
Die Abwassergebühren in Nordrhein-Westfalen wurden über Jahre falsch berechnet. Das entschied jetzt das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht in einem Urteil. © dpa (Symbolfoto)
Urteil zu Abwassergebühr trifft auch Gebühren- und Steuerzahler in Lünen
OVG-Urteil
Das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht hat ein wegweisendes Urteil zur Höhe der Abwassergebühren gefällt. Mit folgenden Konsequenzen für Lünens Gebühren- und Steuerzahler.
Die Abwassergebühren in Nordrhein-Westfalen sind über Jahre auf Basis einer falschen Grundlage berechnet worden. Das hat das NRW-Oberverwaltungsgericht (OVG) am Dienstag (17. Mai) in Münster in einem Musterverfahren entschieden. Die Folgen für Städte und Kommunen sind immens - das gilt natürlich auch für Lünen und seine Gebühren- und Steuerzahler. Aber der Reihe nach:
Geklagt hatte ein Grundstücksbesitzer in der Stadt Oer-Erkenschwick. Er wehrte sich gegen einen Abwasserbescheid aus dem Jahr 2017 über knapp 600 Euro. Der war rechtswidrig und um 18 Prozent zu hoch ausgefallen, wie das OVG jetzt urteilte.
60 Widersprüche in Lünen
Direkt von dieser Entscheidung profitieren jetzt Bürger, die in der Vergangenheit Widerspruch gegen ihre Bescheide eingelegt haben. „Es gab in diesem Zusammenhang etwa 60 Widersprüche, überwiegend im Jahr 2021. Aktuell ist davon kein Verfahren mehr offen“, teilte Stadtsprecher Daniel Claeßen unserer Redaktion am Donnerstag (19. Mai) auf Anfrage schriftlich mit.
Hausbesitzer und Mieter dürfen nach dem OVG-Urteil in den nächsten Jahren damit rechnen, dass ihre Gebührenbescheide oder Nebenkostenabrechnungen niedriger ausfallen, weil die Kommunen in NRW die Berechnungen neu aufstellen müssen. In den städtischen Haushalten werden demnach Gebühren in Millionen-Höhe fehlen.
Gebühr wird neu kalkuliert
„Nach jetziger Einschätzung werden die Abwassergebühren für die Zukunft anders kalkuliert werden müssen. Dabei ist mit deutlich geringeren Zinsaufwendungen als heute zu rechnen“, teilte Daniel Claeßen weiter mit:
„Die Folge werden vermutlich geringere Abwassergebühren sein. Gleichzeitig wird der handelsrechtliche Jahresüberschuss sinken und damit auch die Gewinnausschüttung des SAL an den Haushalt der Stadt Lünen. Damit fehlen Erträge im städtischen Haushalt, die zum Beispiel über eine Erhöhung der Grundsteuer B aufgefangen werden müssen, wenn keine andere Konsolidierungsmöglichkeit wie zum Beispiel die Reduzierung von freiwilligen Leistungen möglich ist.“
Rote Zahlen bei der Stadt
Vor diesem Hintergrund, hieß es weiter, werde das jetzt bereits bestehende Jahresdefizit - ohne die Bilanzierungshilfe Corona - entsprechend weiter erhöht.
Die ganz Thematik soll nach Angaben des Stadtsprechers in der Sitzung des SAL-Verwaltungsrats am 22. Juni besprochen werden:
„Überdies wird, wie in jedem Jahr, die nächste Entwässerungsgebührenkalkulation und die zugehörige Entwässerungsgebührensatzung wieder öffentlich im Verwaltungsrat beschlossen werden. Der Termin dazu ist im Dezember 2022.“
Das OVG kritisierte gleich mehrere Punkte der bisherigen Berechnungspraxis: Die Stadt habe bei den Gebührenbescheiden die Abschreibungen und Zinsen so berechnet, dass diese die tatsächlichen Kosten für die Anlage wie die Abwasserrohre am Ende überschreiten.
OVG zur Gebührenerhebung
„Die Gebühren dürfen nur erhoben werden, soweit sie zur stetigen Erfüllung der Aufgaben der Abwasserbeseitigung erforderlich sind“, erklärte das OVG und bezog sich dabei auf die NRW-Gemeindeordnung.
Laut Stadtsprecher Claeßen steht einer Gebührenerhöhung eher nicht zur Debatte, da sich an der Höhe der (kalkulatorischen) Abschreibungen nichts ändert:
„Die angesetzten Zinsen werden künftig voraussichtlich vom Anlagevermögen entkoppelt sein, so dass hier dann kein direkter Zusammenhang mehr bestehen wird.“
Beim kalkulatorischen Zinssatz ging Oer-Erkenschwick vom Durchschnitt der vergangenen 50 Jahre aus und setzte noch einen Aufschlag drauf. Das OVG dagegen sieht nur einen Zeitraum von 10 Jahren als begründbar an. Und so kamen die Richter nicht auf einen Zinssatz von 6,52 Prozent wie die Stadt, sondern nur noch auf 2,42 Prozent. Ähnlich verhält es sich in Lünen.
SAL-Investitionen sollen gleich bleiben
Der Stadtbetrieb Abwasserbeseitigung (SAL) gehe indes davon aus, ließ Stadtsprecher Daniel Claeßen die Redaktion wissen, dass das OVG-Urteil und die daraus resultierenden Konsequenzen keine signifikanten Auswirkungen auf die Investitionshöhen des Stadtbetriebs zum Beispiel in das Kanalnetz haben wird.
Anders sieht es bei der Stadt aus, der wegen der künftig geringeren Überweisung von SAL weniger Geld zur Verfügung steht:
„Es muss bereits im Haushalt 2023 vom Rat entschieden werden, wie eine mögliche Kompensation aussehen kann. Dies könnte über eine Ertragserhöhung wie zum Beispiel der Grundsteuer B erfolgen oder aber durch Aufwandsreduzierungen, wie etwa der Verringerung von freiwilligen Leistungen.“
Bund der Steuerzahler zufrieden
„Die Richter teilen voll und ganz unsere Auffassung“, sagte der NRW-Vorsitzende des Bundes der Steuerzahler (BdSt), Rik Steinheuer, laut Mitteilung nach der Entscheidung am Dienstag:
„Abwassergebühren sind dazu da, die kommunale Abwasserbeseitigung sicherzustellen - und nicht, auf Kosten der Gebührenzahler satte Gewinne abzuschöpfen.“
Der BdSt hatte das Verfahren von Anfang an begleitet und die Gebührenzahler in Nordrhein-Westfalen aufgefordert, Widersprüche gegen ihre Bescheide einzulegen.
Jahrgang 1968, in Dortmund geboren, Diplom-Ökonom. Seit 1997 für Lensing Media unterwegs. Er mag es, den Dingen auf den Grund zu gehen.
