Ein Mann sitzt an seinem Schreitisch und studiert Akten.

Hans-Joachim Lehmann, der auch schon als Kläger gegen den Muezzin-Ruf in Oer-Erkenschwick überregionale Bekanntheit erlangte, klagte jetzt auch erfolgreich gegen die Abwasser-Gebühren. © picture alliance / Caroline Seid

Abwasser-Urteil: Entlastung für Bürger, aber die Städte brauchen das Geld trotzdem

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Ein Oer-Erkenschwicker klagte erfolgreich gegen seinen Abwasser-Gebühren-Bescheid. Das bringt Entlastung für die Bürger, aber neue Belastungen für den Haushalt der Städte. Und die geben sie weiter.

Waltrop

, 24.05.2022, 16:26 Uhr / Lesedauer: 2 min

Viele Bürger in Nordrhein-Westfalen haben jahrelang zu hohe Abwassergebühren gezahlt. Das hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden - und damit seine bisherige Rechtsprechung geändert. Der Kläger ist Oer-Erkenschwicker: Hans-Joachim Lehmann. Ihm wurde jetzt bestätigt, dass sein Gebührenbescheid von 2017 in Höhe von knapp 600 Euro um 18 Prozent zu hoch ausgefallen sei. Während er und ein weiterer Bürger Oer-Erkenschwicks, die seit 2017 beziehungsweise seit 2021 Widerspruch gegen die Bescheide eingereicht haben, nun Geld zurückbekommen werden, sind die Bescheide anderer Bürger in aller Regel längst rechtswirksam. Sie bekommen also nichts erstattet.

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„Nach unserer Kenntnis gab es auch in Oer-Erkenschwick für das Gebührenjahr 2021 über 100 Einsprüche“, heißt es zu diesem Thema allerdings von der Unabhängigen Wähler­gemeinschaft Oer-Erken­schwick (UWG), der Lehmann angehört. „Leider wurden unseres Wissens die meisten Widersprüche und die Anträge auf Ruhen des Verfahrens von der Verwaltung unredlich abgelehnt.“

Bis zu eine Million Euro fehlt in den Kassen im Ostvest

Hausbesitzer und Mieter dürfen nach dem Urteil in den kommenden Jahren jedenfalls damit rechnen, dass ihre Gebührenbescheide oder Nebenkostenabrechnungen niedriger ausfallen, weil die Kommunen in NRW die Berechnungen neu aufstellen müssen. In den städtischen Haushalten werden aber Gebühren teils in Millionenhöhe fehlen, je nach Größe der Stadt.

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Eine Nachfrage in Oer-Erkenschwick, Waltrop und Datteln verdeutlicht die Dimensionen: Heinz Schnettger, Kämmerer der Stadt Oer-Erkenschwick, geht für seine Stadt von 800.000 bis zu einer Million Euro aus, Bernd Funke, Vorstand des Waltroper Ver- und Entsorgungsbetriebs (V+E), nennt dieselbe Größenordnung. Im Dattelner Rathaus nennt man eine Summe von 900.000 Euro, und spricht an, was auch aus den anderen Kommunen zu hören ist: „Diese Summe ist so hoch, dass wir sie nicht einfach so auffangen können. Deshalb müsste eine entsprechende Kompensation erfolgen – das könnte weitere Einsparungen bedeuten und/oder, dass Einnahmen erhöht werden müssen.“

Prinzip: Gebühren konsequent eintreiben statt Steuern erhöhen

Heinz Schnettger erklärt das Prinzip: Eine Gemeinde hat die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel „soweit vertretbar und geboten“, aus selbst zu bestimmenden Entgelten für die von ihr erbrachten Leistungen zu bestreiten. „Und wenn das nicht auskömmlich ist, aus Steuern.“

Ein Mann ist zwischen den urscharfen Hinterköpfen zweier weiterer Personen zu sehen.

Stadtkämmerer Heinz Schnettger spricht für Oer-Erkenschwick von einem Einnahme-Ausfall in Höhe von 800.000 Euro bis zu einer Million durch das Abwasser-Urteil. © Andreas Kalthoff (Archiv)

So steht es in der Gemeindeordnung. Und das Prinzip, dass erst einmal die Gebühren konsequent einzutreiben seien, bevor man kommunale Steuern erhöhe - das habe auch die Gemeindeprüfungsanstalt den Städten immer wieder ins Stammbuch geschrieben, und daran habe man sich orientiert.

Auch Kläger Lehmann ist sich natürlich im Klaren darüber, dass die Stadt den Einnahmeausfall wird kompensieren müssen, und er weiß, dass die „Bordmittel“ armer Kommunen dafür sehr beschränkt sind. Er erwartet, dass das Land die Städte stärker finanziell unterstützt.

Geht Oer-Erkenschwick gegen das Urteil vor?

Oer-Erkenschwicks Kämmerer Schnettger gibt sich derweil angesichts der Niederlage emotionslos: Es sei das Recht des Klägers gewesen, die Bescheide anzufechten. Und Tatsache sei: Die Vorinstanz des Oberverwaltungsgerichts, das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, habe der Stadt bescheinigt, im Rahmen der bis dato geltenden Regeln die Gebühren richtig erhoben zu haben.

Ein Mann inspiziert ein Abwasser-Rohr.

Die Abwasser-Gebühr in NRW ist zu hoch, hat das OVG Münster festgestellt. © picture alliance/dpa

Doch das aktuelle Urteil des OVG markiert nun Änderungen an zwei Stellen: Das Gericht kritisierte zum einen, dass die Stadt bei den Gebührenbescheiden die Abschreibungen und Zinsen so berechnet habe, dass diese die tatsächlichen Kosten für die Anlage wie die Abwasserrohre am Ende überschreiten. Zum anderen sei der kalkulatorische Zinssatz in den Gebührenbescheiden nicht mehr gerechtfertigt. Nicht 6,52 Prozent, wie von der Stadt Oer-Erkenschwick errechnet, sondern nur noch 2,42 Prozent seien vertretbar.

Eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht ließ das OVG nicht zu, dagegen kann allerdings Beschwerde eingelegt werden. Ob Oer-Erkenschwick das tun werde, habe man noch nicht entschieden, sagte Kämmerer Schnettger unserer Redaktion.