Bergkamenerin will Hund aus eiskaltem Kanal retten „Ich hab gedacht, der bringt mich um“

Bergkamenerin will ihren Hund retten: „Ich dachte, der bringt mich um“
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Es ist dieses eine Bild in ihrem Kopf, das Katharina Woisczyk-Sieloff auch mehr als 36 Stunden nach dem Vorfall am Datteln-Hamm-Kanal in Bergkamen-Rünthe nicht los lässt: „Ich sehe noch immer, wie sein Kopf unter Wasser geht, wie Augen und Nase überflutet werden. Ich wusste, der schafft das nicht alleine.“

Als das real passiert, fasst die 37-Jährige einen Entschluss, den sie auch später nicht bereut. Sie steigt zu ihrem Hund Buddy ins eiskalte Kanalwasser, in das der Hund beim Toben mit einem anderen Rüden gefallen war. Es beginnt für beide ein Kampf auf Leben und Tod.

„Ich gehe sonst nicht mal im Sommer bei 40 Grad in den Pool“, sagt Katharina Woisczyk-Sieloff. Doch als ihre italienische Dogge in Lebensgefahr ist, will sie helfen. „Ich wusste, dass ich nicht einfach ins Wasser springen kann; dass ich das selbst nicht überleben würde“, schildert sie. Doch ihr Hund versucht verzweifelt, die Spundwand zu erklimmen.

Also zieht sie bei fünf Grad Außentemperatur und scharfem Wind Jacke und Schuhe aus und wagt sich über eine Leiter in der Nähe zum Wasser hinunter. „Ich wollte ihn locken, damit er an mir vorbei den Weg zur Steinböschung findet.“ Doch Buddys Kräfte lassen nach. Er droht, unterzugehen. „Da hab ich mich langsam ins Wasser gleiten lassen und bin zu ihm geschwommen“, sagt Katharina Woisczyk-Sieloff und gibt zu: „Das war so kalt.“

Katharina Woisczyk-Sieloff und ihre Freundin Jessica Peters gehen mit den Hunden regelmäßig am Kanal entlang. Beim Spaziergang am Donnerstag (25.4.) geschah ein schlimmer Unfall.
Katharina Woisczyk-Sieloff und ihre Freundin Jessica Peters gehen mit den Hunden regelmäßig am Kanal entlang. Beim Spaziergang am Donnerstag (25.4.) geschah ein schlimmer Unfall. © Stephanie Tatenhorst

Doch das Adrenalin hilft dabei, die Kälte zu ignorieren. „Ich dachte, ich kann Buddy packen und gemeinsam schwimmen wir ans Ufer“, schildert die 37-Jährige ihre Gedanken. Doch Buddy reagiert völlig anders als erwartet, als Katharina Woisczyk-Sieloff ihn erreicht. „Ich habe ihn hochgezogen, und erstmal gegen die Wand gedrückt. Ich hab mich dabei selbst an der Stange in der Spundwand festgehalten“, erinnert sich die Bergkamenerin.

Doch den 50 Kilogramm schweren Hund kann sie nicht lange halten. Buddy ist in seiner Todesangst panisch und klammert sich an ihr fest. Seine Krallen zerkratzen ihren ganzen Körper, seine Pfote verfängt sich in ihrem Zopf. Er schlägt wild um sich und trifft sein Frauchen im Gesicht und am Auge. Sie verliert ihre Kontaktlinse. Kann kaum noch etwas sehen.

Die Freundin ist Augenzeugin

Augenzeugin der schrecklichen Szene ist ihre Freundin Jessica Peters. Mit deren Rüde hatte Buddy gespielt, als er ins Wasser fiel. „Ich habe gedacht, die ertrinken jetzt beide“, schildert sie ihre Angst in dem Moment. Auch sie versucht, Buddy zu rufen und will ihn mit ihrem eigenen Hund, der den Weg ins Wasser kennt, zu der nur wenige Meter entfernten Naturböschung locken. „Aber mein Hund hat nicht verstanden, was ich von ihm wollte. Der hat nur wild gekläfft.“

Durch den Tumult werden Radfahrer am anderen Ufer auf die Situation aufmerksam. Sie wechseln über die Kanalstraßen-Brücke die Uferseite und eilen den Frauen zur Hilfe. Auch der Stiefvater von Katharina Woisczyk-Sieloff, der am Kanal wohnt, reagiert auf die Schreie. Von all dem bekommen die Frauen aber noch nichts mit.

Nahaufnahme von dem Gesicht einer Frau, mit blauem Fleck unterm und Einblutung im Auge.
Die Folgen des Überlebenskampfes sind noch sichtbar: Das Auge von Katharina Woisczyk-Sieloff wurde schwer verletzt. Es ist noch unklar, ob sie die Sehkraft behält. © Stephanie Tatenhorst

„Ruf die Feuerwehr“, schreit Katharina Woisczyk-Sieloff ihrer Freundin irgendwann zu. Jessica Peters macht das umgehend. „In meiner Panik wollte ich dann aber selbst zu den beiden ins Wasser“, sagt sie. „Die waren ja bestimmt zehn Minuten drin.“

Katharina Woisczyk-Sieloff kämpft derweil weiter gegen Buddy an. Sie denkt an ihre beiden Kinder, und an einen anderen Unfall im Kanal. „Mir schoss plötzlich in den Kopf, dass ein erfahrener Schwimmer Krämpfe bekommen hatte und deswegen untergegangen und gestorben war. Davor hatte ich plötzlich unglaubliche Angst. Es ist verrückt, woran man dann denkt“, sagt sie. Doch: „Ich wusste dann, dass ich jetzt mich retten muss. Ich hatte alles versucht. Wenn ich den Hund nicht retten konnte, dann wäre das eben so.“

„Dann habe ich die Sirenen gehört“

Sie schubst den Hund weg und will zurück zur Leiter. Doch Buddy folgt ihr, drückt sie mehrmals unter Wasser. Katharina Woisczyk-Sieloff muss nun wirklich um ihr eigenes Leben kämpfen. „Ich hab gedacht, der bringt mich um“, erzählt sie.

Irgendwie schafft sie es zur Leiter, klammert sich dort fest. „Dann habe ich die Sirenen gehört“, sagt Katharina Woisczyk-Sieloff und meint damit das Martinshorn der sich nähernden Rettungskräfte. „Notarzt, Rettungswagen, die Feuerwehr kam sogar mit dem Boot“, erinnert sich Jessica Peters. Katharina Woisczyk-Sieloff bekommt davon nichts mit. „Mir hat nur dieses Geräusch Kraft gegeben. Ich hab nur gedacht: Halte durch. Gleich kommt Hilfe. Das hat wirklich nochmal letzte Kräfte mobilisiert.“

Als Erstes trifft der Rettungswagen ein. Mithilfe der Radfahrer, die sogar eine Decke dabei haben, und dem Stiefvater kann Katharina Woisczyk-Sieloff ans Ufer gelangen. Buddy findet den Weg zur Steinböschung. Auch er ist gerettet.

Hund Buddy liebt sein Frauchen abgöttisch. Den Unfall hat er gut überstanden. Er geht ohne Scheu weiter mit zum Kanal und passiert die Unfallstelle, als wäre nichts gewesen.
Hund Buddy liebt sein Frauchen abgöttisch. Den Unfall hat er gut überstanden. Er geht ohne Scheu weiter mit zum Kanal und passiert die Unfallstelle, als wäre nichts gewesen. © Stephanie Tatenhorst

Katharina Woisczyk-Sieloff muss dann allerdings in die Augenklinik nach Dortmund. Buddy hatte ihr Pfote und Krallen durchs Auge gezogen. „Das ist eingeblutet und steht unter Kontrolle“, sagt die 37-jährige. „Ich sehe noch schwarze Flecken und Blitze. Ich würde es aber immer wieder machen“, sagt sie. „Wenn das Auge blind wird, dann ist das so. Ich habe getan, was mir möglich war.“

Nur eine Sache würde sie im Nachhinein definitiv anders machen: „Erst den Notruf absetzen, dann helfen. Man weiß eigentlich, dass man in jeder Notlage so handeln soll“, sagt sie selbstkritisch. „Aber im Augenblick des Geschehens denkt man dann doch nicht daran.“