
Martin Leßmann in dem Stück „Du bist meine Mutter", das am 18, Oktober im Heinz-Hilpert-Theater gezeigt wird. Er spielt sowohl einen Sohn als auch dessen demenzkranke Mutter. © H. Schwörer, www.photein.de
Wenn die Mutter demenzkrank ist: Ungewöhnliches Theaterstück in Lünen
Interview mit Schauspieler
Demenz ist immer noch mit Tabus behaftet. Genauso wie der endgültige Abschied von lieben Menschen. Schauspieler Martin Leßmann bringt beide Themen in einem berührenden Theaterstück auf die Bühne.
Seit zwölf Jahren gehört das Theaterstück „Du bist meine Mutter“ zum Berufsleben von Schauspieler Martin Leßmann. Der 65-Jährige aus Bremen gastiert, zusammen mit Musiker Gero John, am Dienstag (18. Oktober) im Heinz-Hilpert-Theater. Dank einer Kooperation zwischen dem Netzwerk Demenz, den Regionalbüros Alter, Pflege und Demenz und dem Kulturbüro findet das Gastspiel statt.
Auf der Bühne spielt Leßmann beide Rollen, die der Niederländer Joop Admiraal (1937 - 2006) erdacht hat - den Sohn und seine demenzkranke Mutter. 2010, drei Jahrzehnte nach der Premiere, hat Regisseurin Maria von Bismarck das Stück in Bremen inszeniert. Seitdem spielt Leßmann die Rollen.
Leßmann freut sich auf den Auftritt in Lünen. Im Anschluss stehen die beiden Künstler zusammen mit Marita Pechr vom Lüner Netzwerk Demenz für Fragen und Gespräche zur Verfügung. Im Vorfeld seines Auftritts hatte Leßmann Zeit für ein Interview.
Wie kam es, dass Sie sich 2010 für das Stück „Du bist meine Mutter“ entschieden haben?
Das Stück feierte 1980 in den Niederlanden Premiere, wird also seit 42 Jahren gespielt. Es war in den ersten Jahren ein Klassiker, Joop Admiraal ist damit durch ganz Europa getourt. Es ist eine autobiographische Herangehensweise. Der Autor in einer Symbiose mit seiner Mutter. Sehr authentisch, weil es aus dem alltäglichen Leben kam, weil er aus den Besuchen bei seiner demenzkranken Mutter ein Stück gemacht hat. Wobei es eigentlich nicht so vordergründig um Demenz ging. Wir wollten 2010 den Klassiker wiederbeleben und ahnten da noch nicht, wer uns in den Jahren anfragen würde.
Wo haben Sie das Stück bereits gespielt?
Es waren 85 Auftritte in zwölf Jahren in Deutschland und der Schweiz. Die meisten Anfragen kamen von Hospizvereinen oder Alzheimergesellschaften. Spielstätten waren oft Theater, so wie jetzt auch das Heinz-Hilpert-Theater. Dort habe ich auch schon mal gastiert, allerdings mit einem anderen Tournee-Stück. In Bremen haben wir allerdings „Du bist meine Mutter“ in bekannten Theatern gespielt, an den anderen Orten waren es immer Kooperationen mit entsprechenden Vereinen.
Jetzt sind sie mit dem Stück auf Abschiedstournee.
Ja, so haben wir es deklariert. Danach wäre Lünen der zweitletzte Auftritt mit „Du bist meine Mutter“. Allerdings haben wir schon mal gedacht, es wäre die Abschiedstournee und danach kamen noch mehrere Anfragen.
Wie schaffen Sie es, beide Rollen in dem Stück zu spielen?
Es ist ja nicht meine eigene Geschichte, deshalb spiele ich einen Lehrer, der über die Besuche bei seiner demenzkranken Mutter im Heim erzählt. Es ist eine verwandtschaftliche Beziehung, die durch Nähe und Distanz gleichermaßen geprägt ist. Die inneren Welten der beiden galt es zu erkunden. Die Unterschiede zeigen sich in Gesten, Haltung und Stimme. Allerdings habe ich die Rollen auch aus eigenen Quellen gespeist.
Was heißt das?
Während unserer Probenzeit lebte meine Mutter auch in einem Altenheim und ich habe sie regelmäßig besucht. Auch aus dem Wesen meines Vaters konnte ich für die Rolle Inspiration schöpfen. Die Besuche bei meiner Mutter haben nicht nur geholfen, sich in die Lage einer demenzkranken alten Frau zu versetzen, sondern auch die schwierige Rolle des Sohnes zu spielen. Außerdem ist für mich die Körperhaltung wichtig, um die Unterschiede zwischen Mutter und Sohn darzustellen.

Im Stück wird Martin Leßmann (r.) unterstützt durch den Cellisten Gero John. Beide stehen im Anschluss auch für Gespräche zur Verfügung. © H. Schwörer, www.photein.de
Was hat sich in den zwölf Jahren, in denen Sie das Stück spielen, verändert?
Meine Eltern sind mittlerweile beide verstorben. Derzeit sind es die Besuche bei meiner demenzkranken Schwiegermutter, die das Thema sehr wach halten. Ihre bestimmende Art habe ich oft zum Vorbild für die Rolle der Mutter genommen. Auch in meiner Darstellung hat sich im Laufe der Zeit manches verändert. Inzwischen spreche ich beispielsweise nicht mehr ganz so hoch, wenn ich die Mutter spiele.
Hat sich Ihrer Meinung nach auch etwas im Hinblick auf Demenz und Abschiednehmen verändert?
Die Themen Demenz und Sterben haben sich eigentlich inzwischen in der Gesellschaft etabliert. Immer wieder merkt man aber auch, dass sie weiterhin mit Tabus belegt sind. Und das hat nicht nur etwas mit der Corona-Pandemie zu tun. Ich habe in den vergangenen Jahren immer wieder Stücke über das Sterben gespielt und wünsche mir jetzt auch mal wieder etwas heitere Themen. Mittlerweile passe ich auf der Bühne auch das Alter der Mutter an das des Sohnes an, denn ich bin ja auch zwölf Jahre älter geworden, spiele in dem Stück aber einen Mann, der ein paar Jahre jünger ist als ich heute bin.
Wenn Sie auf die zwölf Jahre mit dem Stück zurückblicken, wie fällt Ihr Fazit aus?
Dieses Stück war und ist auf jeden Fall ein verantwortungsvolles Geschenk für einen Schauspieler. In manchen Szenen wird es auch lustig und viele Menschen werden an eigene Erlebnisse erinnert. Ich werde dabei auf der Bühne begleitet vom Cellisten Gero John. Er ist mit seiner einfühlsamen Musik sozusagen ein Schutzengel für beide Rollen, für Mutter und Sohn.
Beate Rottgardt, 1963 in Frankfurt am Main geboren, ist seit 1972 Lünerin. Nach dem Volontariat wurde sie 1987 Redakteurin in Lünen. Schule, Senioren, Kultur sind die Themen, die ihr am Herzen liegen. Genauso wie Begegnungen mit Menschen.
