Ehepaar aus Dortmund
Am 41. Hochzeitstag mit Höhenangst aus Kölner Seilbahn befreit
Diesen Hochzeitstag werden sie nie vergessen: Die Dortmunder Martina und Hans-Peter Rieger gehören zu den 65 Menschen, die am Sonntag in den Gondeln der defekten Kölner Seilbahn feststeckten. Die Idee für den Ausflug hatte ausgerechnet die an Höhenangst leidende Martina Rieger. Uns hat das Berghofer Ehepaar erzählt, wie seine Rettung ablief.
Die Riegers wollten an ihrem 41. Hochzeitstag am Sonntag (30.7.2017) einen Tagesausflug nach Köln unternehmen und am Abend der Tochter, dem Schwiegersohn und den Enkelkindern einen Überraschungsbesuch abstatten. Der Plan ging auf, allerdings mit einem nicht eingeplanten Abenteuer.
"Mal mit der Seilbahn den Rhein überqueren"
„Wir wollten uns einen netten Tag machen – und ausgerechnet ich mit meiner Höhenangst habe dann meinem Mann vorgeschlagen, mal mit der Seilbahn den Rhein zu überqueren", blickte die 60-jährige Berghoferin einen Tag später zurück. Seit Jahren lebt Martina Rieger mit ihrer Höhenangst, wegen der sie schon vom Alpin-Ski aufs Langlaufen umgestiegen ist.
Gut 30 Minuten standen beide in der Warteschlange, in der sie auch ein Schild entdeckten: „Da stand drauf, dass die Fahrten bei starkem Wind beeinträchtigt und kurzfristig unterbrochen werden können. Da hatte ich dann schon wieder Bammel, aber mein Mann sagte, dass wir das jetzt nach 30 Minuten in der Warteschlange durchziehen.“
Also zahlten die Riegers die 14 Euro vor Hin- und Rückfahrt und planten nach dem Ausstieg am gegenüberliegenden Rheinufer noch einen Kaffee ein. So weit, so gut. Bis dann „hoch über dem Rhein die Kabine so stark schaukelte. Da habe ich schon gesagt, dass ich froh bin, wenn wir auf der anderen Seite wieder aussteigen. Und dann gab es einen Ruck und wir sind stehen geblieben“, sagt Martina Rieger, bei der die Höhenangst die Schaukelgefühle weiter verstärkte.
Feuerwehr hatte "leider keinen Sekt dabei"
Am anderen Rheinufer ausgestiegen sind die Riegers auch. Allerdings nicht in der Seilbahnstation, sondern etwa 15 Meter über dem Boden hängend in den Korb einer Drehleiter der Feuerwehr. Martina Rieger: „Zum Glück waren wir nicht mehr über dem Wasser. Wir haben dem Feuerwehrmann gesagt, dass wir eigentlich unseren Hochzeitstag feiern wollten – und er meinte, dass er leider keinen Sekt dabei habe. Ich muss sagen, dass die Feuerwehr diesen Einsatz sehr routiniert und beruhigend wirkend abgewickelt hat. Wir merkten, dass wir sicher und in guten Händen sind.“
Die Minuten davor waren von Ungewissheit gequält. Rund 25 Minuten fehlten die Informationen über den Stillstand der Gondel, die längst nicht mehr schaukelte. Stattdessen beobachtete Martina Rieger fragende Blicke aus den Nachbarkabinen und den hektisch wirkenden Mann in der Seilbahnstation, der permanent telefonierte. Martina Rieger dachte an einen Stromausfall als Ursache für den Zwischenstopp, während Ehemann Hans-Peter seelenruhig in der inzwischen von der Sonne aufgewärmten Kabine prognostizierte: „Es wird schon irgendwie weitergehen.“ Dann rauschten Polizei und Feuerwehr heran. „Es wird jetzt interessant hier“, kommentierte der 62-Jährige die Ankunft der Einsatzkräfte, immer noch die Ruhe in Person.
Dieser Hochzeitstag prägt sich ein
„Bleiben Sie ruhig. Es ist alles in Ordnung“, hörte Martina Rieger dann das Bodenpersonal der Feuerwehr rufen, während Höhenretter auf die mit den Drehleitern nicht erreichbaren Gondeln stiegen, um die Insassen für Abseilaktionen vorzubereiten. Ein Leiterwagen brachte sich unterhalb der Zoobrücke in Position und befreite zuerst eine Familie mit Kindern aus einer der Gondeln.
„Das habe ich mir in Ruhe angeschaut. Da wusste ich, was auf mich zukommt. Der Feuerwehrmann fuhr den Korb so nah wie möglich an unsere Gondel heran und sagte, dass wir keine Angst haben sollen, wenn es rappelt oder wackelt. Dann waren wir in Sicherheit. Abends noch nett essen mit der Familie und dann zurück nach Hause – diesen Hochzeitstag werde ich nie vergessen“, berichtet Martina Rieger.
Über dem Rhein musste die Feuerwehr die Passagiere abseilen - das blieb den Riegers erspart. Foto: dpa
Zum mulmigen Gefühl mischt sich inzwischen etwas Humor bei, einen Tag später kann die Dortmunderin auch wieder darüber lassen. Die Gesamt-Atmosphäre beschreibt sie so: „Das Ungewisse macht einen total nervös. Es war unangenehm warm, die Kunstledersitze klebten. Und mein Mann sagt, dass ich einfach ruhig bleiben soll.“ In Betrieb genommen wurde die Kölner Seilbahn zur Bundesgartenschau 1957. 1957, das ist Martina Riegers Geburtsjahr. Ob sie jemals wieder Seilbahn fahren wird? Sie zögert mit der Antwort, zumal die Kölner Gondeltour trotz Störfalls ein gutes Ende hatte. Vielleicht hilft bei der nächsten Seilbahnfahrt im Winterurlaub ja einfach eine Flasche Sekt …
Die Dortmunder Feuerwehr war am Sonntagnachmittag mit ihrem Teleskopmastwagen nach Köln gefahren, musste die Kollegen dort allerdings nicht unterstützen. Zwar läuft in Dortmund keine Seilbahn vom Kölner Format, allerdings sind die seit 1996 arbeitenden Höhenretter der Feuerwehr auf Einsätze in großen Höhen vorbereitet. Die Arbeit der Höhenretter stellt Hauptbrandmeister, Ausbilder und Einsatzführer Stefan Klaus (45) im Interview vor.
