Aufregung um Zentrale Abschlussprüfung in Englisch
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War die Englisch-Prüfung der Zehntklässler an Real- und Gesamtschulen in NRW zu schwer? 40.000 Unterzeichner einer Online-Petition meinen das. Schüler beklagen unverständliche Aufgaben und Zeitmangel – und hadern mit Prinz Harry. Aber auch viele Lehrer und Schulleiter sind davon überzeugt: Diese Prüfung war zu schwer. Was meinen Sie dazu? Stimmen Sie ab!

Für viele Schüler war die Zentrale Abschlussprüfung im Fach Englisch ein Schock.
Binnen 24 Stunden fast 32.000 Unterstützer zu vereinen – das will schon was heißen. Dario Schramm (16) aus Bergisch Gladbach ist von Donnerstag auf Freitag genau das gelungen, mit einer Online-Petition. Bis Sonntagmittag waren es schon 40.000. Mit einem Thema, das traditionell in kürzester Zeit die Gemüter in Wallung bringt: Schule. Genauer: Prüfungen. Dieses Mal geht es um die zentralen Prüfungen der zehnten Klassen in Englisch. Schramm will, dass die Arbeit wiederholt wird.
An den zentralen Prüfungen nehmen Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschüler teil; es gibt zwei Anforderungsniveaus. Die Note fließt zu 50 Prozent in die Abschlussnote ein, entscheidet also mit über den Abschluss - und darüber, ob ein Schüler zum Beispiel ans Gymnasium wechseln darf. Gut 100.000 Schüler mussten am Donnerstag antreten.
Thema war dieses Jahr Südafrika. Geprüft wurden das Verständnis gesprochener und geschriebener Texte, Wortschatz und die Fähigkeit, selbst Texte zu schreiben. Nennenswerte Probleme gab es dabei offenbar nur in der Arbeit, die in den B-Kursen der Hauptschulen, an Realschulen und in Erweiterungskursen der Gesamtschulen geschrieben wurde.
Unverständlich formulierte Aufgaben, sehr komplexe Themen, Zeitmangel – das ist als Kritik immer wieder zu hören. Lehrer und Schüler berichten zudem übereinstimmend von zwei konkreten Knackpunkten: den Aufgaben zum Hörverstehen und der Schreibaufgabe. Vorgespielt wurden ein Podcast der Sängerin Miriam Makeba ("Mama Africa") und eine Rede von Prinz Harry.
Einen Teil der - es ist allerdings unklar, ob exakt dieser Mitschnitt in der Prüfung abgespielt wurde. Den
"Das erste war kaum zu verstehen, weil die Frau afrikanischen Slang hatte und Trommelmusik zu hören war. Prinz Harry spricht außerdem sehr undeutlich", kritisiert Schramm, der eine Gesamtschule besucht: "Bei beiden Hörbeispielen kamen außerdem kaum Signalwörter vor, die man in den Aufgaben wiederfinden konnte." Die 30 Minuten Zeit für den ersten Teil hätten ihm gereicht, seien aber für viele zu problematisch gewesen.
Damit ist Schramm nicht allein. "Die Schüler waren schockiert, besonders vom Hörverstehensteil", sagt Bernd Hinke, Leiter der Anne-Frank-Realschule in Düsseldorf: "Sie haben wenig verstanden, obwohl sie viel geübt haben.
Auch Lambert Suwelack, Leiter der St.-Ursula-Realschule in Dorsten, bestätigt die Probleme mit dem ersten Teil der Aufgabe. Die St. Ursula Realschule gehört zur Arbeitsgemeinschaft der katholischen Realschulen im Bistum Münster, die sich bereits zusammengeschlossen hätten und auf dem Dienstweg die Probleme mit der Abschlussprüfung angemerkt haben. "Die Schüler waren ziemlich geschockt", erklärte Suwelack am Sonntagmittag. Der Schulleiter hat inzwischen auch schon erste Rückmeldungen der Englischlehrer bekommen, die die Prüfungen korrigieren. Grundsätzlich lägen die Noten deutlich unter denen, die zu erwarten gewesen seien. "Bei allen zentralen Prüfungen liegen wir als leistungsstarke Realschule deutlich über dem Schnitt", so Suwelack, "diesmal befinden wir uns offenbar mitten drin". Für schwächere Schulen sei das dann wohl ein großes Problem. Da die Noten zur Hälfte in die Abschlussnoten eingehen, sei es für die Schüler vor allem im Vergleich zu früheren Jahrgängen nicht fair. "Unser Schülersprecher hat auch schon einen Brief an das Ministerium geschrieben", sagte Suwelack.
