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Zusatzkurse: Schulen in Lünen wollen Defizite durch Pandemie auffangen
Bildung
Schüler konnten im Distanzunterricht nicht so lernen, wie es ohne Pandemie möglich gewesen wäre. Lüner Schulen entwickeln deswegen Lernprogramme, um die Defizite aufzufangen. Schnell genug?
Es gibt nichts schön zu reden: Während der Corona-Pandemie haben Schülerinnen und Schüler aller Altersstufen einiges an Schulstoff verpasst. Während der verschiedenen Phasen des Distanzunterrichts konnten die Lerninhalte schlicht nicht so vermittelt werden, wie es ohne Pandemie möglich gewesen wäre. Das merkten auch verschiedene Lüner Schulleiter während des noch laufenden Schuljahres immer wieder an.
Eine Befragung des Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München Anfang 2021 unter 2000 Eltern hatte ergeben, dass Schulkinder während des Homeschoolings im Durchschnitt 4,3 Stunden pro Tag mit schulischen Tätigkeiten verbracht hatten.
Das sind etwa drei Stunden weniger, als an einem üblichen Schultag vor Corona. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek geht von deutlichen Lernrückständen bei 20 bis 25 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus.
Und Michael Schulte, Leiter der Lüner Proifilschule sagt: „Nach den Eindrücken der Klassenlehrer haben die Lüner Schüler statt durchschnittlich sechs Stunden Lernzeit pro Tag im Distanzunterricht nur etwa drei bis vier absolviert. Dadurch haben sich ganz klar Defizite ergeben.“ Diesen Eindruck teilten alle Lüner Schulleiter. Sie hatten sich während der Pandemie wiederholt vernetzt.
„Kinder müssen gefördert werden“
Melanie Froch, Schulleiterin der Heinrich-Bußmann-Schule erklärt: „Wir haben im Distanzunterricht per Videochat nach Stundentafel unterrichtet. Aber das ist kein vollständiger Ersatz für den Präsenzunterricht, weil zurückhaltende Schüler nicht so gut mitgenommen werden können.“
Auch seien die Bedingungen bei digitaler Ausstattung und durch Unterstützung der Eltern einfach sehr unterschiedlich gewesen, sagt Michael Schulte.
„Meine eigenen Kinder haben sich tatsächlich sehr gut organisieren können. Aber als Elternsprecher habe ich mitbekommen, dass es viele Kinder gab, die zum Beispiel die Aufgaben nicht abgegeben haben“, sagt Robert Goelzner, Sprecher der Stadtschulpflegschaft Lünen (SSPL) aus Elternsicht.
Er befürchtet, dass es viele Schüler gibt, die durch die Pandemiebedingungen zurückgefallen sein könnten. Deswegen fordert er im Namen der SSPL: „Auf der Strecke gebliebene Kinder müssen gefördert werden, und zwar schnell.“
36 Millionen Euro für Nachhilfe
Um individuelle Auswirkungen der Pandemie auf die Schülerinnen und Schüler gezielt auszugleichen hat das Land NRW 36 Millionen Euro bereit gestellt. In Lünen hat mit der Rückkehr zum Präsenzunterricht wenige Wochen vor Ende des Schuljahrs die Sondierungsphase begonnen: Es wird nun an allen Schulen geschaut, welche Defizite sich konkret ergeben haben und in welchem Umfang.
Die Schulen können ihre Bedarfe und Ideen der Stadt Lünen melden, die dann wiederum konkrete Anträge an das Land NRW stellt, um die Fördermittel zu beantragen.
An der Profilschule soll es beispielsweise ab dem kommenden Schuljahr „langfristig angelegte und nach Fächern und Jahrgängen gegliederte freiwillige Nachmittagskurse“ geben, wie Michael Schulte in Aussicht stellt. An der Heinrich-Bußmann-Schule ist ähnliches angedacht. Für die Abschlussjahrgänge ist eine zusätzliche verbindliche Fachstunde geplant. Dafür fällt eine Schulstunde Sport weg, die mit freiwilligen Sportangeboten am Nachmittag ausgeglichen wird, so Melanie Froch.
Außerdem gibt es schon seit Beginn des laufenden Schuljahres ein freiwilliges Zusatzangebot für Mathematik, Deutsch und Englisch für die Klassen fünf bis sieben, das fortgeführt werden soll.
Beide Schulen arbeiten hier mit dem externen Bildungsanbieter MiMa Sports zusammen. „Wir haben uns dagegen entschieden, in den Ferien etwas anzubieten“, bemerkt Michael Schule. „Die Kinder sollen ihre freie Zeit genießen.“ Auch die anderen Lüner Schulen tendieren dazu, langfristige Zusatzangebote in den Nachmittagsstunden oder am Wochenende zu etablieren. Heinrich Kröger, Leiter des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums sagt: „Lernen muss ganz klar mit Spaß verbunden sein. Da müssen wir entsprechende Angebote finden.“
Lernen soll wieder Spaß machen
Auch SSPL-Sprecher Robert Goelzner findet: „Wir müssen den Kindern das Lernen wieder schmackhaft machen und als Klasse wieder zum Team werden.“ Dafür wünscht er sich, dass insgesamt der Druck ein wenig rausgenommen und der Lernstoff etwas entzerrt werde - je jünger die Schüler, desto mehr.
Ideen für Konzepte, Schüler aufzufangen und verpassten Lernstoff nachzuholen gebe es derweil genug, so Goelzner. „Aber ich finde die Kommunikation zwischen den Entscheidungsträgern sehr träge“, sagt er. „Das Land hat gerade während der Pandemie viel auf den Weg gebracht, aber die Kommune ist sehr träge.“ Um die starken Ideen zeitnah umzusetzen müssten alle an einem Strang ziehen. „Manchmal habe ich das Gefühl als Elternvertreter gegen Windmühlen zu arbeiten.“
Melanie Froch hingegen ist zuversichtlich: „Ich glaube, dass wir die Kinder gut auffangen können. Dank ganz engagierter Kinder. Obwohl das so eine schwierige Zeit war, machen sie es fantastisch.“ Und auch Michael Schulte sagt: „Dies ist keine verlorene Generation, wie es manchmal heißt. Darum kümmern sich die Schulen. Ich bin dabei sehr hoffnungsvoll.“
In und um Stuttgart aufgewachsen, in Mittelhessen Studienjahre verbracht und schließlich im Ruhrgebiet gestrandet treibt Kristina Gerstenmaier vor allem eine ausgeprägte Neugier. Im Lokalen wird die am besten befriedigt, findet sie.
