Ferhat Aydin (34) hat an vielen Stellen Einblick in den Schulalltag und die Situation von Schülern mit Migrationshintergrund.

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Schulen und Reiserückkehrer: Sensibler Umgang gegen Ausgrenzung in Lünen

rnCorona an Schulen

Reiserückkehrer seien die größte Infektionsgefahr in Schulen, so die Vermutung zum Schulstart. Nur ein kleiner Teil der Wahrheit, erklärt Lehrer und Lüner Politiker Ferhat Aydin im Rückblick.

Lünen

, 22.09.2021, 14:20 Uhr / Lesedauer: 3 min

Fünf Wochen sind seit Beginn des neuen Schuljahres vergangen. Die gute Nachricht ist: Nach einem holprigen Beginn mit erschreckend vielen Schülern, die zu Beginn des Schuljahres in Quarantäne mussten und den Sorgen vieler Eltern, dass die Kinder erneut durch Quarantäne viel Schulstoff verpassen, hat sich die Situation inzwischen entspannt.

Mit den Beschlüssen der Konferenz der Gesundheitsminister vom 6. September werden nun nur noch infizierte Schüler in Quarantäne geschickt und nicht mehr auch die Kontaktpersonen.

Noch acht Personen an sechs Lüner Schulen sind in Quarantäne (Stand 21.9.); krankheitsbedingt, nicht als Vorsichtsmaßnahme. Zu Beginn des Schuljahres, eine Woche nach Schulstart, waren es am 26. August 18 Fälle an elf Lüner Schulen und 80 Quarantänen gewesen. Insgesamt befanden sich im Kreis Unna am 19. August 286 Menschen in Quarantäne. Aktuell (Stand 21.9.) sind es mit 141 nur noch die Hälfte.

Angst vor Ausgrenzung

Christian Gröne, Leiter der Geschwister-Scholl-Gesamtschule, ist bezüglich dieser neuen Entwicklung zwiegespalten: „Einerseits ist es gut für die Schülerinnen und Schüler, dass sie so viel Unterricht wie möglich mitbekommen“, sagt er. „Andererseits haben viele Jugendliche, Eltern, Kolleginnen und Kollegen und ich diese Maßnahme als beruhigend empfunden. Das fällt nun weg, wenn nur noch Infizierte in Isolation gehen.“ Doch dies nur am Rande.

Denn nicht nur die Sorge um verpassten Schulstoff seitens vieler Eltern - Kontaktpersonen hatten sich zehn Tage in Quarantäne begeben müssen - prägte den Beginn des Schuljahres. Auch die Sorge um eine Ausgrenzung und Diskriminierung bestimmter Schülergruppen.

Denn, so wurde vermutet, waren es vor allem die Urlaubsrückkehrer, die die Zahl der Quarantänen in die Höhe trieb und hier insbesondere die türkischstämmigen Schülerinnen und Schüler.

Im Gespräch mit unserer Redaktion zeigt Ferhat Aydin, Vorstand des SPD-Ortsverbands Lünen Nord, die Situation dieser Schüler auf und auch die Gefahren, die für sie bestehen. Er beschäftigt sich an vielen Stellen mit dem Thema: Im Integrationsrat von Lünen, als Mitglied des Ausschusses für Bildung und Sport und Lehrer an einer Gesamtschule in Recklinghausen. Außerdem ist Aydin als Schulentwicklungsberater für die Bezirksregierung Münster und das Ministerium für Schule und Bildung in Düsseldorf tätig.

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Zusammenhang zwischen Urlaub und Zahlen

„Ja. Es gibt einen Zusammenhang von Urlaubsort und der Ansteckungsquote bei den Kindern. Das kann nicht ignoriert werden“, erklärt Aydin. Dabei verweist er auf die Tatsache, dass viele Lüner Familien ihre Wurzeln in der Türkei, insbesondere in Lünens Partnerstadt Bartin haben.

Rückblickend weist er darauf hin, dass der Schulstart in diesem Jahr ein ganz besonderer gewesen sei: „Die Corona-Situation verlangt von allen Beteiligten eine kurzfristige Anpassung der Gegebenheiten.“ Beispielhaft dafür sei, dass viele Reiserückkehrer aus der Türkei, „mit und ohne familiären Bezug“, wie er betont, zum Beginn des neuen Schuljahres in Quarantäne mussten.

Nicht, weil sie nachlässig gewesen seien, sondern weil die Türkei just einen Tag vor Ende der Sommerferien am 17. August als Hochrisikogebiet eingestuft wurde und so die Urlaubsrückkehrer von der Quarantänepflicht betroffen waren.

„Zu Beginn der Sommerferien gab es keine Hinweise darauf, dass sich die Region zu einem Hochrisikogebiet entwickeln könnte. Reisewarnungen vom Auswärtigen Amt gab es auch nicht“, so Aydin.

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Sensibler Umgang an Schulen

Gerade diese Schülerinnen und Schüler, die ihre Sommerferien in der Türkei verbrachten, hätten zu möglichen Kandidaten einer Stigmatisierung werden können. Zum Glück, so hatte Aydin beobachtet, sei an den Schulen sehr sensibel mit dem Thema umgegangen worden.

„Das war unter anderem auch deshalb möglich, weil die Schulen die Kinder nicht nach ihren Urlaubsorten gefragt haben, sondern vor allem zu Beginn des neuen Schuljahres die Lernenden konsequent getestet haben.“

Eines ist Aydin dabei besonders wichtig: „Beim Umgang mit Corona spielt weniger die kulturelle Herkunft eine Rolle, sondern vor allem die sozio-ökonomische, also die finanzielle Situation und das Umfeld.“

Risikofaktor soziale Kontakte

Als Beispiel: Bei einer Familie mit einem alleinerziehendem Elternteil, das im Homeoffice arbeitet und dessen Kind zu Fuß in die Schule geht, ist das Risiko einer Ansteckung relativ gering. Auch wenn es einen Migrationshintergrund oder eine schwierige finanzielle Situation gibt.

Bei einer Familie hingegen, bei der ein Kind in den Kindergarten, eines in die Grundschule und eines in die weiterführende Schule geht, die Eltern beispielsweise im Einzelhandel arbeiten und alle Familienmitglieder öffentliche Verkehrsmittel benutzen, sei das Risiko besonders hoch.

Deshalb sei auch zu beobachten, dass an Schulen, wie zum Beispiel der Käthe-Kollwitz-Gesamtschule, aufgrund ihres sozio-ökonomischen Umfelds, mehr Schüler infiziert oder in Quarantäne gewesen seien, als zum Beispiel Schüler, die das Gymnasium Altlünen besuchen, erklärt Aydin.

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Unterm Strich gibt er aber Entwarnung: In der Regel seien die Schulklassen mit den Kindern, die in Quarantäne gehen mussten, fair umgegangen. „Den Lernenden ist bewusst, dass jeder sich infizieren könnte“, sagt Aydin. „Unqualifizierte Aussagen von Lernenden, Lehrenden oder Eltern hinter vorgehaltener Hand sind eher selten.“