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Bekenntnis eines Ex-Priesters – Norbert Wohlgemuth: „Ich bereue nichts“
Kirche in der Krise
Norbert Wohlgemuth war fast 30 Jahre lang Priester. Dann kehrte er der katholischen Kirche den Rücken. Zaghafte Schritte zu einer Reform lassen ihn kalt: Die Vorstöße seien ja doch alle vergeblich.
Als er im Sommer 2019 seinen Rückzug als Pfarrer der Katholischen Kirchengemeinde in Fröndenberg verkündete, hallte das nach im ganzen Bistum. Norbert Wohlgemuth hatte genug von Missbrauchsskandalen, dem Zölibat und der untergeordneten Rolle der Frau in seiner Kirche.
„Seine“ Kirche war es da längst nicht mehr. Bald 60 Jahre gehört er ihr an. Er habe sich als Priester stets für eine Kirche im Sinne Jesu eingesetzt; eine Kirche, in der jeder willkommen war, in der niemand ausgeschlossen wurde, egal wie er lebte, wie er glaubte oder wie er liebte.
Spagat wurde für Wohlgemuth zu groß
Der Spagat zwischen seinem Anspruch und den Vorgaben der Kirchenleitung sei für ihn irgendwann zu groß geworden. Wohlgemuth, mittlerweile freier Redner, klingt immer noch sehr enttäuscht.
„Von den Ewiggestrigen in den Gemeinden und in der Bistumsleitung habe ich viel Widerstand bekommen, oft wurde ich denunziert; doch von den Menschen, um die es ging, kam viel Zuspruch und Unterstützung“, erzählt der 61-Jährige.

Pfarrer Norbert Wohlgemuth 2018: Damals bezog er Stellung zu Nachrichten über sexuelle Gewalt in der katholischen Kirche. Wenig später trat er zurück. © Archiv/Anke Jacobi
Ewiggestrige – und wohl auch eine gescheiterte Vergangenheitsbewältigung sind es besonders, die Wohlgemuth seine Sutane an den Nagel hängen ließen. Die Skandale schienen ja kein Ende zu nehmen.
Wohlgemuth zählt auf, als führe er Buch über die Verstrickungen einer doch eigentlich zu respektierenden Institution, der er sich ja einst selbst verschrieben hatte: ob Missbrauchsstudien in vielen Ländern der Welt, Geldwäsche im Vatikan, hunderte Leichen von Kindern in kirchlichen Einrichtungen in Kanada oder in Irland, der Verkauf von Neugeborenen durch Klöster während der Franco-Diktatur in Spanien – Wohlgemuth findet kaum ein Ende.
Respekt für Maria 2.0 und #OutInChurch
Bei so viel krimineller Energie im Namen Gottes gilt dem Umgang mit Laien und mit Frauen in der Kirche, dem Ausschluss von wiederverheirateten Geschiedenen von der Kommunion oder von einem Arbeitsplatz in einer kirchlichen Einrichtung wohl noch Wohlgemuths mildeste Kritik.
Was ihn nicht schon viel früher verzweifeln und aufgeben ließ? Es sind die unzähligen Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in den Gemeinden, die eine andere Kirche möchten und dafür viel leisteten.

Zufälliges Zusammentreffen auf dem Fröndenberger Marktplatz: Marcel Karas und Norbert Wohlgemuth, der als katholischer Pfarrer zurückgetreten ist. Wohlgemuth hatte den 20-Jährigen von einer Mitarbeit Pfarrgemeinderat überzeugen können. In den Augen von Marcel Karas verliert St. Marien einen Pfarrer, "der Mut gemacht hat, sich für Neues einzusetzen". © Archiv/Marcus Land
Eine Kirche, die nah am Menschen, nah am Leben und am Puls der Zeit, nah an den Bedrückten und Ausgestoßenen, nah am Beispiel des Jesus von Nazareth agiere. Maria 2.0 oder #OutInChurch seien ganz aktuelle Beispiele dafür.
„Diesen Menschen gilt mein hoher Respekt und meine große Anerkennung. Doch: Bringt dieser Einsatz noch irgendwas?“, fragt Wohlgemuth fast rhetorisch.
Moralisch glaubwürdige Institution vonnöten
Seit Jahrzehnten habe sich doch nichts geändert. Generationen von engagierten Christen hätten sich schon abgearbeitet – an einer Modifizierung des Pflichtzölibats etwa oder an der absolutistischen Macht des Papstes und dessen scheinbarer Unfehlbarkeit, dem Zentralismus, der die Ortsbischöfe zu Filialleitern Roms degradiere oder auch an der oft so weltfremden liturgischen Sprache.
„Erfolglos“, hält Wohlgemuth apodiktisch fest. Und auch die jetzt Aktiven und Wohlwollenden arbeiteten sich wieder ab – „leider auch vergeblich“.
Eine moralisch glaubwürdige Institution sei zwar angesichts großer Herausforderungen wie Klimawandel oder Rechtspopulismus, Pandemie oder Migration vonnöten, doch, findet Wohlgemuth, die Kirche sei in moralischer, gesellschaftspolitischer und sozialer Hinsicht eine „Leerstelle“.
Reformen führen in Rom in Sackgasse
Dabei gehe es eigentlich gar nicht um die Kirche selbst. Die Kirche verhindere durch eigenes Versagen und eigene Schuld aber den Zugang vieler Menschen zur Botschaft Jesu.

In vollem Ornat: Einführung von Norbert Wohlgemuth (3.v.l.) als Pfarrer in der katholischen Kirchengemeinde St. Marien in Fröndenberg. © Archiv/Udo Hennes
„Viele wenden sich von Jesus und seiner Botschaft ab oder möchten sich erst gar nicht auf den Weg Jesu machen, weil die Kirche so unglaubwürdig ist. Das ist für mich der eigentliche Skandal“, erregt sich Norbert Wohlgemuth.
Seine Entscheidung, aus der Kirche ausgetreten zu sein, jetzt, wo doch durch den „Synodalen Weg“ Reformen angestoßen werden bereue er daher keine Sekunde lang. „Nein, ganz im Gegenteil“, sagt Wohlgemuth.
Alle Beschlüsse des Synodalen Wegs, so gut und ernst sie auch formuliert seien, bedeuteten nichts, wenn Rom nicht zustimme. „Alle Wege führen nach Rom – aber kein Weg der Reformen, hier ist Rom eine Sackgasse“, glaubt er.
Motto: „Jesus ja – Kirche nein“
Die Kirche sei doch im Grunde nur Mittel zum Zweck, „so etwas wie eine Treuhandanstalt“, formuliert Wohlgemuth – wenn es eben schlicht darum gehe, die Botschaft Jesu zu verkünden.
Aus der „verfassten Kirche“, also der Institution, sei er ausgezogen. An „zeitnaher“ Verkündung habe er aber nach wie vor großes Interesse. Als Schiffspastor etwa hat er für vier Monate Menschen begleitet.
Seine Gottesdienste hätten von Mal zu Mal immer mehr Menschen mitgefeiert. „Es gab ein unglaubliches Wachstum.“ Norbert Wohlgemuth scheint mit sich im Reinen. „Es geht: Glaube ohne die Institution Kirche. Das alte Motto ,Jesus ja – Kirche nein‘ ist immer noch aktuell.“
Geboren 1972 in Schwerte. Leidenschaftlicher Ruhrtaler. Mag die bodenständigen Westfalen. Jurist mit vielen Interessen. Seit mehr als 25 Jahren begeistert an lokalen Themen.
