Die Zahl der Menschen ohne eigene Wohnung ist in den Städten Lünen, Selm und Werne in den Jahren 2012 bis 2022 unterm Strich stetig gestiegen. „Mehr noch“, wie Alexander Lenz (45), im Gespräch mit unserer Redaktion sagt: „Im Jahr 2022 haben wir 411 Klientinnen und Klienten betreut. Im Vergleich zu 2012 ist das eine Verdoppelung der Zahlen.“
Lenz weiß, wovon er spricht. Der 45-Jährige leitet seit November die Wohnungslosenhilfe Lünen der Diakonie (Dortmund/Lünen) mit Außenstellen in Selm und Werne. Der Umgang mit Wohnungslosen ist sein Job und der seiner sieben Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Und die Arbeit wird, wie die Zahlen zeigen, nicht weniger, sondern eher mehr.
Das Team der Wohnungslosenhilfe unterstützt Bedürftige auf Wunsch bei der Wohnungssuche, bei der Vermittlung von Übernachtungsmöglichkeiten, es begleitet seine Kundinnen und Kunden nach erfolgreicher Wohnraumvermittlung und es hilft bei der Sicherung des Lebensunterhalts auf verschiedenste Art und Weise.

Höherer Männernanteil
„Wir bieten die Möglichkeit der Postanschrift, wir helfen bei der Suche nach Arbeit oder der Beschaffung von Personal- und Arbeitspapieren etc.“, sagt Alexander Lenz. Daneben gelte es vor allem, erstmal Grundbedürfnisse der Wohnungslosen zu stillen. Dazu gehöre unter anderem das Angebot zu duschen, Wäsche zu waschen oder aber kostenlos zu frühstücken. Möglich ist das täglich in der Hauptstelle der Wohnungslosenhilfe in der Lüner Innenstadt.
Doch zurück zu den Zahlen: Es zeige sich, sagt Lenz, dass sein Team im vergangenen Jahr erneut mehr Männer (319) als Frauen (92) beraten habe. Wie viele davon jeweils aus den Städten Lünen, Selm oder Werne kamen, dazu machte Lenz keine Angaben, außer: „Die Mehrheit der Anfragen kam auf jeden Fall aus Lünen, gefolgt von Selm.“
Jahresbericht und DISS-Studie
Auf Basis des Jahresberichts 2022 der Wohnungslosenhilfe lasse sich außerdem festhalten, sagt Teamleiter Alexander Lenz weiter:
- „Wesentliche Vermittlungshemmnisse in eigenen Wohnraum sind Mietschulden und damit verbundene Einträge in der Schufa, Suchterkrankungen und psychische Erkrankungen.“
- „Es ist eine Zunahme von Klientinnen und Klienten mit psychischen Erkrankungen zu beobachten. Einige davon sind psychiatrisch auffällig, wo eine stationäre Unterbringung und Therapie fachlich angemessen wäre.“
- „Ebenso ist ein Anstieg - zu den vorherigen Jahren - von jungen Erwachsenen über 18 Jahre zu beobachten, die aus der Kinder- und Jugendhilfe rausfallen.“
- „Von den 411 Klienten und Klientinnen waren 113 Personen jünger als 27 Jahre, davon wiederum waren 79 männlich und 43 weiblich.“
- „Die von uns betreuten Männer sind zwischen 35 und 59 Jahre alt, die Frauen etwa zwischen 27 und 51 Jahre.“
- „Es leben mehr Frauen (55 Prozent) als Männer (37 Prozent) in verdeckter Wohnungslosigkeit.“
Im Großen und Ganzen decken sich die örtlichen Ergebnisse laut Alexander Lenz mit denen der im Auftrag der NRW-Landesregierung im Jahr 2021 landesweit durchgeführten Studie der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS, Bremen).
- Laut dieser Studie werden als Menschen ohne Unterkunft (obdachlos) Personen definiert, die zum Beispiel dauerhaft auf der Straße, in Parks oder unter Brücken, in Hauseingängen, Abbruchhäusern oder Zelten übernachten.
- Als verdeckt wohnungslos gilt nach der GISS-Studie, wer in der Wohnung von Bekannten oder Verwandten untergekommen ist, dort aber nicht einen ständigen Wohnsitz hat, sondern aufgrund einer Wohnungsnotlage dort Zuflucht sucht.
- Das Gros der von der Wohnungslosenhilfe Lünen unterstützten Personen zählt zur Gruppe der verdeckten Wohnungslosen.

„Dach über dem Kopf“
Nach vorsichtigen Schätzungen der Studie, die auf der Befragung von 1800 betroffenen Menschen in den Städten Dortmund, Köln, Münster und Remscheid sowie in den Kreisen Lippe und Wesel und in 36 Fachberatungsstellen in NRW basiert, lebten hochgerechnet auf ganz Nordrhein-Westfalen im Juni/Juli 2021 knapp 5300 Personen auf der Straße oder in Behelfsunterkünften.
Dem will die Landesregierung mit der 2019 ins Leben gerufenen Landesinitiative „Endlich ein Zuhause“ entgegensteuern, indem sie die Kommunen und freien Träger der Wohnungslosenhilfe bei ihrer Aufgabe, sich um wohnungslose Menschen zu kümmern, finanziell unterstützt.
In Lünen betreibt seit knapp drei Jahrzehnten der Verein „Dach über dem Kopf“ im Auftrag der Stadt Lünen eine Übernachtungsstellte für Männer (16 Plätze) in Lünen-Gahmen. Der Verein finanziert sich neben Mitteln der Stadt und den Übernachtungspauschalen aus der Grundsicherung hauptsächlich aus Spenden. Weil der Verein sich im Jahr 2022 aus dem Tagesaufenthalt zurückzog, entschieden sich Stadt und Diakonie ihre Zusammenarbeit neu auszurichten und so übernahm die Wohnungslosenhilfe die Trägerschaft des „Tagesaufenthalt St. Georg“ in der City - mit Alexander Lenz an der Spitze.
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