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Corona und Schnee: Deutschlands miserables Krisenmanagement
Meinung
Wir tapsen von einer Corona-Panne in die nächste und ein bisschen Schnee stürzt uns ins Chaos, kritisiert unser Autor, und: Bei den Corona-Schutzmaßnahmen fordert er eine Grundsatzdiskussion.
Kriegen wir denn wirklich gar nichts mehr gebacken? Was ist nur mit unserem Land los? Erst stolpern wir von einer Corona-Panne in die nächste, dann fällt ein bisschen Schnee vom Himmel und auf den Straßen geht nichts mehr. Autofahrer müssen in ihren Autos übernachten. Briefträger und Zeitungsboten haben tagelang keine Chance mehr, zu den Häusern zu kommen, in den Supermärkten fehlt der Nachschub an frischem Obst und Gemüse. Kann unser Land wirklich keine Krise mehr? Diese Frage kann man sich in diesen Tagen ernsthaft stellen.
Fangen wir mit der Corona-Gipfel vom Mittwoch an. Auf den ersten Blick sieht das durchaus passabel aus, was dabei nach stundenlangen Beratungen herausgekommen ist. Der Lockdown wird bis 7. März verlängert, das leidige Friseurthema ist vom Tisch, bei Schulen und Kitas gibt es ebenso eine Öffnungsperspektive wie etwa für den Einzelhandel, sobald die Inzidenz unter 35 sinkt. Da kann man doch nicht meckern, oder?
Eine Bankrotterklärung, etwa bei den Schulen
Wer nur oberflächlich auf die Dinge schaut, mag das so sehen. Aber mit ein wenig Abstand und bei etwas genauerem Hinsehen kann man die Ergebnisse auch ganz anders bewerten. Dann sind sie letztlich nichts anderes als eine Bankrotterklärung gegenüber der Pandemie und dokumentieren die ganze Hilflosigkeit der Politik gegenüber diesem Virus.
Nehmen wir zwei Beispiele: Beim eminent wichtigen Schulthema können wegen der unterschiedlichen Coronalagen sicherlich nicht alle Bundesländer gleichzeitig die gleichen Lockerungen vollziehen. Das ist klar, aber: Man schafft es ja wieder einmal nicht, sich auf einheitliche Regeln und Parameter zu verständigen nach dem Motto: Wenn das eintritt, machen wir das. Wenn jenes eintritt, jenes. Jedes simple Kartenspiel hat solche Regeln, für die Schulen aber haben wir sie nicht.
Jede Glaubwürdigkeit verspielt
Oder ein weiteres Beispiel: Wochenlang hat man uns gepredigt, eine Inzidenz von 50 sei das Maß aller Dinge. Jetzt heißt es 35. Und was ist am 3. März, beim nächsten Gipfel? Ist es dann eine Inzidenz von 20, 10 oder 5? Für mich ist das ein Lehrbeispiel, wie man Glaubwürdigkeit und Vertrauen verspielt.
Ich höre jetzt schon die Einwände: Aber die gefährliche Mutationen, die so viel gefährlicher sind als das Ursprungsvirus. Da muss sich doch die Politik an die sich laufend verändernde Lage anpassen. Sie muss reagieren, kann nicht passiv zuschauen, wie wir in desaströse Situationen in unseren Krankenhäusern zulaufen, wo irgendwann eben nicht mehr jedem geholfen werden kann.
Die Kollateralschäden des Lockdowns
So richtig diese Einwände auch sind, sie betrachten die Dinge allein aus der Perspektive der Mediziner und der Meinungsführer unter den Virologen. Die entscheiden, wohin unser Land zu steuern hat.
Ich fand es bemerkenswert, wie unser Ministerpräsident Armin Laschet nach dem Coronagipfel am Mittwochabend sein Statement zu den Beschlüssen eingeleitet hat. Er sprach davon, dass viele das Thema Corona nicht mehr hören können und listete dann in einer ganzen Litanei all die auf, die unter den Einschränkungen leiden: Alte, Familien, Kinder, Selbstständige, Unternehmer. Es war eine Aufzählung des Horrors. Das sind die Kollateralschäden aller Maßnahmen.
Nutzen und Nebenwirkungen
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir jetzt eine intensive Debatte über die Frage führen müssen: Sind die Nebenwirkungen des Lockdowns wirklich noch geringer als sein Nutzen? Wenn wir diese Frage nicht wirklich offen und ehrlich diskutieren, wird die Akzeptanz aller Schutzmaßnahmen mit ihren gravierenden Nebenwirkungen weiter schwinden. In dieser Woche fiel die Abwägung noch zugunsten des Lockdowns aus. Das muss aber nicht so bleiben.
Und wenn wir auf die zweite Krise, den plötzlichen Wintereinbruch schauen, dann erleben wir auch da an vielen Stellen einfach nur Chaos. Auf der A2 saßen Autofahrer mehr als 36 Stunden fest, Postboten und Zeitungszusteller kommen in vielen Orten noch immer nicht bis an die Briefkästen. Auch das ist für unser Land mehr als peinlich.
Wir sind kein Hochgebirge, aber...
Dabei muss eines klar sein: Nordrhein-Westfalen ist kein Hochgebirgsland. So eisige Tage mit so viel Schnee wie jetzt haben wir hier nur alle paar Jahrzehnte. Über diese Schneemenge und den Frost hätte man im Berchtesgadener Land gelacht. Das wäre nach ein paar Stunden erledigt gewesen. Die haben dort aber auch eine entsprechend technisch und personell hochgerüstete Armada und bewältigen solche Situationen in jedem Winter mehr als ein Dutzend mal. Deshalb muss man einfach akzeptieren, dass es Unfug wäre, sich bei uns entsprechend auszurüsten. Da müssen wir dann halt alle paar Jahrzehnte Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen.
Andererseits sind einige Dinge für mich überhaupt nicht nachvollziehbar. Da berichtet mir beispielsweise unser Vertriebschef, der die Verteilung der Zeitungen organisiert, dass man etwa in Dortmund auf vielen Nebenstraßen selbst in ländlichen Stadtteilen wie Lanstrop und Grevel inzwischen wieder fahren könne wie im Sommer, aber Haupteinfallstraßen wie die Bornstraße und Derner Straße noch tagelang eine einzige Eispiste seien. Da frag ich mich ernsthaft, wie das möglich ist.
In der jüngsten Vergangenheit hat unser Land die Geduld seiner Menschen auf eine harte Probe gestellt und die allermeisten haben sich, manchmal auch murrend, manchmal knurrend, gefügt. Aber die Langmut der Menschen ist erfahrungsgemäß nicht grenzenlos.
Ulrich Breulmann, Jahrgang 1962, ist Diplom-Theologe. Nach seinem Volontariat arbeitete er zunächst sechseinhalb Jahre in der Stadtredaktion Dortmund der Ruhr Nachrichten, bevor er als Redaktionsleiter in verschiedenen Städten des Münsterlandes und in Dortmund eingesetzt war. Seit Dezember 2019 ist er als Investigativ-Reporter im Einsatz.
