Mitte der 50er-Jahre haben die Jungs am Katzenbusch im Hertener Süden nur eine Freizeitbeschäftigung: „pöhlen“. „Hinter dem Pferdestall, dort drüben zwischen den Bäumen, haben wir Fußball gespielt.“ Johann „Hansi“ Geiermann deutet aus dem Fenster auf die gegenüberliegende Straßenseite. Zwei Jacken markieren für die Kinder das Tor. „Wir haben bis in die Dunkelheit gespielt – ganz egal, ob wir nichts mehr gesehen haben.“ „Hansi!“, ruft ihn seine Mutter allabendlich nach Hause. „Doch ich habe sie nicht gehört.“ Mit klein Johann steht auch Rudi Assauer auf dem Platz. Der spätere Bundesligaprofi und Manager des FC Schalke 04 wächst im Hertener Süden auf – und startet seine Fußball-Karriere mit acht Jahren bei der Spielvereinigung Herten.
„Ich habe ihn kennengelernt, als ich zehn oder zwölf Jahre alt war“, erinnert sich Johann Geiermann. Seinerzeit lebt Rudi Assauer mit seinen Eltern, seinem älteren Bruder Lothar und seiner Zwillingsschwester Karin an der Augustastraße. „Fußball, Fußball, Fußball – für uns gab es damals nichts anderes“, bestätigt Rudi Assauer selbst in seiner Autobiografie „Wie ausgewechselt – Verblassende Erinnerungen an mein Leben“, die 2012 erscheint. „Wenn die Schule zu Ende war, habe ich zu Hause mein Zeug in ‘ne Ecke geschmissen, schnell was gegessen, und dann ging es ab zum Fußballspielen.“
Zunächst „pöhlen“ die Jungs mit einem Gummiball. „Der war einem heutigen Basketball sehr ähnlich“, erzählt „Hansi“ Geiermann. Eines Tages bekommt klein Johann einen Lederball geschenkt – für Rudi Assauer „die Sensation schlechthin“, wie er in seinen Memoiren erzählt. Johann Geiermann lacht: „Von da an durfte ich immer mitspielen – schließlich hatte ich den Lederball.“ Selbst als die Blase im Inneren des Balls reißt, geben die Kinder ihr geliebtes Leder nicht auf. „Eine echte Ballblase konnten wir uns nicht leisten.“ Sie improvisieren: Wird in der Nachbarschaft ein Schwein geschlachtet, schnappen sich die Jungs die Blase des Tieres, stopfen sie in den Ball und pusten sie auf. „Damit konnten wir ein paar Mal schießen – dann war sie kaputt.“ Ein anderes beliebtes Füllmaterial ist Stahlwolle, mit denen seinerzeit die Maschinen im Bergbau gereinigt werden. Dann setzt der damalige Geschäftsführer der Hertener Spielvereinigung den Hilfsmitteln ein Ende – und schenkt den Kindern eine originale Ballblase.
Etwas steif in der Hüfte
Rudi Assauer startet am Katzenbusch seine Profi-Karriere, spielt mit der Spielvereinigung Herten von 1962 bis 1964 in der Regionalliga sowie der Zweiten Liga West. „Er hat sich damals im Mittelfeld gut geschlagen – nur in der Hüfte war er etwas steif“, berichtet „Hansi“ Geiermann. „Doch es gab bessere.“ Der beste Spieler, den die Spielvereinigung jemals hatte: „Günter Wodzki – der hatte einen Schuss ...“ Seine Augen leuchten.
An eine Begegnung gegen Westfalia Herne erinnert sich Johann Geiermann noch gut: „Die haben 90 Minuten lang auf unser Tor gespielt“, erzählt er. „Dann hat Rudi ein Tor gemacht – und wir haben 1:0 gewonnen.“ Im Jahr 1964 wechselt Rudi Assauer in die damals noch junge Bundesliga zu Borussia Dortmund. „Im Tabaklädchen von Walter Hubert am Bramhügel, das weiß ich noch, da hat die Spielvereinigung Herten damals das Ablösegeld erhalten: 50.000 D-Mark, natürlich in bar“, berichtet Rudi Assauer Jahre später. „Abgewickelt und verhandelt hat den Deal mein Vater Franz.“
Mit Franz Assauer ins Stadion
Johann Geiermann begleitet die weitere Karriere Rudi Assauers als Kumpel und Zuschauer: „Ich hatte damals einen VW-Käfer – mein Heiligtum – und habe Rudis Vater Franz immer mit ins Stadion genommen.“ Zunächst geht es regelmäßig nach Dortmund. „Später, als er ab 1970 in Bremen gespielt hat, sind wir zu den Spielen in der Nähe gefahren.“ In Duisburg empfängt der Trupp einmal den Mannschaftsbus von Werder Bremen. „Als der Bus noch 50 Meter entfernt war, hat Rudi zu uns herüber gerufen: ‚Vatter, bist Du schon wieder da? Kannst Du nicht mal vorher Bescheid sagen, dass Du kommst?“ Der Fußballprofi spendiert den Besuchern die Eintrittskarten.

Nachdem Rudi Assauer 1976 seine aktive Laufbahn beendet, wird er Manager – zunächst in Bremen, ab 1981 – mit Unterbrechung – beim FC Schalke 04. „Kurz nachdem er auf Schalke angefangen hat, waren wir mit drei Mann im Stadion“, erinnert sich „Hansi“ Geiermann. „Wir standen zuerst in der Nordkurve.“ Als das Trio feststellt, dass auf der Tribüne noch Plätze frei sind, setzt es sich kurzerhand dorthin. „Was macht ihr denn hier?“, begrüßt Rudi Assauer die alten Kumpane. Nach dem Spiel lädt er sie ein. „Ich habe Wasser und Limo getrunken, er Bier und Kurze.“ Nach einiger Zeit schlägt Rudi Assauer vor, noch zur „Cilli“ nach Herten zu fahren. „Sie war damals die Wirtin von der Kneipe Christ“, erzählt Johann Geiermann. „Als er noch bei der Spielvereinigung gekickt hat, hat sie ihn mal mit Aufgesetztem abgefüllt.“ Er grinst. Die Männer gehen auf Rudis Vorschlag ein – und verbringen einen feuchtfröhlichen Abend am Katzenbusch.
Ein letztes Mal trifft Johann Geiermann seine Fußballkumpel aus Kindheitstagen im Jahr 2014. „In der Maschinenhalle auf der Zeche Ewald hat er seinen 70. gefeiert.“ Rund 200 geladene Gäste gratulieren Rudi Assauer zu seinem runden Geburtstag. „Auf jedem Platz lag eine Praline mit seinem Bild darauf“, erzählt er. „Die habe ich noch heute.“ Er geht zu einem Regal und holt die Süßigkeit heraus – fein säuberlich in Cellophan-Folie verpackt: Auf einer weißen Masse prangt das stilisierte Profil des ehemaligen Schalke-Managers – mit der obligatorischen Zigarre im Mund. Fünf Jahre später, am 6. Februar 2019, verstirbt Rudi Assauer in seiner Geburtsstadt an den Folgen einer Demenz-Erkrankung. Er wird in einem Friedwald in Herten-Westerholt beigesetzt. Um sein Erbe wird bis heute gestritten.
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