
Schauspieler Bjarne Mädel bekommt am 26. August in Marl gleich zwei Grimmepreise verliehen: für seine Darstellung eines alleinerziehenden Vaters im TV-Film „Geliefert“ und für die Rolle eines von Angststörungen betroffenen Hauptkommissars in „Sörensen hat Angst“. Hier ist er bei der Bekanntgabe der Preisträger im Mai im Grillo-Theater in Essen zu sehen. © picture alliance/dpa
Bjarne Mädel: Grimme-Preise für einen, der mit „Glamour“ nichts am Hut hat
Schauspieler im Interview
Bjarne Mädel werden am 26. August in Marl gleich zwei Grimme-Preise verliehen. Ein Interview mit einem Mann, der nicht nur kauzig, sondern auch melancholisch-ernst kann - über Konsum, Achtsamkeit und das Privileg, gut zu tun zu haben.
Kauzig-trottelige Typen wie Bürodepp „Ernie“ in „ Stromberg“, Dorfpolizist Dietmar in „Mord mit Aussicht“ oder Antiheld „Schotty“, der von 2011 bis 2018 die Blutlachen im „Tatortreiniger“ (dafür gab es bereits den Grimmepreis) wegschrubbte, machten ihn bekannt: Bjarne Mädel sorgt nicht nur für Kultstatus in diversen Serien, er räumt derzeit auch Auszeichnungen ohne Ende für melancholische, ernste Themen ab: Gleich zwei Grimmepreise bekommt er am 26. August verliehen: Die Jury kürte ihn für seine Darstellung eines alleinerziehenden Vaters im TV-Film „Geliefert“ und für die Rolle eines von Angststörungen betroffenen Hauptkommissars in „Sörensen hat Angst“, wo er gleichzeitig Regie führte. Und obwohl Mädel wegen „zu vieler vorhersehbarer Gespräche“ für ein Jahr eine Medienpause eingelegte, („Ich hatte das Gefühl, man dreht sich so im Kreis. Dass Journalisten über mich googeln und dann die Sachen abfragen, die sie aber sowieso schon wissen“), gab er uns jetzt ein Interview – mit viel Charme und Humor. Danke dafür!
Herr Mädel, nach Sommergrippe und hoher Arbeitsauslastung, während Krieg, Pandemie und Affenpocken: Wie geht es Ihnen zurzeit?
Das fängt ja gleich gut an, eine Frage zu meiner persönlichen Befindlichkeit verknüpft mit dem Vernichtungskrieg Putins und Corona …ich versuch`s: Also meine Sommergrippe ist - besonders in so einem Zusammenhang - wirklich überhaupt nicht der Rede wert und überstanden. Da ich in diesem Jahr bisher deutlich weniger gearbeitet habe als in den letzten Jahren, ist die Auslastung für mich auch weit entfernt davon, eine Belastung zu sein. Den Krieg empfinde ich hingegen schon als unterschwellig belastend, allerdings bin ich ja nicht direkt betroffen, insofern geht es mir verglichen mit allen Opfern dieser drei Katastrophen extrem (!) gut und dafür bin ich sehr dankbar.
Thema heute ist vorrangig der Grimmepreis. Fangen wir mit „Geliefert“ an. Der Film zeigt, wie der Paketbote Volker arbeitet und arbeitet und trotzdem finanziell nicht auf die Füße kommt. Was ich schon weiß: Wir sind diejenigen, die bestellen und damit die Arbeitsbedingungen der Paketzustellenden ungefragt hinnehmen. Was ich nicht weiß: Wo und wie kaufen Sie persönlich ein – vorwiegend online?
Ich neige generell nicht so sehr zum Konsum, kaufe daher grundsätzlich wenig und wenn, versuche ich das Online-Bestellen zu vermeiden, wenn es geht. Was ich noch nie gemacht habe und grundsätzlich eine Bodenlosigkeit finde, sind Retouren. Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland 280 Millionen Pakete zurückgesendet. Diese Retouren treiben nicht nur die Preise in die Höhe, sie sind auch eine Schweinerei für die Umwelt, da sie täglich (!!) 238.000 Tonnen CO2 verursachen.
Volker verliert seinen Job, weil er geblitzt wird. Sind Sie selbst ein Raser? Wurden Sie schon häufig geblitzt, etwa wenn Sie von Termin zu Termin hetzen?
Ich besitze seit über 20 Jahren kein Auto, bin da also nicht so gefährdet.
