"Alles, was wir zeigen, ist echt"
Interview
Doris Dörrie (60), Regisseurin, Schriftstellerin, Dozentin an der Hochschule für Film und Fernsehen in München, hat seit ihrem Kinohit "Männer" (1985) an die 20 Filme gemacht. Kai-Uwe Brinkmann traf sie in Essen zur Premiere ihres neuen Films "Grüße aus Fukushima".

Doris Dörrie im Filmstudio „Glückauf“ in Essen
Frau Dörrie, 1984 waren Sie zum ersten Mal in Tokio, für "Erleuchtung garantiert" und auch "Kirschblüten - Hanami" haben Sie in Japan gedreht. Was brachte Sie jetzt erneut nach Japan? Das war die Katastrophe vom März 2011, Erdbeben, Tsunami, Reaktorunfall. Ich habe Freunde in Japan, und war schockiert. Man sitzt vor dem Fernseher und kann nicht glauben, was da passiert. Sechs Monate später fuhr ich nach Japan, um mir ein Bild zu machen.
Was haben Sie gesehen? Die Verwüstung war überwältigend. Ich habe Leute in Notquartieren besucht, die mit scheinbarer Gelassenheit alles ertrugen und hofften, ihr Leben würde sich bald ändern. Fünf Jahre später sind sie immer noch dort. Was wir zeigen, ist echt. Es ist der wirkliche Landstrich mit seinen Bewohnern, die Säcke mit verseuchter Erde sind echt, die Notunterkünfte auch.
Wann kam Ihnen die Idee, dort zu filmen? Erst viel später. Ich war mehrfach in Fukushima, aber es hat gedauert, bis ich eine Geschichte hatte. Was ich vorher recherchiert hatte, habe ich eingearbeitet. Und dann mussten wir natürlich die Strahlung messen, bevor wir mit dem Team anrückten.
Man spürt, dass Sie den Menschen mit Sympathie begegnen. Was mögen Sie an den Japanern? Es gibt eine sehr japanische Art, von sich selber abzusehen und erst zu schauen, was mit dem Anderen ist. Eine sehr zärtliche Haltung, die mir jedes Mal wieder gefällt.
Spiritualität findet sich auch in Ihrem Film oder? Die wenigsten Japaner sagen, sie seien Buddhisten, obwohl sie davon geprägt sind. Der Platz, wo du Dich aufhältst, wird gereinigt, wie die Geisha im Film es macht. Eigentlich eine Zen-Übung. Japaner sind achtsam gegenüber den Dingen, auch beim Essen.
Niemand in Tokio isst und trinkt auf der Straße. "To Go" gibt es nicht, man setzt sich. Das hat spirituelle Wurzeln. Etwas davon spürt man im Film. Gleichzeitig wird auch in Japan die Umwelt verschmutzt. Stolze 56 Atomkraftwerke sind am Netz, trotz der Erdbeben. Protestieren tun nur alte Leute. Die meisten, das ist menschlich, wollen Fukushima vergessen. Wir waren die Ersten, die dort einen Spielfilm drehten. Womöglich waren wir auch die Letzten.