
© Schwarze-Blanke
Warum das Lüner Job-Speed-Dating ein Argument für das bedingungslose Grundeinkommen ist
Kolumne „Jetzt mal unter uns“
Einige „Bewerber“ beim Lüner „Job-Speed-Dating“ wollten in Wahrheit gar nicht arbeiten. Unser Autor meint, dass es genau deshalb ein bedingungsloses Grundeinkommen geben muss.
Ich weiß, dass sich mein Großvater nur schwer vorstellen konnte, dass aus meiner Generation und mir mal etwas wird. „Das ist doch keine Musik, die du da hörst“, war eines seiner Argumente, warum wir „Jugendlichen“ damals zweifelsfrei das Ende der zivilisierten Gesellschaft darstellten.
Umgekehrt war ich der festen Überzeugung, dass ich niemals im Leben auf Jugendliche schimpfen würde. So verbohrt und verbiedert wie meine Großeltern würde ich nie sein, denn schließlich hatte meine Generation mit Vorbildern wie Take That, 2 Unlimited und Blümchen den totalen Durchblick im Leben, ach was, im ganzen Universum.
Eine Mädchengruppe zeigt: Wir sind alle verloren
Und heute? Sagen wir es mal so: Ich lief neulich hinter einer Gruppe Mädchen, irgendwo zwischen 12 und 20 Jahren (wer kann das vom Optischen her heute schon richtig einschätzen?), durch die Fußgängerzone. Nachdem ich unfreiwillig ihren „Gesprächen“ lauschen konnte (oder besser musste), weiß ich: Wir sind alle verloren. Wie soll aus denen jemals das Fundament einer Gesellschaft werden?
Womit ich erschreckenderweise nun doch genauso arrogant und besserwisserisch klinge wie mein Großvater damals. So gesehen müssten mich die Erlebnisse, die Unternehmerin Uta Leisentritt beim Job-Speed-Dating in Lünen widerfahren sind, nicht überraschen: Einige Bewerber erschienen erst gar nicht, und einer sagte geradeaus, dass er nicht arbeiten will. Warum auch, wenn man viel besser durch die Fußgängerzone laufen, jeden Satz mit „Alta“ beenden und dazu RTL-Casting-Shows gucken kann?
Arbeitsvertrag unterschieben? „Ich schwör, Alta“
Na ja. Es sollte nicht vergessen werden, dass von 280 Teilnehmern des Speed Datings insgesamt 40 nicht erschienen sind - die Mehrheit hat also sehr wohl Interesse an Arbeit und Jobs. Und einige Teilnehmer haben mittlerweile sogar Arbeitsverträge unterschrieben - ob sie das mit den Worten „Ich schwör, Alta“ getan haben, weiß ich nicht.
Was ich aber weiß: Dass gerade bei Kindern und Jugendlichen immenser Druck aufgebaut wird. Wenn nicht von den Eltern, dann von den Schulen, im Sport, im Freundeskreis und nicht zuletzt von der Wirtschaft, die möglichst früh möglichst viele Kunden an sich binden will - mit Versprechen, die vor allem gegen Geld eingelöst werden können.
Im Normalfall entwickelt ein junger Mensch seinen eigenen Ehrgeiz, mit dem er seine persönlichen Ziele verfolgt. Es gibt aber auch die komplette Gegenreaktion: Je mehr von mir gefordert wird, desto weniger habe ich Lust, überhaupt etwas zu tun. Entweder, weil mir niemand jemals beigebracht hat, sich für etwas (oder für jemanden) einzusetzen; oder, weil ich derart stark an mir selbst zweifle, dass es für mich sowieso keinen Sinn macht, irgendwas zu unternehmen; oder, weil ich schlichtweg nicht glaube, dass ich persönlich irgendwas in meinem Leben ändern kann.
Die Zuversicht stärken
Ob nun aus Unfähigkeit, aus Protest oder aus mangelndem Willen: Der Lösungsansatz für alle Situationen ist der, das Gefühl der Betroffenen zu verbessern. Wie das gehen kann, hat ein Experiment in Finnland gezeigt: Zwei Jahre lang gab es dort ein bedingungsloses Grundeinkommen, um quasi alle Experimentteilnehmer auf das gleiche soziale Startlevel zu stellen.
Die finnische Sozialministerin zog nach dem Experiment Bilanz und sagte über die Teilnehmer: „Ihre Zuversicht, dass sie die eigene Zukunft und wirtschaftliche Situation selbst beeinflussen können, wurde gestärkt.“
Wenn nun auch die Jugendlichen wüssten, dass sie nach der Schule oder der Lehre nicht bei Null starten, sondern ohne irgendwelche Formulare und Anträge auszufüllen ein Grundeinkommen hätten, würde das auch meiner Überzeugung nach für mehr Enthusiasmus sorgen - nicht nur beim Speed Dating.
Journalist, Vater, Ehemann. Möglicherweise sogar in dieser Reihenfolge. Eigentlich Chefreporter für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen. Trotzdem behält er auch gerne das Geschehen hinter den jeweiligen Ortsausgangsschildern im Blick - falls der Wahnsinn doch mal um sich greifen sollte.
