
© Foto: Goldstein
Umgehungsstraße für Lünen? Rat beschließt „ergebnisoffene Prüfung“
Entwicklungskonzept
Braucht Lünen eine Umgehungsstraße? Der Rat ist mehrheitlich dem Vorschlag der CDU gefolgt, ergebnisoffen nach neuen Lösungen für das Verkehrsproblem zu suchen - zum Entsetzen der Grünen.
Viermal „mangelhaft“ und neunmal sogar „ungenügend“: 13 von insgesamt 17 Verkehrsknoten in Lünen sind 2019 durch die Prüfung gerasselt:. Ein verheerendes Zeugnis, das die Verkehrsplaner der Verkehrsconsult GmbH und der Rudolf Keller Verkehrsingenieure GmbH dem Hauptstraßennetz von Lünen damals ausgestellt hatten. Zumal die vier Knoten, die bestanden, lediglich befriedigend und ausreichend beurteilt wurden. Der Ausbau des Wirtschaftsstandorts Lünen wird das Verkehrsaufkommen bis 2030 noch deutlich steigern. Lünen muss handeln - aber wie?
Während seiner jüngsten Sitzung hat der Stadtrat mehrheitlich das Entwicklungskonzept 2030 für den Wirtschaftsstandort Lippholthausen verabschiedet. Für politischen Streit sorgte dabei nicht nur die Frage, ob der Wald im Bereich der sogenannten Bischoff-Deponie auf dem Steag-Gelände unter Schutz gestellt werden muss, - die Mehrheit war dagegen -, sondern auch um den Verkehr der Zukunft. Dabei prallten leidenschaftlich vorgebrachte Positionen aufeinander.
SPD und CDU vermeiden das Wort „Umgehungsstraße“
Die SPD hat sich dabei noch etwas verklausuliert ausgedrückt: „Die verkehrliche Einbindung des Entwicklungsgebietes in den Stadtraum sowie die interne
verkehrliche Erschließung sind unter Berücksichtigung aller Verkehrsarten durch geeignete Fachplaner zu konkretisieren“, formulierte es Fraktionschef Rüdiger Billeb in seinem Antrag. Die CDU tastete sich in ihrem Antrag etwas ausführlicher, aber ebenfalls vorsichtig an das Thema heran, ohne das Wort Umgehungsstraße oder neue Entlastungsstraße auszusprechen.
Erforderlich sei, so Christoph Tölle, neben einer Ertüchtigung des Radwegs nach Alstedde für Berufspendler „die Entwicklung von zusätzlichen Lösungsvorschlägen für den MIV (motorisierter Individualverkehr), insbesondere den zusätzlich zu erwartenden Schwerlastverkehr.“ Diese Prüfung solle „ohne enge Vorgaben und ergebnisoffen erfolgen. Hierzu gehört auch eine Alternativstrecke für den Schwerlastverkehr, um im Falle einer Sperrung der Brunnenstraße
gewappnet zu sein und, um für eine insgesamt bessere Verteilung zu sorgen. Die Moltkestraße ist hierfür keine Alternative.“
Tessa Schächter entsetzt: „Nicht mit Biegen und Brechen“
Mit Entsetzen reagierte Tessa Schächter, Fraktionssprecherin der Grünen, auf die Vorstöße der beiden größten Fraktionen im Rat. „Schon mehrfach wurde versucht, eine Umgehungsstraße durch das Naturschutzgebiet zu drücken.“ Dass CDU und SPD das auch jetzt noch weiterverfolgten, wo die Bedrohung der Natur und des Klimas offensichtlich geworden sei, sei ihr unverständlich. Schächter selbst setzt auf Innovation.
Anstatt „mit Biegen und Brechen“ eine Straße durch die Lippeauen bauen zu wollen - eine andere Verbindung komme wohl nicht in Frage - , regte Schächter an, „mutig und neu zu denken“: etwa über autonome Züge oder eine Ertüchtigung des Stummhafens. Wer, wie von der SPD ausdrücklich betont, bei der Gestaltung der Industriefläche auf modernste Umwelttechnik und Ressourceneffizienz setze, dürfe bei der Verkehrsplanung nicht auf gestrige Modelle setzen.
Rüdiger Billeb: „Irgendwoher muss der Verkehr fließen“
Rüdiger Billeb widersprach leidenschaftlich. „Auch wir wollen nicht unbedingt eine Umgehung durch die Auen bauen.“ Es gehe lediglich um eine ergebnisoffene Prüfung. Ob „eine Seilbahn über dem Kanal“ oder „Liefer-Drohnen“ ausreichend Entlastung bringen, könne in die Überlegungen einfließen, ergänzte er mit einer Spur Sarkasmus. Billeb betonte die Notwendigkeit zu handeln und nicht alles beim Alten zu lassen: „Irgendwoher muss der Verkehr fließen.“ Und mit Blick auf die geplanten Neuansiedlungen, von denen sich Lünen Arbeitsplätze und Gewerbesteuer verspricht: „Wer A sagt, muss auch B sagen.“
Wie klein der Handlungsspielraum ist, hatten schon die Verfasser des zentralen „Entwicklungskonzepts Wirtschaftsstandort Lippholthausen“ skizziert. Dabei griffen die Mitarbeiter der drei Büros plan-lokal Körbel + Scholle aus Dortmund, agiplan GmbH aus Mülheim und Planersocietät aus Dortmund die Ergebnisse der Verkehrsplaner von 2019 auf. Die hatten damals sowohl eine Verbindung zwischen Brunnen- und Kupferstraße südlich der Bahntrassse) ins Gespräch gebracht als auch die sogenannte Westspange: eine Verbindung zwischen dem Knotenpunkt B54/Kupferstraße und der Borker Straße nördlich vom Stadtgebiet.
Zwei Verbindungsstraßen-Ideen - beide kritisch
Die Verbindung Brunnen- und Kupferstraße würde, so steht es im Entwicklungskonzept für den Wirtschaftsstandort, für Lippholthausen „zwar partiell Vorteile bringen (...). Es ist jedoch zu bedenken, dass der überwiegende Teil des Quell- und Zielverkehrs von Lippholthausen Richtung BAB 2 orientiert sein wird; für diese Verkehre bringt die neue Querspange voraussichtlich keine Reisezeitvorteile.“ Außerdem weisen die Verfasser auf den hohen baulichen
Aufwand hin und „die erheblichen naturräumlichen Eingriffe“.
Ähnlich zurückhalten äußerte sich auch der Technische Beigeordnete der Stadt, Arnold Reeker: „Eine Verbindung Kupferstraße-Brunnenstraße ginge durch sensibelste Landschaftsbestandteile“, sagte er. Seine Lösung: „Wir müssen mit dem Verkehrssystem, das wir haben, zurechtkommen und müssen es ertüchtigen.“
Dennoch: Der Rat stimmte mehrheitlich für das Entwicklungskonzept - inklusive der Anträge von SPD und CDU.
Leiterin des Medienhauses Lünen Wer die Welt begreifen will, muss vor der Haustür anfangen. Darum liebe ich Lokaljournalismus. Ich freue mich jeden Tag über neue Geschichten, neue Begegnungen, neue Debatten – und neue Aha-Effekte für Sie und für mich. Und ich freue mich über Themenvorschläge für Lünen, Selm, Olfen und Nordkirchen.
