100 Jahre ist es her, dass Josef R. in Brambauer in einer Nacht sechs Menschen tötete. „Möderhaus“ wird der Tatort genannt. Der Fall ist mysteriös und liefert sogar Stoff für einen Krimi.
Was genau in der Nacht im April 1919 in Lünen-Brambauer geschah, dazu gibt es verschiedene Versionen. Für Gesprächsstoff sorgt die Tat im Ortsteil auch nach 100 Jahren noch. Fakt ist, dass der 19-jährige Josef R. auf der Zeche „Minister Achenbach“ als Bergmann gearbeitet hat.
Nach Erzählungen habe er sich mit einem Kumpel, seinem späteren Opfer am 13. April getroffen und Karten gespielt. Alkohol sei wohl auch getrunken worden. Im Verlauf des Abends soll das Gespräch auf den Verkauf von Vieh gekommen sein.
Verbrechen wurde zur Mordserie
War es Habgier, die Josef R. dazu brachte den Sohn der Familie zu töten? Aus dem Verbrechen wurde eine Mordserie. Weder die Geschwister des Kumpels, noch die Mutter und die Magd überlebten die Nacht.

Das sogenannte Mörderhaus in Brambauer. © Beate Rottgardt (A)
Am nächsten Morgen brachte Josef R. auch noch den Vater um, der von der Schicht auf Achenbach nach Hause kam. So schildert es die jetzige Bewohnerin des Hauses in der Ferdinandstraße in einem Zeitungsbericht von 2016. Sie kennt diese Version vom Hörensagen. Die Familie möchte heute nichts mehr dazu sagen und auch ihren Namen nicht veröffentlicht sehen. Zu oft sei das Ehepaar auf das Mörderhaus angesprochen worden.
Details aus der Tatnacht
Das Landesarchiv in Münster, das Gerichtsakten verwahrt, hat in seinen Beständen nichts über Josef R.: „Es konnten keine Akten ermittelt werden“, hieß es auf Anfrage. Im Lüner Stadtarchiv hingegen findet sich eine digitalisierte Ausgabe der Lüner Zeitung vom 15. Juli 1919. Darin wird berichtet, dass Josef R. für seine Tat am 12. April vom außerordentlichen Kriegsgericht in Münster sechsmal zum Tode verurteilt wurde. Der Artikel beleuchtet detailliert die Tatnacht und gibt auch einiges über den Täter preis: Danach war er ein geborener Österreicher.

Im Stadtarchiv wird die Meldekarteikarte von Josef R. verwahrt. © Magdalene Quiring-Lategahn
Auf einer Meldedateikarte im Stadtarchiv ist er als „Reichsausländer“, Staatsangehörigkeit Österreich, verzeichnet.