Kein Auto, verringerter Konsum, grundsätzlich keine Retouren - was ist für Sie Achtsamkeit noch – im Umgang mit sich selbst und mit anderen?
Die Grundvoraussetzung für Achtsamkeit im Umgang mit anderen ist meiner Meinung nach tatsächlich Respekt und Empathie. Nur wenn man sich in andere hineinversetzen kann, ist man in der Lage, respektvoll und achtsam mit ihnen umzugehen. Das scheint uns als Gesellschaft aber tatsächlich etwas verloren zu gehen. Was den Umgang mit sich selbst angeht, weiß man ab einem bestimmten Alter ja, was einem eher schadet und was einem eher gut tut - und das meine ich sowohl körperlich als auch seelisch – man muss dann auf sich und seine Intuition hören, um auf sich Acht zu geben. Ich bemühe mich in beiden Fällen darum.
Wenn Sie die Welt ein wenig gerechter machen könnten, vielleicht weil man bei Ihren diversen Preisen und aufgrund von persönlichen oder filmischen Erfahrungen ein bisschen auf Sie hört: Welche Arbeitsbedingungen würden dann am Bau abgeschafft und welche eingeführt? Oder bei Hafenarbeitern. Oder, oder …
Gearbeitet würde generell dann nur noch bei gutem Wetter, sagen wir ab 16 bis 24 Grad, und die Arbeitszeiten verkürzten sich natürlich auf maximal 5 Stunden am Tag. Ausschlafen wäre Pflicht, heißt Arbeitsbeginn wäre nicht vor 10 Uhr und eine Mittagspause von 12.30 bis 13.30 Uhr wäre außerdem nicht verhandelbar. Wenn keine angenehme Musik läuft, hätten die Arbeiter das Recht, ihre Tätigkeit niederzulegen, bis vom Arbeitgeber für gute Laune gesorgt wäre. Ich denke jedoch nicht, dass ich als Schauspieler auf der politischen Entscheidungsebene generell oder beim Arbeitsrecht für Baustellen und Häfen Gehör finden werde.
Apropos Hafenarbeiter – neulich bei den Ruhrfestspielen hat Kollege Charly Hübner Josef Ponthus` Fischfabrik-Aufzeichnungen aus „Am laufenden Band“ gelesen – kennen Sie dieses fantastische Buch? Welche Literatur mögen Sie? Haben Sie überhaupt Zeit zum Lesen (außerhalb von Drehbüchern)?
Ich kenne das Buch, das Charly vorgestellt hat, nicht. Ich lese gern, finde aber meistens im Urlaub erst so richtig die Ruhe für längere Romane. Ich mag zum Beispiel die meisten Bücher von Haruki Murakami, Roswitha Quadflieg und Christoph Meckel. Und bin gespannt auf das nächste Buch von Gavin Extence und freue mich demnächst auf einen Sommer in Niendorf mit Heinz Strunk.
Tatortreiniger – das ist doch ein Job, den kaum einer wirklich machen möchte. Ebenso wie Müllabfuhr, Pflegedienst … Und eigentlich auch Hafenarbeiter, wenn ich es mir recht überlege. Sie haben das eine tatsächlich, das andere immerhin im Film getan. Aber was würden Sie im wahren Leben niemals beruflich stemmen wollen und warum nicht?
Ich möchte sehr ungern eine Augen-OP durchführen … Die Vorstellung, mit einem Laser oder Skalpell am „Fenster der Seele“ zu kratzen, ist mir sehr unheimlich und geradezu zuwider. Und mir fehlt da einfach schlichtweg die Ausbildung. Was mir im medizinischen Arbeitsbereich gefällt, ist die direkte positive Auswirkung auf andere Menschen. Anderen Menschen zu helfen, ihr Leiden zu lindern und dafür zu sorgen, dass es ihnen besser geht, würde ich - glaube ich - als be- und „lohnend“ empfinden. Wahrscheinlich ist das der einzige Grund, solch einen harten Beruf gut auszuhalten. Die Arbeitszeiten, die Belastung oder die Bezahlung sind es ja nicht.
In vielen dieser Branchen fehlt einfach auch die Wertschätzung, das ist offenkundig und etwa beim Thema Pflege in aller Munde. Bei Schauspielern setzt man dagegen voraus, dass sie – mit Preisen ausgezeichnet und mit Medienanfragen überhäuft – automatisch wertgeschätzt werden. Ist das so? Werden Sie immer nur gebauchpinselt? Ist immer alles nur schick und glamourös? Auch in Corona-Zeiten?
