Clash der Kulturen in Kulturhauptstadt Istanbul
Die türkische Metropole Istanbul will als eine europäische Kulturhauptstadt in diesem Jahr auch «Hauptstadt der Freiheit» sein, wie es Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Januar gesagt hat.

Polizisten bei der überfallenen Kunstgalerie in Istanbul.
«In Istanbul kann jede Kultur ihre eigene Identität finden», erklärte er bei der Eröffnung des Programmjahres mit spektakulären Feuerwerken. Doch nun haben in- und ausländische Gäste die hässliche Seite der Metropole zu spüren bekommen.
Einigen Bewohner des Viertels Tophane, nur ein paar Minuten von der beliebten Flaniermeile Istiklal Caddesi entfernt, ist alles es zu locker, fremd und westlich geworden. Mit Knüppel, Steinen und Pfefferspray - so berichten es Augenzeugen - trieb ein aufgebrachter Mob aus 30 bis 50 Männern Hunderte Besucher einer Ausstellungseröffnung auseinander, die sich am Dienstagabend mit alkoholischen Getränken in der Hand vor eine volle Galerie gestellt hatten. Insgesamt wurden vier Galerien attackiert und Scheiben zerschlagen. Fünf Verletzte wurden in Krankenhäuser gebracht. Die Künstlerszene spricht von einem organisierten Angriff.
Spannungen hat es in dem Viertel bereits bei einer Ausstellungseröffnung vor einer Woche gegeben. In jüngster Zeit haben dort mehrere Galerien und Hotels geöffnet. Die Mieten steigen. Europäische Ausländer ziehen über die Straßen. Nun reiben sich Lebensstile von alteingesessenen Einwohnern, jungen Großstädtern sowie konservativen Zugereisten.
Die Stimmung hat sich hochgeschaukelt, wie im Forum der Internetseite tophanehaber.com nachzulesen ist. Dort wurde schon im August beklagt, dass sich «weiße Männer» in Unterwäsche am Fenster zeigten. «Lass uns "Stop" zu den weißen Männer sagen», heißt es da noch. «Lass uns mit den Fremden aufräumen, diesen Dreckschweinen», schreibt ein Forumsteilnehmer einen Monat später. «So helfen wir dem Vaterland.»
Zeitungskommentatoren meinen, dass Teile der Bevölkerung aggressiv geworden sind, weil das moderne Leben in das Viertel einsickere. Viele Familie stammten aus den südöstlichen Provinzen Siirt und Bitlis und seien sehr konservativ. Der türkische Tourismusminister Ertugrul Günay verurteilte den Angriff zwar. Er sagte aber auch, nötig sei Respekt vor den Bräuchen. Natürlich könne aber niemand seine Traditionen aus Anatolien mit nach Istanbul bringen und hier mit Gewalt durchsetzen.
Es sind auch Bräuche von ländlichen Zuwanderern, die ihrerseits von älteren türkischen Einwohner des Viertels als störend empfunden werden. «Das waren die Bärtigen. Ich lebe hier seit 60 Jahren. Das Viertel hat sich sehr verändert», schimpfte eine alte Damen nach dem Angriff in einem nahen Geschäft. Auch andere Anwohner reagierten empört. «Das waren die Religiösen von der Bruderschaft. Sie leben hier im Viertel», sagte ein Verkäufer unweit der attackierten Galerie Outlet.
In türkischen Medien wird diskutiert, wo die Reise unter der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP gesellschaftlich hingeht. Die AKP legt immer wieder politische Bekenntnisse zum Schutz von Minderheiten und Freiheit ab. Allerdings stoppte die Türkei bei der Basketball-Weltmeisterschaft die als unsittlich empfundenen Auftritte ukrainischer Cheerleader. In Ankara verwarnten zwei Polizisten junge Pärchen, die in einem Park Händchen hielten, weil sie «ungehörig» zueinander saßen, wie türkische Zeitungen berichteten.
Äußerungen von Regierungsvertretern nach dem Zusammenstoß von Tophane erscheinen beschwichtigend. Der Clash der Kulturen in der Kulturhauptstadt soll möglichst nicht organisiert oder gar politisch motiviert erscheinen. «Wir wissen, dass diese Taten über das Internet und an einigen Plätzen in der Nachbarschaft organisiert werden», erklären dagegen die attackierten Galerien. Die Angriff sei auch «eine erste Warnung für alle Kunstinstitutionen».