Im Streit um die Veröffentlichung bisher geheimer Unterlagen rund um das Derivate-Fiasko der Stadt Lünen hat das Gericht den RN recht gegeben. Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.

Lünen

, 24.10.2018, 18:15 Uhr / Lesedauer: 3 min

Riskante Derivate-Geschäfte haben die Stadt Lünen seit Anfang der 2000er-Jahre viele Millionen Euro gekostet. Wie viele genau, ist bisher öffentlich nicht bekannt. Denn die Stadt hat wegen dieser Verluste zunächst gegen die Erste Abwicklungsanstalt (EAA) geklagt. Die EAA ist die Rechtsnachfolgerin der WestLB, die die Stadt Lünen bei diesen Geschäften beraten hat. Die Stadt warf der WestLB in dieser Sache Falschberatung in Bezug auf die Risiken vor. Experten gehen davon aus, dass viele Kämmerer die komplizierten Geschäfte, die sie damals abgeschlossen hatten, gar nicht durchschaut haben.

Viele Kommunen hatten mit Derivatgeschäften ähnliche Verluste erlitten und gingen ebenfalls den gerichtlichen Weg. Lange sah es so aus, als würden die Städte und Gemeinden damit durchkommen, dann allerdings drehte sich an den Gerichten der Wind. Um womöglich jahrelang andauernde und teure Rechtsstreitigkeiten mit unklarem Ausgang zu vermeiden, einigten sich viele Kommunen und ihre Kämmerer mit der EAA auf einen Vergleich. So auch die Stadt Lünen. Dieser Vergleich - das zumindest ist bekannt - hat die Stadt 34 Millionen Euro gekostet. Der eigentlich entstandene finanzielle Schaden, das legt die Natur eines Vergleichs nahe, muss deutlich höher gelegen haben.

Derivate-Fiasko: Gericht gibt uns recht: Stadt Lünen muss brisante Unterlagen herausgeben

© Peter Fiedler

Anfragen nach den konkreten Inhalten des Vergleichs und nach der Klageschrift hat die Stadt aber bisher mit dem Bezug auf Geschäftsgeheimnisse und eine Verschwiegenheitserklärung zurückgewiesen. Die Redaktion hat sich deshalb entschieden, gerichtlich um die Informationen zu kämpfen.

Das Verwaltungsgericht hat der Redaktion mit einer Entscheidung vom 23. Oktober in allen Punkten Recht gegeben. Im Fazit der 13-seitigen Begründung schreiben die drei Richter der 20. Kammer: „Dass den Geheimhaltungsinteressen der Antragsgegnerin (Stadt Lünen, Anm. d. Red.) und der Beigeladenen (der EAA) größeres Gewicht beizumessen wäre als dem Informationsinteresse der Presse, lässt sich bei alledem nicht feststellen. Dem Antrag (...) war somit vollumfänglich stattzugeben.“

Gericht: Berichterstattung soll an der Meinungsbildung mitwirken

Auf den vorherigen Seiten begründet die Kammer ihre Entscheidung ausführlich. Das Gericht weist Aussagen der Stadt beziehungsweise ihrer rechtlichen Vertretung - der Kanzlei Kapellmann aus Düsseldorf - zurück, wonach die Redaktion möglicherweise gar nicht „als Presseunternehmen anspruchsberechtigt“ sei und stellt fest: „Die bezweckte Berichterstattung soll weiterhin zu dem Thema Stellung nehmen, gegebenenfalls Kritik üben oder zumindest auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirken.“

Der Beschluss im Wortlaut

Die Kanzlei Kapellmann hatte die Stadt auch im Rechtsstreit gegen die EAA vertreten und war zuletzt ebenfalls für die haftungsrechtliche Prüfung der Derivate-Vorgänge zuständig. Ergebnis: Von den damals handelnden Personen kann niemand zur Verantwortung gezogen werden. Auf weitere Nachfragen gab es wiederum keine Antworten.

Das Gericht erkennt auch die Verschwiegenheitsklausel nicht als Grund zur Geheimhaltung an. Solche Vereinbarungen stellen keine Geheimhaltungsvorschriften dar, schreiben die Richter, „denn wären die Behörden (...) in der Lage, Verschwiegenheitspflichten nach §4 Abs. 2 Nr. 2 PresseG NRW zu begründen, bestünde die Gefahr der Aushöhlung des presserechtlichen Auskunftsanspruchs und die Adressaten der Regelung könnten über diese Pflichten disponieren.“ Heißt: Die Verwaltung könnte sich im Zweifel nach Gutdünken auf Verschwiegenheit berufen und Auskünfte verweigern. Das lässt das Gericht nicht zu.

Dass es ein öffentliches Interesse an den Informationen gibt, erkennt das Gericht an. An der transparenten Verwendung von Steuergeldern bestehe „ein hohes gesamtgesellschaftliches Interesse, dem die Presse in aller Regel im Rahmen der ihr obliegenden Öffentlichkeitskontrolle dient und zu dienen hat“.

Die Reaktion der Stadt: „Immer rechtstreu verhalten“

Ob die Stadt der Redaktion die Unterlagen tatsächlich zur Verfügung stellt, ist trotz der deutlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch unklar. Sie hat zunächst Gelegenheit, gegen den Beschluss Beschwerde einzulegen. Auf die RN-Bitte um Stellungnahme dazu hieß es aus der Pressestelle: „Momentan prüft die Kanzlei, die die Stadt Lünen in dieser Sache vertreten hat, den Beschluss und die Begründung des Gerichts. Unsere Prozessvertretung stimmt sich zudem mit der Ersten Abwicklungsanstalt (EAA) ab, mit der die Stadt den Vergleich abgeschlossen hat und die zum Verfahren beigeladen worden war.“

Die Stadt betont aber, dass sie sich rechtstreu verhalten habe und dies weiterhin tun werde. Sie halte sich ja an die Verschwiegenheitsvereinbarung. „Sollte die oben erwähnte Prüfung der Entscheidung ergeben, dass die Verpflichtung zur Verschwiegenheit durch die gerichtliche Entscheidung entfällt, werden wir Ihnen die angefragten Informationen selbstverständlich zur Verfügung stellen.“