgesundheitsministeriums schreibt in seiner Stellungnahme unserer Redaktion gegenüber zwar: „Die Corona-Warn-App (CWA) wird stetig weiterentwickelt. So soll im Laufe des Aprils die Möglichkeit geschaffen werden, auch Schnelltestergebnisse in der CWA anzuzeigen.“ Die Ankündigung, diese Möglichkeit im April zu schaffen, zeigt aber im Gegenzug auch, dass sie aktuell, wo in vielen Städten und Kreisen Menschen durch einen negativen Schnelltest ein bisschen mehr Freiheit erlangen können, auch in dieser Hinsicht bisher noch immer völlig unbrauchbar ist.
„Gespräche mit verschiedenen Akteuren“
Zu diesem Thema heißt es aus dem Ministerium weiter: „Aktuell werden Gespräche mit verschiedenen Akteuren geführt, die die Durchführung solcher Antigen-Schnelltests mit geschultem Personal bereits erbringen oder angekündigt haben, erbringen zu wollen. Allen Anbietern von Testzentren wird die Möglichkeit gegeben, sich an das System der CWA anzuschließen.“
Wenn jetzt gerade diese Gespräche „laufen“, erinnert das in fataler Weise an die viel zu langsame Vorgehensweise, unter der wir seit Monaten beim Thema Impfen leiden. Daher muss man davon ausgehen, dass eine in Sachen Schnelltests wirklich brauchbare Warn-App noch lange auf sich warten lassen wird. Und ob eine Weiterentwicklung angesichts der bisher nur minimalen Nutzung der App überhaupt sinnvoll ist, wäre noch einmal prinzipiell zu hinterfragen.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