Wenn man als Schauspieler/in grundsätzlich gut zu tun hat, dann ist man ja extrem privilegiert. Und ich fühle mich tatsächlich sehr oft von Zuspruch, Lob und Applaus der Zuschauer getragen und gestreichelt. Aber ich gehöre zu einem sehr, sehr kleinen Teil der Spieler, der so unbeschadet und vom Timing geküsst durch die Pandemie gerutscht ist. Mit „Glamour“ habe ich generell gern nichts am Hut, insofern hat sich da durch das Virus bei mir nichts geändert.

Ausgezeichnet: Bjarne Mädel als Ermittler in „Sörensen hat Angst“. © NDR/Michael Ihle
Anderes Thema: Ihr zweiter ausgezeichneter Film „Sörensen hat Angst“ um einen Kommissar in der friesischen Provinz rücke die Angststörung des Helden in den Mittelpunkt. Nun hat Sörensen – wie heißt der eigentlich mit Vornamen – nicht bloß eine Macke, der hat richtige Panikattacken. Aus heiterem Himmel, sobald er nicht mehr funktionieren muss. Da brechen das Was-wäre-wenn-Gedankenspiel und die Sorge, was alles passieren könnte, durch. Seit Corona und Ukraine-Krieg geht es sicher sehr viel mehr Menschen zumindest zeitweilig so. Ihnen auch?
Nein. Ich habe keine generalisierte Sorgenangst. Das ist ja eine Krankheit, unter der der Sörensen leidet und gegen die er sich mit all seinem Humor zu behaupten versucht. Sich mal wegen einer unsicheren Zukunft in Krisen- und Kriegszeiten zu sorgen, kennen wir alle und ist damit nicht zu verwechseln.
„Sörensen hat Angst“ von Autor Sven Stricker, der selbst unter einer Angststörung litt, ist bereits als Hörspiel vertont, ebenso Teil zwei „Sörensen fängt Feuer“. Jetzt ist dazu auch ein Film geplant?
Das ist richtig.
Auch in der Fortsetzung steht nicht die Krimigeschichte im Vordergrund, sondern wieder Sörensen selbst, der diesmal auf Entzug ermittelt und die Medikamente gegen die Angststörung abgesetzt hat. Im ersten Teil konnte Sven Stricker Ihnen bei der Vorbereitung auf die Angststörung mit seinen Erfahrungen unter die Arme greifen. Aber wie fühlen Sie sich in den Entzug hinein, wie näherten Sie sich der Rolle jetzt glaubhaft an?
Es ist auch diesmal wieder eine Herausforderung, den Inhalt eines 442 Seiten umfassenden Romans in den geforderten 88,3 Minuten zu erzählen. Der Tabletten-Entzug wird dabei mit großer Wahrscheinlichkeit aber nicht das bestimmende Thema sein, sondern wenn, dann nur am Rande gestreift.
Bjarne Mädel im Kurzporträt
- Bjarne Mädel wird am 12. März 1968 in Hamburg geboren (und ist noch immer HSV-Fan) und lebt als Jugendlicher ein Jahr in Nigeria.
- Mit 17 arbeitet er einen Sommer lang im Hamburger Hafen. Nach seinem Abitur geht er für zwei Jahre nach Kalifornien, arbeitet dort unter anderem auf dem Bau, bevor er dann Weltliteratur und Kreatives Schreiben studiert.
- Zurück in Deutschland studiert er zunächst in Erlangen Neue Deutsche Literaturgeschichte, Amerikanistik und Theaterwissenschaften, bevor er Ende der Neunziger in Potsdam die staatliche Schauspielschule besucht.
- Der Liebe wegen ist seine Wahlheimat derzeit Berlin.
Zugezogen aus dem hohe Norden und geblieben – schon während des Journalistik-Studiums in Dortmund in die Schönheit des Ruhrgebiets ebenso verliebt wie in den Vater der gemeinsame kleinen Tochter. Deshalb: Nie wieder weg hier. Seit über 20 Jahren inzwischen freiberuflich für das Medienhaus Bauer und die Ruhr Nachrichten unterwegs – vor allem in Sachen Freizeit, Kultur und Gesundheit. Wichtiges Anliegen: Medizinische Themen gut und verständlich zu erklären.