Nach erneutem Zugunglück in Lünen Wie ist es um die Sicherheit von Bahnübergängen bestellt?

Wie ist es um die Sicherheit von Bahnübergängen bestellt?
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Anm. d. Red: Dieser Artikel erschien zunächst am 11. September 2023. Wir haben ihn angesichts des schweren Unfalls am Bahnübergang jetzt erneut veröffentlicht.

Unfälle an Bahnübergängen sind in Deutschland keine Seltenheit. 2022 hat es hierzulande laut der „Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung“ 146 Mal gekracht. 165 Menschen wurden dabei verletzt. 42 Personen kamen ums Leben - so viele wie seit 2010 nicht mehr.

In Lünen gab es zuletzt im November vergangenen Jahres an einem Bahnübergang eine schwere Kollision zwischen einem Zug und einem Autofahrer. Der Mann überlebte den Vorfall, hatte aber Glück, als er in Alstedde trotz blinkender Lichter auf die Gleise fuhr. Fünf Fragen und Antworten zur Technik an Bahnübergängen, zu Lärmschutzmaßnahmen und zur Sicherheit der Zukunft.

Welche Geschwindigkeitsgrenzen gelten für Züge der Deutschen Bahn?

Wie schnell ein Zug in Deutschland fahren darf, hängt immer von der jeweiligen Strecke ab. Ein Faktor, der hier mit hineinspielt, sind die Kreuzungen zwischen Bahnen und dem restlichen Verkehr. Passiert eine Bahn nicht technisch gesicherte Bahnübergänge an eingleisigen Nebenstrecken, sind dort laut der DB maximal 80 Stundenkilometer zulässig.

Wenn Züge an technisch gesicherten Bahnübergängen mit Schranken, Blinklicht oder Lichtzeichen vorbeikommen, dürfen sie dort mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 km/h fahren. Ob sich Züge innerorts oder außerorts befinden, ist bei der Maximalgeschwindigkeit nicht relevant. In Deutschland gibt es auch sogenannte Hochgeschwindigkeitsstrecken, etwa zwischen Köln und dem Rhein/Main-Gebiet. Hier erreicht ein ICE teilweise bis zu 330km/h. Bahnübergänge mit Schranken gibt es dort nicht, meist sind vor Ort dann Brücken oder Unterführungen zu finden.

An dem Übergang in Alstedde, wo im November 2022 der schwere Unfall passiert ist, gibt es Blinklichter, die auf heranfahrende Züge hinweisen. Sprich: Lokführer dürften hier mit 160km/h unterwegs sein. Gerade wenn Züge aber in Bahnhöfe einfahren, würden sie bereits vorher die Geschwindigkeit drosseln, erklärt ein DB-Sprecher. Denn Bahnen haben einen deutlich längeren Bremsweg, als beispielsweise ein Auto oder LKW. Bei einer Vollbremsung wären das rund 1000 Meter.

Was passiert, wenn eine Bahn doch mal zu schnell unterwegs ist?

Für Lokführer ist an der Strecke ersichtlich, wie schnell sie fahren dürfen, erklärt der DB-Sprecher. Sollten sie diese Geschwindigkeit überschreiten, gibt es ein sogenanntes Zugbeeinflussungssystem. Dieses bremst die Bahn automatisch ab. Gleiches gelte laut der DB, wenn ein Signal überfahren wird. Dann wird eine Zwangsbremsung durchgeführt, sodass der Zug nicht weiterfährt. Bei Störungen wird den Lokführern ein rotes Signal an der Strecke angezeigt, damit sie sich keinem Bahnübergang nähern.

Die Karte zeigt, wie stark der Umgebungslärm an den Schienen in Lünen ist.
Die Karte zeigt, wie stark der Umgebungslärm an den Schienen in Lünen ist. © Screenshot Lärmkarte NRW

160 km/h innerorts klingt nicht gerade leise. Welche Regeln gelten für Züge beim Thema Lärmschutz?

In Lünen gibt es an mehreren Straßen aus Lärmschutzgründen 30er-Zonen. Die Bahn passiert diese Stellen ebenfalls, für Züge gelten die Geschwindigkeitsregeln aber natürlich nicht. Die Deutsche Bahn setzt hier auf den „Lärmschutz an der Quelle“, sprich der Konzern will Zügen leiser machen. Seit 2020 seien alle aktiven Güterwagenflotten in Deutschland mit sogenannten Flüsterbremsen unterwegs, heißt es auf der DB-Website. Bis 2025 will man auch alle Rangierloks mit Dieselantrieb im DB-Fernverkehr durch „besonders leise und klimafreundliche Hybrid-Rangierloks“ ersetzen. In zwei Jahren sollen ebenfalls alle elektrischen Streckenlokomotiven der Güterzüge mit leisen Bremssystemen unterwegs sein.