"Am Ende saßen zehn weinende Mädchen in der Klasse"
Etwas anders liegen die Vorwürfe bei der Aufgabe, einen Text zum Rassismus in Südafrika zu untersuchen: Zwar beklagen auch hier Schüler, der Text sei schwer verständlich. Die geforderte Analyse der Sprache setze aber zudem Oberstufen-Wissen voraus, kritisiert zum Beispiel eine Lehrerin. "Am Ende saßen zehn weinende Mädchen in der Klasse", resümiert eine Schülerin.
"Ich stehe glatt Eins in Englisch, und ich war mit der Prüfung überfordert", berichtet Laura Lenzen (16) von der Realschule Holzheim in Neuss: "Dabei wurden wir im Unterricht gut vorbereitet, auch mit den Prüfungen der vergangenen Jahre. Die waren alle deutlich einfacher als unsere." Auch sie sagt: "Wir hatten sehr wenig Zeit." Schon während der Arbeit sei die Stimmung "sehr schlecht" gewesen: "Alle waren angespannt, das hat man richtig gemerkt." Viele Vokabeln seien unbekannt und das Thema Apartheid – also die Rassentrennung in Südafrika – unvertraut gewesen: "Da waren einige richtig verzweifelt."
Heike Siebenkotten, stellvertretende Schulleiterin an der Hans-Jonas-Gesamtschule in Mönchengladbach, lenkt den Blick auf die Fachlehrer: "Das ist auch für die Englisch-Kollegen eine schwierige Situation: Sie haben schon mit den Korrekturen angefangen." Es stelle sich nun die Frage, ob sie einfach weiterkorrigieren sollten, "wenn der Erwartungshorizont vielleicht geändert oder die Prüfung sogar nachgeschrieben wird". Andere Lehrer, die schon mit der Korrektur begonnen haben, berichten von völlig normalen Notenbildern in der Aufgabe zum Hörverstehen.
Die Realschulen in Dortmund werden sich am Montag intensiv mit dem Thema beschäftigen - alle Schulleiter dieser Schulform hatten sich am Freitag zu einer Konferenz getroffen und bis Sonntag keine Gelegenheit, ausgiebiger mit den Fachlehrern Rücksprache zu halten.
Für Schulleiter Hinke aus Düsseldorf ist die Sache klar: "Die Prüfung war zu schwer." Da seien sich die Kollegen einig: "Bei uns haben die Prüfung etwa 90 Schüler geschrieben, und keiner fand es einfach. Die Schüler waren teilweise außer sich, es gab Tränen und große Enttäuschung." Zwar habe es schon einmal Probleme mit einer Englisch-Prüfung gegeben, "aber noch nie so schlimm". Sein Kollege Wolfgang Spangenberger von der Realschule Holzheim spricht von einer "unerwartet schweren" Prüfung. Er habe die Englisch-Kollegen gebeten, die Probleme zusammenzufassen, und werde den Bericht kommende Woche an die Bezirksregierung weiterleiten – das ist die Schulaufsicht für die Realschulen.
Spangenberger sagt, er sehe "zwei Möglichkeiten: Entweder wird die Prüfung wiederholt, oder die Bewertungskriterien werden heruntergesetzt." Sein Kollege Hinke unterstützt die Petition für eine Wiederholung der Prüfung. Genau in diesem Punkt sind die Lehrerverbände uneins: Der Verband Lehrer NRW, der vor allem die Realschulen vertritt, hält eine Neuauflage für unabdingbar, "sofern sich die Mängel in den Aufgaben bei der jetzt laufenden Überprüfung durch das Ministerium bestätigen".
