Was macht ein Opernstar, dessen Weltkarriere vom Regietheater der 90er- und frühen 2000er-Jahre geprägt worden ist, wenn er Regie führt? – Er lässt den Sängern Freiraum, um sich aufs Singen zu konzentrieren und lenkt nicht mit Aktionismus von der Musik ab.
So macht es Angela Denoke in ihrem „Don Giovanni“ im Theater Hagen, den das Premierenpublikum am Samstag mit Ovationen im Stehen gefeiert hat. Es ist nach Janaceks „Kátia Kabanová“ 2021 in Ulm, „Salome“ von Strauss in Innsbruck“ und Verdis „Macbeth“ in Regensburg erst Denokes vierte Opernregie. Dabei vertraut die 62-Jährige Mozart und seiner Figurencharakteristik sowie ihrem eigenen Gespür für Personenführung.
Alle Figuren sind einsam
Don Giovanni und sein Diener Leporello hatten einen Unfall. Sie sind mit ihrem Aufreißer-Angeber-Auto gegen ein Baum geschlittert und vertreiben sich dort auf einer Wiese als Landstraßen-Casanovas die Zeit – mit Frauen. Die kleine Straße, die an die Wiese im Einheitsbühnenbild von Timo Dentler führt, steigt leicht an. Dadurch sind die Sänger an jeder Position auf der Bühne gut sichtbar.
Und Angela Denoke zeigt in der Weite, die das Bühnenbild nach hinten hat, auch, wie einsam eigentlich jede der acht Figuren ist. Gut, manchmal wundert man sich: über die Beule, die das Auto an der falschen Seite hat. Über einen Maskenball, der zum Straßenfest wird, über einen toten Komtur (Dong-Won Seo), der plötzlich wieder laufen kann.

Aber Denokes „Giovanni“ ist eine Sängeroper, die mit tollen Licht-Nebeleffekten aufwartet und die das Musikalische in den Vordergrund stellt. Und oft hat die Regie witzige Einfälle – die Frauen in Leporellos Registerarie mit Schuhen zu charakterisieren (Kostüme: Okarina Peter) ist einer davon. Auch der Auftritt von Zerlina (schöne Soubretten-Ausstrahlung: Nayun Lea Kim) und Masetto (Kenneth Mattice als Komödiant) und ihrer Hochzeitsgesellschaft ist als humorvolle Buffo-Szene gut gelungen.
Die Hagener Inszenierung gibt viele Anstöße, die Rollen der so vertrauten Oper neu zu überdenken: Beniamin Pop zeigt den Leporello als den eigentlichen Frauenverführer und -versteher. Bei ihm ist der Diener viel mehr als ein Casanova-Azubi – ein Charmeur, auch mit samtigem Bariton. Insu Hwang ist als Giovanni mehr ein Getriebener als Treibender und keiner, der den diabolischen Spaß bis zum Letzten auskostet.
Drama im Feuernebel
Angela Davis ist eine sanfte Elvira, die Giovanni nicht furienhaft nachstellt; Netta Or ist als Donna Anna auch stimmlich dominanter. Die Tiermasken beim Ball (Lamm bei Elvira, Fuchs für Anna) betonen das. Anton Kuzenok singt den Ottavio mit schönem Mozart-Tenor; das „Dalla sua pace“ im Liegen, so langsam und verträumt zu singen, muss man erst mal schaffen.
Generalmusikdirektor Joseph Trafton dirigiert das Philharmonische Orchester Hagen und treibt es in Giovannis Höllenfahrt, wenn feuerroter Nebel über die Bühne wabert, zu packender Dramatik. Ein sehens- und hörenswerter „Giovanni“, an dem auch interessant ist, wie ruhig, aber trotzdem spannend eine Opernsängerin dieses Drama deutet.
Termine: 10. / 17. / 26. 5., 4. 6., Karten: Tel. (02331) 207 32 18. www.theaterhagen.de
Hommage an Charlie Chaplin: Aalto-Ballett setzt mit „Smile“ der Hollywoodlegende ein Denkmal
„Billy Budd“: Musiktheater im Revier gelingt eine atmosphärisch dichte Umsetzung
„Tri Sestri“: Musikdrama hat Tschechovs „Drei Schwestern“ als Vorlage