Interview mit einem Höhenretter: "Man muss da Ruhe reinbringen"
Stefan Klaus ist Ausbilder und Einsatzführer bei den Höhenrettern der Dortmunder Feuerwehr.
Herr Klaus, wie ist der Dienst der Dortmunder Höhenretter organisiert?
36 bis 38 Höhenretter arbeiten auf zwei Wachtouren, mindestens fünf sind immer zeitgleich auf einem Löschgruppenfahrzeug im Dienst. Sie bewältigen den Einsatzalltag der Feuerwehr und übernehmen in großen Höhen und Tiefen dann den Spezialeinsatz.
Wie oft sind die Höhenretter als Spezialisten gefragt?
Rund fünfmal im Jahr leisten wir überörtliche Hilfe in anderen Städten, in denen die örtliche Feuerwehr keine eigenen Höhenretter ausgebildet hat. Hier in Dortmund werden wir fünf- bis zehnmal pro Monat alarmiert. Da geht es nicht nur um die klassische Industrierettung in Höhen und Tiefen, sondern auch darum, auf Hochhäusern, Strommasten oder Brücken Suizide zu verhindern. Jeder Höhenretter hat auch neben der speziellen 80 Stunden dauernden Ausbildung auch eine Erstsprecher-Qualifikation, um zu rettende Person angemessen und vor allem beruhigend ansprechen zu können.
Wer kann Höhenretter werden?
Ist eine Stelle frei, schreiben wir sie aus. Die Bewerber müssen zwei bis drei Jahre im normalen Einsatzdienst gearbeitet haben. Beim Auswahltest checken wir, ob die Bewerber für das extreme Arbeiten in Höhen, Tiefen, Kanälen und Schächten geeignet sind. Die körperlichen Anforderungen für die Arbeit bei der Feuerwehr sind ohnehin schon hoch, für die Arbeit als Höhenretter sind sie noch einmal deutlich höher. Bei voller Montur müssen wir 40 Kilogramm Gepäck tragen. Der Stresslevel ist hoch, denn anders als im Korb der Drehleiter habe ich als Höhenretter nichts Sicheres um mich herum, was mir Halt gibt, außer Gurte und Seile.
Nehmen wir einmal an, die Höhenretter müssten Personen von der Aussichtsplattform des Florianturms im Westfalenpark befreien und abseilen: Worauf kommt es da an?
Man muss da Ruhe reinbringen, das ist das Allererste, und dann Prioritäten setzen: Wer muss zuerst runter, wer kann warten? Manche gehen völlig entspannt mit Stresssituationen um, andere sind panisch oder haben Erkrankungen, die sich verschlimmern könnten. Da wir ausgebildete Rettungssanitäter sind, können wir in medizinischen Notfällen sofort eingreifen. Wenn wir nicht sofort einen Notarzt heranführen können, können wir unter Anleitung eines Notarztes per Funk weitere wichtige Maßnahmen ergreifen. Entscheidend ist auch, ob die zu rettenden Personen an dem Ort sicher sind oder ob wir zeitkritisch arbeiten müssen. In der Regel nehmen uns die Bürger in Stresssituationen als beruhigend wahr. Wir strahlen irgendwie Sicherheit aus und können den Stresspegel herabsetzen.
Wie sind die Höhenretter ausgestattet?
Unseren Einsatzwagen haben wir selbst eingerichtet und ausgestattet. Der Platz ist über die Jahre immer enger geworden, weil wir mehr Ausrüstung mitführen müssen. Ich hoffe, dass wir Anfang 2018 ein neues Fahrzeug erhalten. Wir haben mehrere Gurtgrößen dabei, auch für Kinder und schwergewichtige Personen mit Übergrößen.
Wie überwinden Sie die Höhen mit den Personen?
Im Normalfall seilen wir den Bürger nicht alleine ab, wir begleiten ihn. Wenn er in einer Trage liegt, blickt er in den Himmel - und sieht nicht in die Tiefe. Das hilft schon weiter. Der begleitete Transport hat immer oberste Priorität.
Eins ihrer wichtigsten Werkzeuge ist das Seil
Das längste Seil ist 200 Meter lang, es wiegt 30 Kilogramm. Unsere Seile tragen 2,5 Tonnen und haben bei Belastung einen Dehnungsfaktor von vier Prozent. Anders als die Spezialeinsatzkommandos der Polizei oder das Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr arbeiten wir immer mit zwei Systemen. Polizei und Bundeswehr wollen immer schnell raus aus dem Seil. Wir sichern das Lastsystem für uns und die Bürger zusätzlich mit einem Sicherungssystem ab, falls mal was schief geht.
Sie arbeiten nicht nur als Höhenretter, sondern müssen auch in die Tiefe gehen.
Ja, zum Beispiel bei Arbeitsunfällen in Baugruben, wenn wir Patienten versorgen und sicher nach oben bringen müssen. Wir müssen in tiefe Tankanlagen absteigen können und an Steilhängen die Kollegen sichern, wenn sie in steilen Wäldern ein Feuer löschen.