Der Verband Bildung und Erziehung (VBE) sieht das anders: Eine Klausur nachzuschreiben, "bedeutet doppelten Stress", sagt VBE-Chef Udo Beckmann. Er plädiert für Pragmatismus: "Sollten die Prüfungen tatsächlich so schlecht ausfallen, wie offenbar befürchtet wird, raten wir dazu, das Bewertungsraster neu aufzustellen, um ein angemessenes und faires Abbild der Leistungen der Schüler zu bekommen."
Das sagt das Ministerium:
Die Prüfungsaufgaben werden nach Angaben des Ministeriums von einer Lehrer-Gruppe entwickelt. Es folgen die Begutachtung durch Hochschullehrer, der Praxischeck durch weitere Lehrer und eine Schlussredaktion. Die Englisch-Arbeit entspreche "den fachlichen Vorgaben für den Unterricht, ist lehrplankonform und lösbar", betont ein Sprecher des Schulministeriums. Weil aber "einzelne Prüfungsteile als sehr anspruchsvoll wahrgenommen wurden", werde man den Schulen Anfang der Woche "weitere Hinweise zu einer angemessenen Einordnung der Schülerleistungen geben".
Mit anderen Worten: Bei der Bewertung wird es mehr Toleranz geben. "Gewisse Spielräume" ließen schon die Bewertungsvorgaben, heißt es aus dem Ministerium – wobei Lehrer darauf hinweisen, gerade bei den zentralen Prüfungen sei dieser Spielraum minimal, weil die Vorgaben strenger seien als bei normalen Klassenarbeiten.
Im Internet kursierten auch zwei Fotos, die zwei ausgefüllte Blätter der Prüfungsarbeit zeigten – verbunden mit dem Hinweis, offenbar seien diese Aufgaben "geleakt" worden, also vorab an die Öffentlichkeit gelangt. Das würde die Frage, ob die Prüfung wiederholt werden muss, noch einmal ganz neu stellen. Man habe aber bisher keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Aufnahmen vor der Prüfung entstanden seien, sagte ein Sprecher des Ministeriums.
Begründer der Petition ist völlig überrascht
Dario Schramm ist im Gespräch anzuhören, dass er ein wenig überrascht ist vom Erfolg seiner Aktion. "Ungefähr um 15 Uhr" habe er am Donnerstag die Petition an Freunde und Mitschüler geschickt, "nach einer Stunde waren es ungefähr 30 Unterschriften. Im Laufe des Abends ist das dann völlig explodiert." Die Plattform Open Petition, die Schramm verwendet hat, will nun alle Landtagsabgeordneten anschreiben und sie nach ihrer Meinung fragen.
"Dass eine Petition in so kurzer Zeit so viele Menschen erreicht, ist sehr selten", sagt Konrad Traupe von Open Petition. Zum Vergleich: Eine Petition von Eltern für eine bessere Lehrerversorgung der Schulen (ebenfalls ein neuralgisches Thema) erreichte 2016 in sechs Monaten "nur" 13.744 Unterstützer. Die Petition einzureichen, also dem Landtag vorzulegen, sei aber Aufgabe des Antragstellers selbst, sagt Traupe – erst dann würde also aus der Empörung im Internet ein geregeltes parlamentarisches Verfahren. Genau das hat Schramm vor, wenn die Frist für weitere Eintragungen vorbei ist: "Ich will die Petition auf jeden Fall weiterverbreiten und nach Ablauf nächste Woche Freitag dem Ministerium überreichen."
Für die Schüler wird es jetzt darum gehen, sich wieder zu konzentrieren, denn Englisch war, nach Deutsch, erst der zweite Akt. Am kommenden Dienstag steht der dritte und letzte Durchgang auf dem Plan – Mathematik. Für viele ist erst das der richtige Brocken.