Bedrohung durch Russland: Braucht Deutschland wirklich einen Raketen­schutz­schild?

Plan der Bundesregierung

Die Bundesregierung überlegt wohl, das Raketen­abwehr­system Iron-Dome zu kaufen. Seit 2017 gibt es dieses System bereits in Israel – mit Erfolg. Doch gegen die neusten Waffen sei das machtlos.

Berlin

von Sven Christian Schulz

, 28.03.2022, 09:30 Uhr / Lesedauer: 2 min
Israels Iron-Dome-Raketenabwehrsystem fängt Raketen ab, die aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert werden, gesehen vom Gazastreifen aus.

Israels Iron-Dome-Raketenabwehrsystem fängt Raketen ab, die aus dem Gazastreifen in Richtung Israel abgefeuert werden, gesehen vom Gazastreifen aus. (Archiv) © picture alliance/dpa/APA Images via ZUMA Wire

Zum Schutz vor möglichen Angriffen aus Russland erwägt die Bundesregierung offenbar die Errichtung eines Raketen­schutz­schilds über Deutschland. Das berichtete die „Bild am Sonntag“. Demnach soll Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit Generalinspekteur Eberhard Zorn über die Einführung eines sogenannten Iron-Dome (Eiserne Kuppel) gesprochen haben. Konkret soll der Kauf eines Flug­abwehr­systems mit Raketen des Typs Arrow 3 diskutiert worden sein, wie sie seit 2017 in Israel eingesetzt werden. Bereits 2025 könne es laut dem Bericht einsatzbereit sein.

Der Nato-General a. D. Hans-Lothar Domröse sagte dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND): „In Israel funktioniert dieses Abwehrsystem gegen traditionelle Raketen seit Jahren hervorragend.“ Doch wenn Russland Hyper­schall­waffen einsetze, könne kein Schutzschirm der Welt etwas dagegen ausrichten. „Es gibt derzeit kein Abwehrsystem, das Raketen mit einer solchen Geschwindigkeit entdecken und dann auch noch abfangen kann.“ Deutschland würde somit etwas kaufen, das derzeit gegen eine solche Waffe nicht zuverlässig schütze.

„Es gibt keinen Schutz gegen Hyperschallwaffen“

Dies betont auch der CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter, Oberst a. D., im Gespräch mit dem RND. „Es gibt keinen Schutz gegen Hyperschallwaffen“, so der Außenexperte, „auch die diskutierten Raketen des Typs Arrow 3 können gegen solche Waffen nichts ausrichten“.

Ein Raketen­schutz­schirm habe laut Kiesewetter derzeit nicht die höchste Priorität für Deutschland. „Bei einem Raketen­schutz­schirm über Deutschland würde man annehmen, dass über Polen hinweg auf uns geschossen wird.“ Doch dies sei gegenwärtig nahezu ausgeschlossen. An vorderster Stelle stünden Polen und das Baltikum, sodass ein Iron-Dome eher für die Nachbar­länder sinnvoll sei. Er mahnte jedoch an, dass es „mit keinem Raketen­schutz­schirm der Welt“ einen hundert­prozentigen Schutz gebe.

Kiesewetter sieht für Deutschlands Schutz andere Prioritäten: „Anstatt Milliarden in einen Iron-Dome zu stecken, den unsere Nachbarländer viel dringender brauchen, sollten wir die Bundeswehr und den Zivilschutz finanziell besser ausstatten.“ Die Ressourcen seien falsch eingesetzt, wenn Deutschland jetzt Milliarden in ein rein nationales neues Raketen­abwehr­system investiere.

Das Bundesamt für Bevölkerungs­schutz und Katastrophen­hilfe habe von den 100 Millionen Euro, um die es gebeten hatte, nur einen Bruchteil bekommen. „Das reicht nicht“, kritisierte der CDU-Politiker. Hinzu komme, dass auch die Bundeswehr nicht gut ausgestattet sei.

Deutschland soll Luftverteidigung für Polen und Baltikum übernehmen

Grundsätzlich befürwortet Kiesewetter aber einen stärkeren Schutzschirm an der Nato-Außengrenze. „Ein Schutzschirm über Deutschland und den Nachbarländern ist kurzfristig nicht möglich, sollte aber mittelfristig in die Nato-Luftverteidigung integriert werden.“ Konkret schlug der CDU-Außenexperte vor: „Deutschland sollte die bodengebundene Luftverteidigung für Polen, das Baltikum und die osteuropäischen Länder übernehmen.“

Polen habe in der Vergangenheit bereits seine Zustimmung signalisiert. „Sinnvoll wäre, wenn die Radargeräte in Deutschland stationiert sind und die Raketen zur Verteidigung in Polen. Deutschland kann so seiner Schutz­verantwortung in Europa gerecht werden“, so Kiesewetter. Dafür würden aber die derzeitigen Luftabwehrsysteme nicht ausreichen.

Bis zur Inbetriebnahme würden Jahre vergehen

Ein Schutzschild über Deutschland würde laut Militärexperte Domröse Milliarden kosten und eine Inbetriebnahme noch Jahre dauern. Er gab zu bedenken, dass selbst der Iron-Dome in Israel nicht das ganze Land, sondern nur einzelne Großstädte schütze.

Kurzfristig hält der frühere Nato-General für Deutschland Flug­abwehr­raketen wie Iris‑T für geeignet, die derzeit am Bodensee produziert und ins Ausland verkauft werden. „Damit lassen sich Kampf­flug­zeuge, Kampfhubschrauber, Anti-Radar-Flugkörper, Marsch­flug­körper, Präzisions­bomben, Drohnen und große Artillerie zerstören.“

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Optimal sei laut Domröse langfristig aber ein großes „Taktisches Luft­verteidigungs­system“, das dann auch Polen, Rumänien und das Baltikum schützen könne. Doch ein solches System sei von den USA aus Kosten­gründen nicht mehr weiter­entwickelt worden und auch nicht vor 2030 realisierbar. Domröse kann sich dies aber im Rahmen eines großen europäischen Sicherheits­projekts vorstellen.

Für Kiesewetter ist klar, dass Deutschland ein neues Sicherheits­gefühl benötige, das dem von Israel ähneln könne. Dort würden sich militärische Maßnahmen viel leichter durchsetzen lassen, weil die Menschen wissen, dass es um ihre Existenz geht. „Unsere Sicherheit wird nicht mehr am Hindukusch verteidigt, sondern am Dnepr und Dnjestr.“

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