Die Lüner Zeitung berichtet am 15. Juli 1919 über das Gerichtsurteil. © Magdalene Quiring-Lategahn
Für die Schwere der Tat ist der Zeitungstext erstaunlich kurz: Eine Spalte ohne Überschrift, aber mit Brambauer als Ortsmarke. Berichtet wird sehr detailliert. Danach hat Josef R. bei einer befreundeten Familie übernachtet, der des Markenkontrolleures Peukmann. Mit einem Beil erschlug er den sechsjährigen Sohn Wilhelm. Da dieser noch ein Lebenszeichen von sich gab, erhängte Josef R. den Jungen an der Türklinke. Die brutale Tat ging weiter. Am anderen Morgen tötete er Frau Peukmann mit zwei Beilhieben.
Dienstmädchen hörte den Knall
Der nach Hause kommende Mann wurde mit einem Revolver niedergestreckt. Der Knall hatte das Dienstmädchen hellhörig gemacht. Es lief zum Tatort. Ein fataler Fehler. Josef R. schlug der Magd den Schädel ein. Damit war die Blutserie noch nicht beendet: Der 19-jährige Mörder ging nach oben zu den schlafenden Kindern. Er erwürgte den neunjährigen Ernst und dann die vierjährige Tochter Elisabeth.
Rätsel um das Tatmotiv
Was bringt einen jungen Mann dazu, sechs Menschen zu töten? Diese Frage drängt sich auf. Nach dem schaurigen Verbrechen soll er sämtliche Schränke durchwühlt und 25 Mark gestohlen haben. Also doch Habgier?
Kriegserfahrung und Stress mit dem Vater
In dem Zeitungsbericht von 1919 steht, dass der 19-jährige Josef R. im Krieg gewesen war. Neben ihm sei eine Granate eingeschlagen. Er habe eine schwere Erschütterung erlitten. Der Täter selbst führt die Tat auf einen Wutanfall zurück. Sein Vater habe ihn aus dem Hause gewiesen. Ist das ein Erklärungsansatz für das Motiv?
Artikel über Josef R. im Nachlass der Oma
Marita Bartoschek (65) stammt aus Brambauer. In ihrer Kindheit haben die Eltern mit ihr nie über das dunkle Kapitel im Ortsteil gesprochen. „Sie wollten mir wohl keine Angst machen.“ Später fand sie im Nachlass ihrer 1904 geborenen Oma zwei Zeitungsartikel der Ruhr Nachrichten von 1968. Darin ging es um Josef R.: „Vielleicht hat ihn mein Opa gekannt, weil er auch auf Achenbach gearbeitet hat, und er hat deshalb die Artikel verwahrt.“
Beute 25 Mark und zwei Revolver
Darin wird berichtet, dass der Täter vor dem Kriegsgericht in Münster einen Raubmord bestritten habe. „Das Geld, das die Polizei bei mir fand, war mein eigenes; der Kumpel hatte doch kein Geld“, wird er zitiert. Ein Motiv wüsste er nicht. In der Zeitung steht, dass er laut Gericht zwei Revolver und 25 Mark erbeutet haben soll.
Aus Todesstrafe wurde lebenslange Haft
Die Frage nach dem Warum bleibt offen. Josef R. wird zum Tode verurteilt. Drei Monate verbringt er in einer Todeszelle. Dann gibt es Gnade und das nicht nur einmal. Josef R. kommt lebenslang ins Zuchthaus. Der Artikel berichtet, dass der Verurteilte an verschiedenen Orten hinter Gittern saß.
„Ein Musterhäftling“
Weiter ist zu lesen, dass Josef R. von der Gefängnisleitung als zurückhaltender, fast verschlossener Mann beschrieben wird, „ein Musterhäftling“. Mit Fleiß und Hingabe habe er alle im Gefängnis angebotenen Berufe erlernt, „er reparierte Schuhe, webte Stoffe und zimmerte Möbel“. Zehn Jahre half Josef R. einem Bauern, nie habe er einen Fluchtversuch unternommen. Dann bekam er Rheuma in beiden Kniegelenken.
Nach 49 Jahren in die Freiheit
Inzwischen ist Josef R. 69. Die Zeitung berichtet, dass er im Knast Besuch von NRW-Justizminister Dr. Dr. Josef Neuberger bekommt. Nach 49 Jahren hofft der sechsfache Mörder zum zweiten Mal auf Gnade. Und bekommt sie. Nach einem halben Jahrhundert ist Josef R. ein freier Mann. Er zieht um in ein Altenheim.
Fall weckt Interesse von Krimiautor Eike
Sein Fall weckt das Interesse von Krimiautor Ulli Eike. „Einige aus der damaligen Zeit übermittelten Informationen erschienen mir merkwürdig bis wenig glaubwürdig.“ Dazu zähle die vergleichsweise geringe Beute und die Tatsache, dass der Täter die ganze Nacht über im Haus verbrachte.
Krimi „Das Mörderhaus“
Das Taschenbuch von Ulli Eike kostet 9,90 Euro. Es ist in der Lippe Buchhandlung erhältlich.Ulli Eike, der an der spanischen Südküste lebt und durch seine aus Lünen stammende Frau Gabi Bezug zur Lippestadt hat, sah darin Stoff für einen neuen Roman. Er wollte die „Ungereimtheiten der Überlieferung zu einer spannenden Geschichte verarbeiten, die aus der Vergangenheit in die heutige Zeit reicht“, beschreibt Ulli Eike auf Anfrage.
Fiktiver Roman nach Tatsachen
Basierend auf Tatsachen aus den Jahren 1917 und 1919 entwickelt der Krimiautor eine ganz eigene Story, die an verschiedenen Orten in Lünen anknüpft. Das Werk trägt den Titel „Das Mörderhaus“. Im Mittelpunkt steht Hauptkommissarin Lena Stern. Sie ist mehrfach Protagonistin, auch in Eikes zehntem Fall.
Mörderhaus ist immer noch Thema
Das Mörderhaus in Brambauer an der Grenze zu Waltrop ist oft Thema in Brambauer. Immer, wenn Diethelm Textoris bei seinen Wanderungen mit Volkshochschulkursen an dem Gebäude vorbeikommt, erinnert er an die Geschehnisse von vor 100 Jahren.
Familiendrama mit drei Toten
Der Fall des Josef R. ist nicht der einzige, der den Lünens größten Ortsteil erschütterte. Im März 2010 tötete eine Mutter ihre beiden Kinder und sprang selbst von einem Strommasten in den Tod. Sie hatte einen Abschiedsbrief hinterlassen.
Lünen ist eine Stadt mit unterschiedlichen Facetten. Nah dran zu sein an den lokalen Themen, ist eine spannende Aufgabe. Obwohl ich schon lange in Lünen arbeite, gibt es immer noch viel zu entdecken.
