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Bundespräsident Steinmeier ist in der Ukraine unerwünscht - aber warum?
Thema des Tages
Die Ausladung von Bundespräsident Steinmeier durch die Ukraine sorgt für Verwirrung und Kritik. Der lachende Dritte sitzt in Moskau. Aber warum darf Steinmeier nicht in die Ukraine reisen?
So etwas hat es wohl noch nie gegeben. Ein Bundespräsident plant eine Reise in ein befreundetes Land und wird dann kurzfristig wieder ausgeladen. Ohne offizielle Begründung, einfach so, nicht erwünscht. Punkt. Es ist eine Brüskierung eines Staatsoberhaupts ohnegleichen.
Entsprechend einhellig war am Tag danach auf deutscher Seite die Empörung darüber, auch wenn die öffentlich Kommentierung mit Rücksicht auf die Kriegssituation der Ukraine nicht besonders scharf ausfiel. Die Ausladung sei „etwas irritierend, um es höflich zu sagen“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz dem rbb. „Der Bundespräsident wäre gerne in die Ukraine gefahren. (...) Deswegen wäre es auch gut gewesen, ihn zu empfangen.“
Über die Gründe für die Ausladung sprach auch am Mittwoch (13.4.) niemand öffentlich. War es der Rückblick auf die deutsche Russland-Politik der letzten Jahrzehnte, für die Steinmeier seit 1998 fast ein Vierteljahrhundert lang in unterschiedlichen hochrangigen Funktionen mitverantwortlich war? Oder war es doch das aktuelle, aus ukrainischer Sicht viel zu zögerliche Vorgehen Deutschlands bei den Russland-Sanktionen oder der Lieferung schwerer Waffen?
Selenskyj erwartet Bundeskanzler Scholz
Eher Letzteres. Der ukrainische Präsidentenberater Olexeij Arestowytsch sagte in der ARD, er kenne die Gründe zwar nicht. Er fügte aber hinzu: „Unser Präsident erwartet den Bundeskanzler (Olaf Scholz), damit er unmittelbar praktische Entscheidungen treffen könnte auch inklusive die Lieferung der Waffen.“
Ähnlich hatte sich auch der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk schon am Wochenende geäußert, nachdem es die ersten Anzeichen für eine Steinmeier-Reise gab. Es ist Krieg, die Ukraine brauche keine symbolischen Staatsbesuche mit warmen Worten, sondern konkrete und schlagkräftige Unterstützung.
Idee kam vom polnischen Präsidenten
Steinmeier war allerdings in der Zwickmühle. Die Idee für die Reise stammte nicht von ihm selbst, sondern vom polnischen Präsidenten Andrzej Duda, der ihn auf eine gemeinsame Reise mit den Staatschefs der baltischen Staaten mitnehmen wollte. Da konnte der Bundespräsident schlecht Nein sagen, wollte er vermutlich auch nicht.
Die Absage wurde ihm dann erst wenige Stunden vor der geplanten Abreise bei seinem Polen-Besuch in Warschau übermittelt. Dass Steinmeier sich selbst vor die Kameras stellte, um die Entscheidung zu verkünden („Ich war dazu bereit. Aber offenbar - und ich muss zur Kenntnis nehmen - war das in Kiew nicht gewünscht.“), war ungewöhnlich und zeigte seine ganze Konsterniertheit. Zugleich verlieh dies dem ganzen Vorgang ein noch größeres Gewicht.
Ein Eklat mitten im Krieg
Ein echter Eklat also, eine Staatsaffäre mitten in einem Krieg, in dem sich Deutschland an der Seite der Ukraine sieht. Wie kommt man da jetzt wieder raus? Scholz wird den Wunsch der Ukraine, als Ersatzmann für den brüskierten Steinmeier einzuspringen, mit ziemlicher Sicherheit nicht erfüllen. In einem rbb-Interview beantwortete er die Frage zwar nicht, ob er nach Kiew reisen wird. Interesse zeigte er allerdings auch nicht. Er verwies darauf, dass er - vor dem Krieg - in Kiew war und auch sehr oft mit Selenskyj telefoniere.
