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„Was wäre nur, wenn ich dich nicht hätte?“: Lüner betreut Mutter (91)
Wohnung nicht barrierefrei
Aus der Herausforderung wird schnell eine Überforderung - diese Erfahrung machen pflegende Angehörige immer wieder. So wie ein Lüner, der sich um seine 91-jährige Mutter kümmert.
Geistig ist Elisabeth Weiler (alle Namen geändert) absolut fit, doch seit einem Sturz und einer Hüft-Operation ist die alte Dame momentan auf den Rollstuhl angewiesen. Nicht so einfach in einer Etagenwohnung, die in der Zeit gebaut wurde, als „barrierefrei“ noch nicht im Wortschatz von Architekten vorkam.
In der Wohnung in Lünen-Mitte lebt die 91-Jährige seit 1985 zusammen mit ihrem Sohn Dieter. Der 56-Jährige ist freiberuflich und im Home-Office tätig, kann sich deshalb die Zeit entsprechend einteilen, um sich um seine Mutter zu kümmern.
Das macht er auch gerne: „Ich denke immer, früher haben die Eltern für mich gesorgt, jetzt bin ich für sie da.“ Weilers Vater ist vor einigen Jahren gestorben, war zuletzt in einem Lüner Pflegeheim. „Meine Mutter konnte ihn nicht selber pflegen, das wäre über ihre Kräfte gegangen, denn sie hat seit Jahren einen künstlichen Darmausgang, darf nicht schwer heben.“
Momentan ist Elisabeth Weiler im selben Pflegeheim wie damals ihr Mann - zur Verhinderungspflege. Denn sie muss sich noch von der Hüft-Operation erholen. Jeden zweiten Tag ist der Sohn dort zu Besuch. Erst erlitt die alte Dame einen Oberschenkelbruch, dann gab es Probleme mit dem Hüftkopf. Im April wurde sie erneut operiert, bekam eine neue Hüfte. Trotz Reha und Krankengymnastik, „wird der Rollstuhl wohl unser ständiger Begleiter sein.“ Zum Glück gibt es einen Aufzug im Haus, in dem Mutter und Sohn leben.

In Tagespflege-Einrichtungen erhalten die Besucher eine feste Tagesstruktur. © picture alliance / dpa
Dieter Weiler hofft, dass seine Mutter demnächst wieder zumindest mit dem Rollator durch die Wohnung gehen kann. Das werde ohnehin eine Umstellung für sie, die vorher den ganzen Tag problemlos durch die Zimmer gegangen ist. „Sie hat sich schon überlegt, dass sie ja durch den Rollstuhl in der Küche nicht mehr an alles herankommt.“ Weder an die Kaffeemaschine noch an das Geschirr in den Hängeschränken.
Da wird der Sohn einspringen müssen. Auch wenn er es gerne tut - er sieht auch, dass es nicht jeden Tag gleich einfach ist. „Im ersten Lockdown konnte ich gut nachvollziehen, wie überlastet Familien durch gleichzeitiges Home-Office und Home-Schooling waren. Man kommt immer wieder raus bei seiner Arbeit.“
Kurzzeitpflege vor Reha
Seine Mutter dauerhaft in ein Pflegeheim zu geben - auf diese Idee würde Weiler derzeit nicht kommen. Aber zusammen hatten Mutter und Sohn beschlossen, die Entlastungsmöglichkeiten auszuschöpfen, die ihnen zustehen. Deshalb war die 91-Jährige in den 14 Tagen zwischen Ende des Krankenhaus-Aufenthalts und Beginn der Reha in Kurzzeitpflege. Auch, damit der Sohn daheim alles soweit regeln konnte. Ab Oktober wird die Mutter zwei Mal die Woche eine Tagespflege besuchen.