Die DB will mit weiteren Maßnahmen den Anwohnenden an Zugstrecken entgegengekommen, etwa durch Lärmschutzwände oder spezielle Fenster in den Gebäuden. Bis Ende 2030 nimmt der Konzern sich vor, die Hälfte der gesamten lärmbelasteten Strecken - das sind rund 3250 Kilometer - von Schienenverkehrslärm zu entlasten.

Die Fortschritte fasst die DB unter anderem auf einer Lärmsanierungskarte zusammen. Für Lünen sind demnach zwischen Beckinghausen und Lippholthausen schalltechnische Untersuchung angesetzt. Wie laut es in Lünen durch den Schienenverkehr ist, lässt sich anhand von Kartenmaterial des LANUV herausfinden. Im Bereich vom Hauptbahnhof bis in den Süden der Lippestadt liegt der Zuglärm zwischen 55 und 75 Dezibel (bewertet mit Frequenzfilter A).

Wie funktionieren eigentlich die knapp 16.000 Bahnübergänge in Deutschland?

Bevor ein Zug in die Nähe eines Übergangs kommt, fährt er über ein Achszählgerät. Dieses löst dann zwei Prozesse aus. Zum einen wird technisch gesicherten Bahnübergängen signalisiert, dass nun Schranken runtergehen und/oder Lichtzeichen blinken müssen. Gleichzeitig wird damit begonnen die Achsen des jeweiligen Zuges zu zählen. Nach dem Übergang befindet sich ein zweites Achszählgerät. Hier muss die Zahl der Achsen dann übereinstimmen. Ist dies der Fall, gehen die Schranken hoch und die roten Signale hören auf zu leuchten.

„Solche Achszählgerät haben teilweise einen weiten Abstand vom Übergang“, erklärt der DB-Sprecher. Dies sei auch notwendig, wenn die Strecke beispielsweise von Schnellzügen genutzt wird. Je nachdem ob also eine Regionalbahn, ein Güterzug oder ein ICE die Kreuzung quert, dauert es unterschiedlich lang, bis die vom wartenden Verkehr wahrgenommen werden.

Dementsprechend könne man hier auch keine pauschalen Zeitangaben machen, so die DB. „Aber es bleibt immer genug Zeit für den Verkehr, um zu reagieren“, betont der DB-Sprecher. Wenn sich übrigens eine Schranke nicht sofort hebt, nachdem ein Zug durchgefahren ist, kann es durchaus sein, dass noch eine zweite, vielleicht verspätete Bahn folgt.

Die DB appelliert in diesem Zusammenhang, dass Bahnübergänge nie betreten oder befahren werden dürfen, wenn die Zeichen rot leuchten und/oder die Schranken geschlossen sind. „Das ist ein lebensgefährlicher Fehler, den man dort macht.“ Für Bahnübergänge gibt es übrigens wie auch bei den Zügen bestimmte Sicherheitsmechanismen. Wenn beispielsweise ein Defekt beim Achszählgerät vorliegt, gehen die Schranken von allein runter, erklärt der DB-Sprecher.

Wie könnten Bahnübergänge noch sicherer gemacht werden?

Vor allem Bahnübergänge ohne technische Sicherungen gelten als unsicher für den Verkehr. Hier passieren laut Statistik die Hälfte aller Unfälle. Jährlich fließen nach DB-Aussagen mehrere Millionen Euro in die technische Ausrüstung und die Beseitigung von Bahnübergängen. Auch die Kreuzung Am Steinkreuz in Alstedde wird perspektivisch erneuert und somit sicherer gemacht.

Für die Zukunft sieht das Institut für Verkehrssystemtechnik eine Chance darin, Zug und Auto zu vernetzten. Die Idee: Ein sich herannahender Zug übermittelt dem Bahnübergang die Information, wann er diesen passiert. Der Autofahrer erhält im Cockpit über WLAN zeitgleich von dem Bahnübergang eine Warnmeldung und kann dementsprechend frühzeitig reagieren.

Schon 2015 hat das Institut ein Blitzlicht-System entwickelt, um Unfälle vor allem an unbeschrankten Bahnübergängen zu verhindern. Autofahrer werden durch das sogenannte „Peri-Light“ dazu veranlasst, nach links und rechts zu schauen, um so einen herannahenden Zug rechtzeitig wahrnehmen.

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