Von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ist bekannt, dass sie gerne nach Kiew reisen würde. Das war jedenfalls der Stand der Dinge vor dem Steinmeier-Eklat. Aber sie wurde schon bei ihrem letzten Ukraine-Besuch kurz vor dem Krieg nicht von Selenskyj empfangen. Schon damals wurde gemutmaßt, es könnte etwas mit der deutschen Zögerlichkeit zu tun haben.
Habeck macht Druck: „Jetzt muss das Zeug da runter“
Derjenige, der von ukrainischer Seite als bester und wichtigster Gesprächspartner in der Bundesregierung gesehen wird, ist Vizekanzler Robert Habeck (Grüne). Er ist sowohl für die Energielieferungen aus Russland zuständig als auch für die Genehmigung von allen Rüstungsexporten, die nicht von der Bundeswehr sondern von der Industrie getätigt werden.
Außerdem drückt er - ganz anders als Scholz - bei den Waffenlieferungen aufs Tempo. „Es nützt nichts wenn wir sagen: In einem Dreivierteljahr kriegt ihr irgendwas. Jetzt muss das Zeug da runter. Und so handeln wir auch“, sagte Habeck am Dienstagabend (12.4.) auf ProSieben und SAT.1. „Wir erwarten den Angriff der Russen ja in den nächsten Tagen. Das heißt, alles, was der ukrainischen Armee jetzt hilft, muss schnell geliefert werden.“
Geheimhaltung hilft Scholz auch innerparteilich
Scholz hielt sich auch am Mittwoch (13.4.) weiter mit einer klaren Ansage zurück. Während andere Länder wie die USA, Großbritannien oder die baltischen Staaten stolz auf ihre Waffenlieferungen in die Ukraine sind und sie groß ankündigen, hat sich die Bundesregierung selbst strikte Geheimhaltung auferlegt.
Für Scholz hat das den günstigen innenpolitischen Nebeneffekt, dass ihm seine eigene Partei nicht aufs Dach steigt. Bei den Parteilinken wächst nämlich der Unmut über die offensiven Forderungen nach schweren Waffen, die vor allem von den Grünen kommen. SPD-Fraktionsvize Detlef Müller sagte beispielsweise der „Welt“, die Lieferung schwerer Waffen sei „derzeit noch keine Option“. „Die Menschen haben Angst, dadurch direkt in einen Krieg gezogen zu werden, das ist das klare Echo aus meinem Wahlkreis.“
Überraschend ist die Absage Selenskyjs auch, weil der ukrainische Präsident sich nach seinem Gespräch mit Scholz am vergangenen Sonntag (10.4.), erstmals seit langem sehr positiv über die deutsche Regierung geäußert hat. „Ich freue mich festzustellen, dass die deutsche Position sich kürzlich zugunsten der Ukraine geändert hat“, sagte er in einer Videoansprache. „Aber ich erwarte, dass alles, was wir vereinbart haben, auch umgesetzt wird. Und das ist sehr wichtig.“ Was er damit genau meint, sagte Selenskyj aber nicht.
Ausschluss spielt Putin in die Karten
Bislang zeigen Umfragen regelmäßig ein großes Verständnis in der deutschen Bevölkerung für die Forderungen der Ukraine nach Sanktionen und Waffenlieferungen. Der Affront gegen Steinmeier könnte jetzt allerdings dazu beitragen, dass dieses schwindet. In jedem Fall gibt es einen lachenden Dritten bei der ganzen Angelegenheit. Und der sitzt in Moskau.
Der russische Präsident Wladimir Putin wartet nur darauf, dass die Unterstützungsfront des Westens für Selenskyj und die Ukraine bröckelt. Die vier Präsidenten Polens und der baltischen Staaten besuchten am Mittwoch (13.4.) alleine Kiew. Ohne Steinmeier. Uneingeschränkter Zusammenhalt sieht anders aus.
dpa
Der Artikel "Bundespräsident Steinmeier ist in der Ukraine unerwünscht - aber warum?" stammt von unserem Partner, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland.