2010-Projekt zeigt Wohnen im Revier
Manchmal spricht Harry Lausch im Garten mit den Lokführern der Rangierloks, die in Höhe seines Hauses in Dortmund halten und dann wieder ins Stahlwerk zurückfahren.
Der 52-jährige gelernte Stadtplaner hat sein Heim dort gebaut, wo andere eher ans Wegziehen denken: Am Rand der Innenstadt neben ein Trainingszentrum für Feuerwehrleute an einer viel befahrenen Bahnstrecke. In der Nachbarschaft liegt ein großes Stahlwerk. Gegenüber immerhin ein kleiner Park. Wohnen im Ruhrgebiet. Es lebe das Klischee.
Lauschs Haus und ein Nachbargebäude gehören als «Tremonia Architektenhäuser» zur «Route der Wohnkultur», die anlässlich der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 begründet wurde. Insgesamt 58 markante und bedeutende Wohngebäude und Siedlungen aus den vergangenen 150 Jahren gehören dazu: Moderne Bauten wie das noch nicht ganz fertige Backstein-Wohnhaus von Lausch ebenso wie die älteste Arbeitersiedlung Eisenheim in Oberhausen von 1846, der «Mutter aller Siedlungen des Ruhrgebiets», wie Projektleiter Thorsten Schauz vom Dortmunder Planungsbüro Stadtidee sagt.
Das ganze Jahr lang können Besucher herausragende Objekte in dem Städtekonglomerat an Ruhr und Emscher bei Bustouren und geführten Spaziergängen kennenlernen. Auch selbst geplante Touren sind mit Hilfe von Internet und handlichen, kostenlosen Steckbriefen möglich. Höhepunkt ist der «Tag der Wohnkultur» am 19. September, wo die Gebäude auch innen besichtigt werden können.
Etwa in der an Gärten und alten Kastanien reichen Bergarbeitersiedlung «Fürst Hardenberg» in Dortmund, gebaut in den 1920er Jahren. Holger Rieck lebt dort seit 21 Jahren in einer 87 Quadratmeter großen Doppelhaushälfte und ist sehr zufrieden. «Die Gemeinschaft ist perfekt», sagt der 57-jährige ehemalige Zechenbeschäftigte. 400 Wohneinheiten zählt die Siedlung.
«Hier kennt jeder jeden. Es ist wie ein Dorf», erzählt Peter Beuchel (66). «Jede Wohnung hat einen Garten. Wenn was frei wird, ist es schnell weg.» Aus einem ehemaligen Ledigenheim, das gern auch «Bullenkloster» genannt wurde, ist heute ein «Nachbarschaftshaus» geworden. Computer- und Integrationskurse werden angeboten. Demnächst auch wieder ein Klönabend mit DJ Andreas. «Da sitzen die Leute dann und trinken sich ihr Bierchen», sagt der frühere Schriftsetzer voller Sympathie.
Siedlungen bilden einen Themenschwerpunkt der Route der Wohnkultur. Neben «Eisenheim» und «Fürst Hardenberg» wurden auch Hochhausprojekte wie Bochum-Hustadt in die Route aufgenommen. Dort entstanden seit Ende der 1960er Jahre Blocks mit bis zu 13 Etagen. Ein anderes Thema ist die Mischung von historischer Bausubstanz mit modernen Elementen: Wo früher etwa in der alten Dinnendahlschen Fabrik in Essen Dampfmaschinen gebaut wurden, sind heute angesagte Loft-Wohnungen mit bis zu 210 Quadratmetern Fläche entstanden. In Bochum kaufte 1997 ein Architekt ein altes Zechen-Maschinenhaus von 1890. Heute wird die schicke «Maschinenhalle Hasenwinkel» als Büro und Wohnhaus genutzt.
Wohnen im Alter ist ein weiteres Thema. Exemplarisch ist etwa die Alte Schule in Hamm von 1910 in die Route aufgenommen worden. In das ehemalige Schulgebäude wurden vor fünf Jahren zwölf seniorengerechte Wohnungen gebaut. Schließlich geht es auch um Neubauprojekte auf zuvor anders genutzten Flächen. Paradebeispiel ist das Wohnungsprojekt «NF1» im Duisburger Innenhafen mit 68 Wohneinheiten, das der Londoner Architekt Lord Norman Foster entwickelte.
Zurück zu Harry Lausch. «Es musste Westen sein wegen der untergehenden Sonne», sagt er, während in der Ferne Stahlteile hörbar aufeinanderschlagen. Das Grundstück sei einigermaßen preiswert gewesen. Trotzdem hätten ihn alle für verrückt erklärt, dort zu bauen. «Es ist eine Idylle, aber mit Tücken.» Sorgen machen ihm das Stahlwerk, das jüngst sein Werksgelände vergrößerte, und der Lastwagenverkehr vor dem Haus. Auch der Bahnverkehr ist nicht ohne: «Manchmal nervt es schon.» Seine Partnerin Cornelia Suhan, Architekturfotografin, lobt «die relative Freiheit - trotz einiger Ärgernisse» und bringt es auf den Punkt: «Ich komme aus dem Ruhrgebiet. Da kann das hier auch schon so sein wie es ist.»
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