Dieter Weiler plant, zusammen mit dem Vermieter, das Bad umzubauen. Statt der Wanne soll eine bodengleiche Dusche eingebaut werden, damit es die Mutter einfacher hat. Ein Duschstuhl mit Lehne sorgt dann für Sicherheit bei der Körperpflege.
Über die vielfältigen Entlastungsmöglichkeiten und Ansprechpartner hat sich der Lüner unter anderem in der Info-Broschüre „Älter werden in Lünen“ informiert. Diese wird von der Koordinierungsstelle für Altenarbeit der Stadt herausgegeben und regelmäßig aktualisiert. „Der Ratgeber ist wirklich empfehlenswert, nicht nur für Senioren, sondern auch für jüngere Menschen, die Pflege benötigen. Die Schnittmenge zwischen Senioren und Menschen mit Handicap ist sehr groß“, so Weiler.
Genug Info-Möglichkeiten
Auch an die Wohnberatung und Pflegeberatung im Kreis Unna hat sich der Lüner gewandt. Man müsse sich schon selbst informieren, könne nicht erwarten, alles auf dem Silbertablett serviert zu bekommen. Es gebe im Nordkreis aber genug Möglichkeiten, um sich umfassend zu informieren, so seine Erfahrung.

Der Ratgeber „Älter werden in Lünen“ erscheint regelmäßig in überarbeiteter Form - hier ein Archivfoto der Vorstellung einer Ausgabe mit Dezernent Horst Müller-Baß und Annette Goebel, Koordinatorin für Altenarbeit. © Beate Rottgardt (Archiv)
Dieter Weiler ist Einzelkind, er kümmert sich also alleine um die Bedürfnisse seiner Mutter. „Was wäre nur, wenn ich dich nicht hätte“, sage sie manches mal zu ihm. Einerseits freut er sich darüber, andererseits weiß er auch, dass seine Mutter ohne ihn möglicherweise auf der Strecke bleiben würde. Denn alleine alle Behördengänge zu erledigen und sich über das zu informieren, was ihr zusteht, wäre kaum machbar.
Es müsse aber nicht unbedingt immer ein Angehöriger sein, der sich um einen Pflegebedürftigen kümmert. „Manchmal kann es sogar besser sein, wenn sich ein Freund und Nachbar einschaltet, denn da schwingt nicht so das Emotionale mit wie zwischen Mutter und Kind“, sagt der Lüner. Denn es komme schon mal vor, dass beide Seiten ungeduldig werden und man sich dann auch mal ein paar Stunden lang angifte.
Auf jeden Fall, so Weiler, sei es sinnvoll, sich fachlichen Rat zu holen. Beispielsweise wenn es um die Beantragung des Pflegegrads geht. „Wenn man schon einen Pflegedienst eingeschaltet hat, macht es Sinn, dass jemand vom Pflegedienst bei der Begutachtung dabei ist.“ Eigentlich hatte Elisabeth Weiler schon im Frühjahr einen Termin. Wegen Corona sollte das Ganze telefonisch stattfinden. Dann kam die Reha dazwischen. Weiler: „Schließlich war die Begutachtung wieder vor Ort bei uns zuhause möglich und das war auch gut so.“ Die Mitarbeiterin des Medizinischen Dienstes konnte sich so ein Bild machen, wie die Lage in der Wohnung für die 91-Jährige aussieht.
Bald kommt Elisabeth Weiler wieder nach Hause. Ihr Sohn hat die Zeit der Verhinderungspflege auch für sich genutzt, konnte beispielsweise an einem Wochenend-Seminar teilnehmen. Denn Entlastung ist wichtig, damit die Pflegenden nicht auf der Strecke bleiben.
Beate Rottgardt, 1963 in Frankfurt am Main geboren, ist seit 1972 Lünerin. Nach dem Volontariat wurde sie 1987 Redakteurin in Lünen. Schule, Senioren, Kultur sind die Themen, die ihr am Herzen liegen. Genauso wie Begegnungen mit Menschen.
