Corona an Schulen in Lünen: „Wir können unsere Kinder nicht schützen“

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Corona an Schulen in Lünen: „Wir können unsere Kinder nicht schützen“

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Mit dem neuen Schuljahr kamen neue Quarantäneanordnungen. Eltern aus Lünen zeigen sich besorgt und verärgert. Die Frage steht im Raum: Machen die Schutzmaßnahmen in Schulen noch Sinn?

Lünen

, 09.09.2021, 18:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Sie hatten ja schon damit gerechnet, dass es kein normales Schuljahr geben wird. Aber dass bereits nach der ersten Schulwoche reihenweise Quarantäne-Bescheide ins Haus flatterten, hat etliche Familien in Lünen hart getroffen. Jetzt sollen sich die Regeln ändern, doch das Ringen um die Frage bleibt: Was ist der sicherste Weg für unsere Kinder?

„Wir haben es mit Fassung getragen. Aber klar: Erst einmal waren wir ziemlich bedient“, sagt Heike, Mutter von drei Kindern. Für ihre elfjährige Tochter war bereits nach fünf Tagen Schluss mit Präsenzunterricht. Der Quarantäne-Bescheid schmiss den gerade wiedergefundenen Alltag der Familie durcheinander. Mit elf Jahren alleine zu bleiben, ist oft kein Problem. Mit elf Jahren selbstständig für Deutsch oder Mathe zu pauken - das gelingt nicht jedem Kind.

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Die Sechstklässlerin kennt den Alltag an der weiterführenden Schule nur unter Pandemie-Bedingungen. Trotzdem war für sie die Quarantäne-Situation schwer. „Sie hatte sich auf den Schulstart gefreut, hat gerade die Fühler ausgestreckt nach Freundschaften“, erzählt ihre Mutter. „Als eine von wenigen nun wieder ausgeschlossen zu sein, das hat ihr schon zu schaffen gemacht.“

Anders als im Homeschooling lief der Schulalltag für die meisten ihrer Mitschüler weiter. Schon zu Schulbeginn wurden nicht mehr ganze Klassen in Quarantäne geschickt, stattdessen sollten nur die Kinder, die in der Nähe gesessen haben, zwei Wochen zuhause bleiben. Die Elfjährige hatte also Pech.

Schulbegleiterin kam mit Symptomen zur Schule

Ähnlich ergeht es gerade auch vielen anderen Kindern und Jugendlichen aus Lünen. Auch Kinder der Gottfriedschule waren zu Beginn des Schuljahres direkt in Quarantäne. Eine Schulbegleiterin kam symptomatisch in den Unterricht. Der Schnelltest lieferte dann auch das Ergebnis: positiv.

Mit einem Gerücht will Schulleiterin Kirsten Moritz-Berger allerdings aufräumen: „Was nicht stimmt, ist, dass die Frau bereits tagelang positiv war und trotzdem zur Schule gekommen ist.“ Trotzdem eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Moritz-Berger reagierte direkt, schickte zunächst alle Kinder der Klasse nach Hause. Tatsächlich in Quarantäne blieben dann noch vier Kinder.

Nach Angaben des Kreises Unna sind aktuell zehn Schulen betroffen. Insgesamt zählt das Gesundheitsamt 15 Fälle an Schulen und 116 Quarantänen. Aus den Kitas ist ein Fall bekannt, hier wurden elf Quarantänen angeordnet. Zwei Wochen lang dürfen diese Kinder und Jugendlichen das Haus nicht verlassen.

„Kinder haben ihre Schuldigkeit getan“

Nach Plänen der Landesregierung soll damit bald Schluss sein. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) kündigte an, künftig nur noch positiv getestete Kinder in Quarantäne zu schicken. Unklar ist allerdings noch, welche Auswirkungen das auf die aktuell in Quarantäne befindlichen Kinder hat. Bislang geht das Gesundheitsamt noch nach den bisher geltenden Regeln vor: 14 Tage Quarantäne für enge Kontaktpersonen.

Bis vor wenigen Tagen gehörte auch Tom*, der Sohn von Ida Ferdinand*, zu diesen Kindern. Auch sein Klassenkamerad war positiv. „Im Grunde ist es schlimmer als das Homeschooling im letzten Jahr, denn da durfte er wenigstens am Nachmittag raus“, sagt Ida.

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Natürlich ist die Quarantäne keine Strafe, sie dient dem Schutz. Doch genau hier treibt Ida ein weiterer Gedanke um: „Experten und Politiker betonen immer wieder, dass Ungeipmfte im Laufe dieses Winters definitiv erkranken werden. Das bedeutet, auch unsere Kinder werden sich anstecken. In ihrem Alter ist das alternativlos, weil wir sie gar nicht impfen lassen können. Auch wenn ich den Gedanken nicht schön finde: Wir können unsere Kinder nicht schützen. Und damit machen auch die ganzen Maßnahmen an den Schulen keinen Sinn.“

Es sei nicht fair, den Eltern Angst vor etwas zu machen, das ohnehin eintreten werde. Und die Kinder zuhause zu lassen, um impfunwillige Erwachsene zu schützen, sei den Kindern gegenüber nicht fair. „Sie haben ihre Schuldigkeit im Hinblick auf den Schutz der Gesamtbevölkerung getan“, findet die 40-Jährige.

Die Erwachsenen sind in der Pflicht

Den Schutz der Kinder gibt es nicht ohne Preis. Was aber ist nun das richtige Maß? Das ist die entscheidende Frage, um die politische Entscheider genauso ringen wie Familien. „Wir brauchen eine Güterabwägung“, sagt Daniel Dreyer, Intensivmediziner und Vater zweier Kinder. „Was bringt etwas und was kostet das jeden Einzelnen?“ Natürlich sähen die Mediziner nur die schweren Verläufe. Aber: „Nach jetzigem Stand der Wissenschaft ist das Risiko für meine Kinder wirklich sehr gering.“

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Trotzdem halte er Schutzmaßnahmen an den Schulen in einem vertretbaren Maße für angemessen, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten und andere Kinder, die als gefährdet gelten, weiterhin zu schützen. Für Dreyer gehören dazu Maßnahmen, deren Nutzen wissenschaftlich erwiesen sei. Die Maske in geschlossenen Räumen etwa. Vor allem aber sieht der Mediziner die Erwachsenen in der Pflicht: „Wenn sich endlich alle Erwachsenen impfen lassen würden, hätten wir diese Diskussionen um die Kinder gar nicht mehr.“

Heike erzählt von der Quarantäne ihrer Tochter am Tag 15. Es ist der erste Tag, an dem die Elfjährige das Haus verlassen darf. „Sie ist gelöst“, sagt die Mutter. Doch der Blick auf Herbst und Winter mache ihr Sorgen. „Ich hätte ein besseres Gefühl, wenn man an der Lüftungssituation etwas geändert hätte.“

* Namen von der Redaktion geändert

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